Umstrittener Begriff:Pfarrer der Nikolaikirche verteidigt Montagsdemonstration

Unter Politikern und Bürgerrechtlern ist ein heftiger Streit über den Begriff Montagsdemonstration ausgebrochen. Der frühere Beauftragte für die Stasi-Unterlagen, Joachim Gauck, nannte die Proteste unter diesem Titel "töricht und geschichtsvergessen". Der Pfarrer der Nikolaikirche, Christian Führer, verteidigte die Bezeichnung hingegen. Aus Protest gegen Hartz IV sind in zahlreichen ostdeutschen Städten Demonstrationen geplant.

Die Unruhe in der Bevölkerung müsse aufgenommen und verbalisiert werden, sagte Führer am Montagmorgen im Inforadio vom rbb. "Ich verstehe die ganze Aufregung der Politprominenz überhaupt nicht."

Umstrittener Begriff: Der Pfarrer der Leipziger Nikolaikirche: Christian Führer.

Der Pfarrer der Leipziger Nikolaikirche: Christian Führer.

(Foto: Foto: AP)

Zu DDR-Zeiten seien Demonstrationen nicht vorgesehen gewesen. Nun seien sie "ein anerkanntes politisches Mittel". "Es kann nicht nach dem Motto gehen: 'Wir begrüßen, dass Ihr gegen die Kommunisten auf die Straße gegangen seid, aber jetzt habt Ihr die Klappe zu halten'. So geht das echt nicht."

Zugleich kritisierte Führer, dass einige Gruppen oder Parteien jetzt versuchten, die Montagsdemonstrationen zu instrumentalisieren. "Ich finde es nicht in Ordnung, dass Gruppen, Parteien oder Vereine auf der Woge der Unruhe der Bevölkerung ihr Süppchen kochen oder Wahlkampf machen."

Friedensgebete

Die Verwendung des Begriffs Montagsdemonstration sei nur in Verbindung mit Friedensgebeten gerechtfertigt. "Wir haben die Unruhe der Bevölkerung im Auge, wir haben immer versucht der Mund der Stummen zu sein, und wollen eben nicht einfach kopflos auf die Straße stürzen." Für ihn sei eine Demonstration ohne Friedensgebet zuvor nicht möglich, "weil nur im Friedensgebet die Menschen zur Besinnung kommen, Hoffnung fassen und Gewalt an Menschen und Sachen ausgeschlossen wird".

Die ehemalige Bürgerrechtlerin und CDU-Abgeordnete Vera Lengsfeld kritisierte unterdessen die neuen Montagsdemonstrationen gegen Sozialabbau.

1989 hätten sich die Montagsdemonstrationen "gegen ein repressives Regime gerichtet", sagte Lengsfeld im ARD-Morgenmagazin. Nun wehrten sich die Menschen "gegen notwendige Reformen, die den Sozialstaat bewahren wollen".

Die Reform müsse von der Regierung und der Union gemeinsam verteidigt werden. Wenn Hartz IV zu Fall gebracht werde, werde "kein einziges Problem gelöst". Die Probleme würden sich im Gegenteil noch verschärfen und die Einschnitte tiefer, sagte Lengsfeld.

Pfarrer der Nikolaikirche verteidigt Montagsdemonstration

Ein ähnliche Auffassung vertrat der frühere Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, Joachim Gauck. Er nannte es "töricht und geschichtsvergessen, wenn der Protest gegen Sozialreformen unter dem Titel Montagsdemonstration stattfindet".

Gauck sagte der Berliner Zeitung, bei den Demonstrationen 1989 sei es um fundamentalen Widerstand gegen das DDR-Regime gegangen. Jetzt gehe es um Opposition in einem demokratischen System.

Er verstehe, dass viele Ostdeutsche die Arbeitslosigkeit und die einschneidenden Reformen als existenzielle Bedrohung empfänden. Aber die Anführer solcher Proteste sollten Alternativen formulieren und sagen, wofür sie einträten.

Beleidigung der Zivilcourage

In der vergangenen Woche hatte Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) von einer Beleidigung der Zivilcourage gesprochen, die viele Ostdeutsche 1989 gezeigt hätten.

Dagegen hatte Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) in Bild am Sonntag Verständnis für die neuen Montagsdemonstrationen gezeigt. Mit friedlichem Massenprotest hätten viele Ostdeutsche schon einmal gute Erfahrungen gemacht.

Auch der evangelische Bischof von Magdeburg, Axel Noack, nahm die Montagsdemonstrationen gegen den Vorwurf in Schutz, sie beleidigten das Andenken der Freiheitsbewegung von 1989.

Er selbst hätte den Vergleich zwar nicht gezogen, weil es wirklich eine völlig andere Situation sei, sagte Noack im Südwestrundfunk.

Der Begriff sei aber eben noch in guter Erinnerung. Aus dem historischen Bezug lasse sich nicht schließen, dass die Menschen der Freiheit überdrüssig seien. Die überwiegend diffuse Angst, die sich in den Demonstrationen ausdrücke, verdiene durchaus Sympathie.

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