Führungskultur:Wolfsburger Zustände überall

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Schuld sind immer die anderen und Widerspruch wird höchstens geduldet. Nicht nur bei Volkswagen in Wolfsburg herrscht so eine Führungskultur, sagen Berater, sondern in vielen Firmen. (Foto: AFP)
  • In der deutschen Wirtschaft beobachten Unternehmensberater "einen Trend zu unmoralischerem Verhalten" bei ihrer täglichen Arbeit.
  • Laut einer Studie im Auftrag der SZ agieren viele Manager selbstherrlich, reichen Anforderungen einfach nach unten durch und hören nicht auf Kritik.

Von Ulrich Schäfer, München

In Wolfsburg haben sie anfangs versucht, das Problem kleinzureden. Als Martin Winterkorn noch VW-Chef war, sprach er von den Fehlern "einiger weniger". Später dann, als diese These nicht mehr zu halten war und die Affäre das Image der gesamten deutschen Industrie bedrohte, hieß es dann: VW haben eben eine ganz eigene Firmenkultur, die keinen Widerspruch dulde. Ein Sonderfall eben, wie es ihn nur dort gebe - und nicht anderswo in der deutschen Wirtschaft.

"Trend zu unmoralischerem Verhalten"

Tatsächlich lassen sich die Missstände, die VW in die Krise stürzten, auch in vielen anderen deutschen Unternehmen beobachten. Das zeigt eine Umfrage unter 308 deutschen Unternehmensberatern, die die Personalberatung LAB & Company für die Süddeutsche Zeitung durchgeführt hat. Demnach haben mehr als die Hälfte der befragten Berater (53 Prozent) beobachtet, dass es in der deutschen Wirtschaft "einen Trend zu unmoralischerem Verhalten" gibt. Bestimmte Branchen sind dabei besonders gefährdet. Sie können eher Opfer von betrügerischen Machenschaften werden, bei denen - so wie bei den Software-Manipulationen von VW - die Möglichkeiten der Digitalisierung genutzt werden. Für betrugsanfällig halten 75 Prozent der Befragten die Versicherungen, gefolgt von Banken (53 Prozent) und der Automobilindustrie samt Zulieferern (45 Prozent).

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Die Urteile der Unternehmensberater über die Firmenkultur fallen dabei vielfach hart aus. "Es gibt einen zunehmenden Realitätsverlust bei Top-Managern, der sich in Überheblichkeit und unangemessenem Verhalten äußert", schreibt einer der Befragten - eine Aussage, die 69 Prozent teilen. Ein anderer Berater meint: "Die Zielvorgaben werden nach unten weitergereicht, ohne zu bedenken, wie dies organisatorisch umgesetzt wird." Ein dritter meint: "Der gesteigerte Kostendruck führt dazu, dass Mitarbeiter die (Kosten-)Vorgaben durch allzu kreative Lösungen einhalten wollen." Und ein vierter meint: "Es ist eine erschreckende Entwicklung, mit welcher Selbstverständlichkeit derartiges Verhalten in Kauf genommen und wissentlich gedeckt wird." Als Grund für diese Entwicklung nennen fast zwei Drittel (61 Prozent) den steigenden Druck, den Aktionäre und Investoren auf das Management ausüben; eine fast genauso große Zahl der Berater (58 Prozent) meint, die Globalisierung erhöhe den Wettbewerbsdruck auf die Vorstände und Geschäftsführer - und dadurch sinke die moralische Hemmschwelle.

Widerspruch darf nicht nur geduldet werden

Was aber lässt sich tun, um Manipulationen und Betrügereien zu bekämpfen? Mehr als drei Viertel der Befragten (78 Prozent) nannten als wichtigste Maßnahme eine Unternehmenskultur, die Kritik und Widerspruch nicht bloß zulasse, sondern auch befürworte - genau das, was bei Volkswagen nicht gefragt war. "In einer angsterfüllten Unternehmenskultur bleibt Ehrlichkeit zwangsläufig auf der Strecke", meint Marcel Ramin Derakhchan, Managing Partner von LAB & Company. Er sieht vor allem auch die Aufsichtsräte in der Pflicht: Sie müssten bei der Auswahl von Führungskräften stärker als bisher auch auf deren moralische Integrität achten. Oder wie es einer der befragten Unternehmensberater in einer Antwort formulierte: "Wenn keine Kultur gelebt und vorgelebt wird, dann kann man auch keine Kultur erwarten."

© SZ vom 03.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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