Umstrittenes Klimaanlagen-Mittel R1234yf:Klimaanlagen-Chemikalie ist "verdammt gefährlich"

Lesezeit: 3 Min.

Streit um Kältemittel: Klimaanlage im Auto (Archiv) (Foto: Patrick Seeger/dpa)
  • Ein renommierter Münchner Chemiker warnt eindringlich vor dem neuen Kühlmittel R1234yf in Auto-Klimaanlagen.
  • Einer der wichtigsten Hersteller des Mittels teilt mit, er könne die Bedenken nicht nachvollziehen.

Von Max Hägler, Brüssel

Mit dem Rüssel schien das Problem eigentlich gelöst, technisch gesehen: Der Autobauer Daimler, der lange in Sorge war wegen der Brandgefahr des neuen Klimaanlagen-Kältemittels R1234yf, lenkte im Oktober ein: Dank einer neu konstruierten Anlage, die bei einem Unfall mittels eines Rüssels nicht brennbares Gas zum Motor führt und so einen Brand verhindern soll, seien die Risiken des Kältemittels beherrschbar, erklärten die Schwaben. Damit war nun der letzte mächtige Zauderer eingeschwenkt auf den Kurs der globalen Autoindustrie.

Drei Jahre lang hatte sich Daimler gegen den Einsatz des neuen Mittels gewehrt. Das trägt viel weniger zum Treibhauseffekt bei, ist also umweltfreundlicher, als die bisherige Chemikalie, die in den Autoklimaanlagen für den Wärmetransport sorgt. Bei Tests bei Daimler hatte sich R1234yf jedoch entzündet, dabei entstand unter anderem ätzende Flusssäure. Eine Gefahr für Unfallopfer und Rettungskräfte. Der Konzern weigerte sich daraufhin, das Mittel einzufüllen - bis er die Lösung mit dem Rüssel erfand. Ein Streit vor dem Europäischen Gerichtshof gilt es deswegen noch auszufechten, weil die deutschen Behörden Daimler gewähren ließen. Doch technisch schien alles geklärt.

Entwarnung gewissermaßen. Jetzt allerdings gibt es neue Untersuchungen, die den Streit wieder befeuern könnten. Andreas Kornath, Inhaber eines Lehrstuhls für anorganische Chemie an der Ludwig-Maximilians-Universität in München, hat am Wochenende bei einer Tagung auf Hawaii seine neuen Untersuchungen vorgestellt und eindringlich auf ein bislang unterschätztes Risiko hingewiesen. "Wir haben bei R1234yf die große Gefahr, dass beim Brand Carbonylfluorid entstehen kann, ein Giftgas, verwandt mit Phosgen, das man vom Ersten Weltkrieg in Flandern kennt", erläutert der Wissenschaftler. Das war zwar schon bekannt, aber bislang ging die Industrie davon aus, dass sich Carbonylfluorid schnell zersetzt. Dem ist wohl nicht so.

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Es stehe fest, sagt Kornath, dass dieses Gas eine Halbwertszeit von neun Minuten habe. "Das ist ein noch weit größeres Risiko als die ätzende Flusssäure, die ebenfalls entsteht." Das mit dem Risiko der Flusssäure hat er in seinen Laboren in München-Großhadern schon einmal an einem Schweinekopf vorgeführt, der danach kaum mehr zu erkennen war. Nun also auch noch Gas.

Bei der "Pazifichem"-Konferenz hätten Kollegen auch von Verletzungen berichtet, die sie in ihren Laboren durch diese geruchlose Verbindung erlitten hätten. "Wir sind hier erst am Beginn der Erforschung", zumal das Gas "sehr schwer nachzuweisen" sei, sagt Kornath, die LMU habe eines der wenigen Labore weltweit, die das könnten.

Ist also eine Neubewertung fällig? Bei einem der wichtigsten Hersteller des Mittels gibt man sich entspannt. Der US-Mischkonzern Honeywell hat in jahrelanger Arbeit das Mittel entwickelt und inzwischen auch mehrere hundert Millionen Euro in Produktionsanlagen investiert. "Die Bedenken, die bezüglich Carbonylfluorid geäußert wurden, können wir nicht nachvollziehen", sagt Tim Vink, der für das Unternehmen in Brüssel für Regulierungsangelegenheiten zuständig ist. Dieser Stoff setze sich, "so er denn überhaupt entstehen würde", innerhalb von Sekunden in andere, ungefährliche Stoffe um. So er denn überhaupt entstehen würde - das ist ein Aspekt, auf den die Autoindustrie, aber auch offizielle Stellen, wie das Joint Research Center der EU-Kommission (JRC)

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verweisen: Extrem unwahrscheinlich sei ein Brand. Das zeige auch die Praxis, erklärt Vink: "Wir haben mittlerweile etwa acht Millionen Fahrzeuge weltweit, die das Mittel einsetzen und es wurde von keinem gefährlichen Vorkommnis berichtet." Zudem würden Autos und seine Betriebsstoffe, allen voran Benzin, seit der Erfindung des Autos ein enormes Gefahrenpotenzial bergen, das aber sehr gut beherrschbar sei. "Ebenso wie dieses Kältemittel", sagt Vink, das sowieso in einer so geringen Menge eingesetzt werde, dass es keinen großen Schaden anrichten könne. Kurzum: "Für uns ist das Thema Sicherheit jetzt erfolgreich und unzweifelhaft geklärt, dieses Kapitel ist geschlossen."

Ähnlich äußert sich auch der zweite Hersteller des Kältemittels, das US-Unternehmen Chemours.

Also sind Ihre Bedenken überzogen, Herr Kornath? Nein, sagt der Forscher, der betont, dass er ein unabhängiger, bayerischer Beamter sei und ohne Sponsoring forsche. "Wenn 400 bis 500 Gramm, die Menge, die in einer Klimaanlage eingefüllt ist, verbrennen, reicht das aus, um 200 Leute umzubringen." Er, der jeden Tag mit R1234yf zu tun hat, bleibt dabei: "Autos mit dem Zeug: das ist verdammt gefährlich!" Bereits bei 405 Grad Celsius entflamme das Mittel, viel früher als das alte Kältemittel, das erst bei über 1000 Grad Celsius brennt. Der Daimler-Rüssel sei hilfreich, um das Risiko zu verringern. Aber die Einschätzung von Behörden wie Industrie, eine Entzündung sei extrem unwahrscheinlich, die kann er wiederum "nicht nachvollziehen": Bei entsprechenden Berechnungen werde etwa nicht berücksichtigt, dass es Kabelbrände gebe, Sabotage oder einen Wagenbrand in einer Tiefgarage.

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Im Europäischen Parlament ist das Mittel nun ebenfalls wieder Thema. "Angesichts dieser neuen Aussagen", erneuerte Michael Theurer (FDP) seine Forderung an die EU-Kommission und das JRC, "endlich" standardisierte Tests in Auftrag zu geben, die solch aktuelle Hinweise und Studien berücksichtigen. Um ein für alle Mal zu klären, wie gefährlich R1234yf wirklich ist.

© SZ vom 23.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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