Umstrittener Treibstoff E10:Der Sprit, der nicht bio ist

Ein Flop von Anfang an: Der Treibstoff E10 hat nicht nur Startprobleme. Er ist vielmehr pflanzlich gewonnener Selbstbetrug - die Verbrennung nachwachsender Rohstoffe soll die technologische Umkehr hinauszögern. Damit ist E10 selbst Teil eines Problems, das der sogenannte Biosprit eigentlich lösen soll.

Michael Bauchmüller

Marketing vermag Wundersames zu leisten. Es macht aus stinknormaler Limonade ein Wellness-Getränk und aus einem Fortbewegungsmittel auf vier Rädern die Verkörperung eines Lebensgefühls. Ein Auto? Nein, eine Verheißung: von Freiheit, Unabhängigkeit, Spontanität. Spritsorten packen wahlweise einen Tiger in den Tank oder führen eine geheimnisvolle "V-Power" im Namen, von der kaum mehr zu merken ist als eine exorbitant hohe Tankrechnung. Ganz anders bei E10.

Schlechter Umsatz bei Bio-Sprit E10

E10 bietet keine Lösung für das Energieproblem.

(Foto: dpa)

Wer heute wissen will, was der angebliche Bio-Kraftstoff E10 mit dem Motor macht und was nicht, der trifft auf ratlose Tankwarte und Autohändler, die unheilvoll dreinblicken. Kampagnen gab es nie für den neuen Sprit, nähere Informationen sind verborgen in den Tiefen des Internets. Selten ist ein Produkt derart am Massenmarkt vorbei eingeführt worden wie dieses.

In Internetforen berichten Autofans stattdessen von ominösen Geräuschen im Motor und einem angeblich rapide steigenden Spritverbrauch. Dieser Kraftstoff, den die Mineralölindustrie nicht liebt und den die Autohersteller nur hinnehmen - er ist kaum mehr zu retten. Während andere Produkte mühevoll mit positiven Botschaften aufgeladen werden, ist dieser nun belastet mit einer Hypothek, die er nicht mehr loswerden kann: dem Zweifel.

An diesem Dienstag soll ein Spitzengespräch retten, was noch zu retten ist. Es wird Schuldzuweisungen geben und Appelle an Autofahrer - immer mit dem einen Ziel: den neuen Kraftstoff noch irgendwie in den Markt zu bekommen. Denn auch das gehört dazu: E10 ist Teil eines Systems, das Wandel aufhalten will, statt ihn zu forcieren, das einen vorgeblich sauberen Kraftstoff einem sauberen Motor vorzieht. Es ist pflanzlich gewonnener Selbstbetrug - die Verbrennung nachwachsender Rohstoffe soll die technologische Umkehr hinauszögern. Deswegen darf E10 aus Sicht der Bundesregierung nicht scheitern.

Dabei ist von den Verheißungen des Bio-Sprits ohnehin nicht mehr viel übrig. Vor wenigen Jahren noch galten Treibstoffe aus nachwachsenden Rohstoffen als Garanten für Unabhängigkeit. Nicht mehr Scheichs, sondern Bauern sollten die Industrieländer mobil halten, aus einem scheinbar unerschöpflichen Reservoir.

Nur lag darin allzu oft ein Fortschritt zu Lasten Dritter. Wachsende Nachfrage nach Flächen musste Pachten steigen lassen; ergo wurde Nahrung teurer. Auf globalen Märkten kennt dieses Problem keine Grenzen. Zunehmend stillen Entwicklungsländer den Bio-Sprit-Bedarf der Industrieländer. Nicht selten zum Preis von Hunger und Armut.

Daran kann auch die beste Verordnung über die nachhaltige Erzeugung wenig ändern: Die lässt sich umso weniger kontrollieren, je mehr Umwege das Ethanol auf seinem Weg in die Industrieländer nimmt. Dies, nicht ein seltsames Klopfen in der Drei-Liter-Maschine, ist das stärkste Argument gegen den E10-Sprit. Es ist bezeichnend, dass vor allem der Preis für konventionelles Öl diese Entwicklung getrieben hat.

Je mehr das Rohöl an den Weltmärkten kostet, desto lukrativer wird sein Ersatz, der Agro-Sprit aus der Monokultur. Es ist die unheilvolle Seite einer Verbindung zwischen Mobilität und Nahrungsmittelmärkten, die sich nicht mehr lösen lässt - jedenfalls so lange nicht, wie alleine Verbrennungsmotoren für Mobilität stehen.

Eine Strategie für eine ressourcenschonende Fortbewegung aber fehlt der Bundesregierung. Kein Wort zum Tempolimit, das den Verbrauch teuren Öls stärker senken könnte als zehn Prozent Ethanol im Sprit; das Thema gilt als tabu. Kein Wort auch zu den deutschen Dienstwagen-Regeln, die den Steuervorteil maximieren, je größer und verschwenderischer der Motor ist. Und natürlich auch kein Wort zu den EU-Vorgaben für den Spritverbrauch von Autos und Kleinlastern. Die waren schließlich erst auf Wunsch der deutschen Autoindustrie abgeschwächt worden. Der Druck zur Veränderung soll schließlich nicht zu groß werden. Das Elektroauto als Alternative? Das kann noch dauern.

Dabei baut sich der Druck längst an den globalen Rohstoffmärkten auf. Er spiegelt sich in Spritpreisen, die Deutschland nicht gewohnt ist, ganz unabhängig von der Einführung des umstrittenen Ethanol-Kraftstoffs. Stimmt die Einschätzung der Internationalen Energie-Agentur, dass weltweit nie mehr so viel Öl gefördert werden wird wie im Jahr 2006, dann können sich Autofahrer mit Spritpreisen wie in diesen Tagen schon einmal vertraut machen - sie dürften irgendwann noch als billig gelten.

Das sollten auch jene bedenken, die in dem E10-Desaster eine Quittung für angeblich übertriebenen Klimaschutz sehen wollen. Denn ganz ungeachtet der Beschaffenheit des Kraftstoffs, ob mit V-Power oder Super-E10: Deutschlands Autos bringen derzeit nur ein gutes Drittel ihrer Energie auf die Straße, der Rest geht ungenutzt verloren.

Das ist nicht nur schlecht für die Atmosphäre, die von Jahr zu Jahr mehr Hinterlassenschaften individueller Mobilität aufnehmen muss. Es wird auf Dauer diese Art Mobilität in Frage stellen. Nicht Ersatzdrogen erlauben Fortbewegung auch unabhängig vom teuren Öl - sondern Motoren, die keines mehr brauchen.

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