Süddeutsche Zeitung

Umwelt:Der Preis der Plastiktüte

In England müssen Einkaufstüten jetzt fünf Pence kosten. In Deutschland ist das längst überfällig.

Kommentar von Esther Widmann

Die englischen Boulevard-Zeitungen hatten ihre Leser vorgewarnt: "Chaos bahnt sich an", titelte die Daily Mail. Sie prophezeite Verwirrung und Diskussionen, der Mirror sagte "Frustration und Wut" voraus. Es ging nicht um einen Hurrikan oder die Abschaffung des Arbeitslosengeldes. Nein, in England gilt seit dieser Woche: Plastiktüten kosten fünf Pence.

Auch wenn die Regelung zahlreiche Ausnahmen zulässt, etwa für Unternehmen mit weniger als 250 Mitarbeitern, für rohes Fleisch oder "für lebendige Wasserlebewesen in Wasser", und auch, wenn in den anderen Ländern des Vereinigten Königreiches schon seit mehreren Jahren jede Plastiktüte bezahlt werden muss: Das Thema ist in England offenbar ein Aufreger. Angeblich hat eine führende Supermarktkette bereits 60 000 zusätzliche Einkaufskörbe aus Metall bestellt, weil so viele gestohlen wurden.

Dabei gibt es gar keinen Grund, sich aufzuregen: Zum einen, weil es eigentlich selbstverständlich ist, Dinge, die man aus einem Geschäft mitnimmt, auch zu bezahlen - also auch eine Tüte. Die Verpackung von Lebensmitteln ist im Verkaufspreis auch schon mit drin. Und zum anderen, und das ist entscheidend: Weil es aus Umweltschutzgründen mehr als vernünftig ist, die Kunden zur Reduzierung ihres Plastiktütenverbrauchs zu animieren.

Hunderttausende Meerestiere ersticken an Plastiktüten

Denn Plastiktüten sind ein gewaltiges Umweltproblem. Sie werden aus Mineralöl hergestellt, und die CO2-Emissionen, die durch den weltweiten Verbrauch von einer Billion Plastiktüten jährlich entstehen, werden laut der Deutschen Umwelthilfe auf knapp 31 Millionen Tonnen geschätzt. Weil sie nicht verrotten, verdrecken sie die Landschaft. Im Meer ersticken jedes Jahr Hunderttausende Meerestiere an ihnen. Oder sie landen, zu winzigen Partikeln zerrieben, als Mikroplastik in Fischmägen und damit in der Nahrungskette.

Das EU-Parlament hat im April 2015 eine neue Richtlinie verabschiedet, die den Plastiktütenverbrauch bis 2019 um 50 Prozent und bis 2025 um 80 Prozent verringern soll. Das entspräche laut dem Umweltbundesamt einem Verbrauch von dann noch 90 beziehungsweise 40 Tüten pro Person und Jahr.

Allerdings sind davon nur Plastiktüten mit einer Wandstärke von weniger als 0,05 Millimeter betroffen; Geschäftsinhaber könnten die Reglung also durch die Ausgabe von stabileren Tüten umgehen. Und die sehr dünnen Tüten, in die Käse oder Obst eingepackt werden, wären von der Regelung auch ausgenommen.

Hendricks sieht keinen Grund, eine Bezahlpflicht einzuführen

In Deutschland verbraucht jeder durchschnittlich 71 Plastiktüten pro Jahr. Der Einzelhandel hat vor Jahren freiwillig eine Gebühr auf Plastiktüten erhoben, die allerdings fast nur Supermärkte fordern. Umweltministerin Barbara Hendricks sieht keinen Grund, eine Bezahlpflicht einzuführen, weil Deutschland ja damit jetzt schon unter der EU-Vorgabe für 2019 liegt. "Bei einer Abwägung von Aufwand und Nutzen spricht derzeit aus unserer Sicht nichts dafür, in Deutschland Abgaben oder gar Verbote einzuführen", ließ sie Anfang des Jahres verlauten. Auch nach dem Beschluss des Europaparlamentes heißt es beim Bundesumweltministerium immer noch, man werde zum gegebenen Zeitpunkt über die zu unternehmenden Schritte beraten. Die "Maßnahmen können regulatorischer als auch freiwilliger Art sein."

Hendricks beruft sich darauf, dass Deutschland im EU-Vergleich schon gut dastehe: In der Tschechischen Republik waren es im Jahr 2011 bei der letzten Erhebung 297 Tüten pro Person, in Bulgarien 421 - jeden Tag mindestens eine. Trotzdem sind 71 Plastiktüten pro Kopf immer noch viel, und andere Länder haben vorgemacht, wie effektiv eine Bezahlpflicht ist: In Wales, wo es im Gegensatz zu England schon seit 2011 eine Gebühr für Plastiktüten gibt, ist die Zahl von etwa 120 auf 24 gesunken, in Irland war der Effekt ähnlich.

Einen großen Anteil haben verpackte Lebensmittel

Das Umweltbundesamt weist allerdings darauf hin, dass weniger als ein Prozent des Kunststoffverbrauchs, nämlich 68 000 Tonnen, in Deutschland auf Plastiktüten entfällt. Um den Kunststoffverbrauch zu vermindern, sind Plastiktüten also nicht der entscheidende Punkt - einen sehr viel größeren und oftmals vermeidbaren Anteil haben verpackte Lebensmittel.

Dennoch, um Einkäufe nach Hause zu tragen, braucht es keine Tüten aus Plastik, ein Stoffbeutel passt auch in die kleinste Handtasche, hält ewig und schneidet schwer beladen nebenbei auch nicht so unangenehm in die Hände.

Übrigens: In Ruanda sind nicht kompostierbare Plastiktüten seit 2006 illegal und werden bei der Einreise beschlagnahmt.

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