Süddeutsche Zeitung

Umfrage:Mehrheit der Deutschen für Referendum in Griechenland

  • Dem ARD-Deutschlandtrend zufolge befürworten 60 Prozent der Deutschen, dass am Sonntag das griechische Volk über die Gläubigerforderungen im Schuldenstreit abstimmt.
  • Ein neuer IWF-Bericht sieht weiteren Finanzierungsbedarf von 50 Milliarden bis 2018.
  • Yanis Varoufakis kündigt seinen Rücktritt als Finanzminister an, sollte Griechenland beim Referendum am Sonntag mehrheitlich mit "Ja" stimmen. Tsipras lässt seine Zukunft offen.
  • Das Parlament in Athen ist geschlossen. Das Referendum kann damit im Prinzip nicht mehr abgesagt werden.

Deutsche mehrheitlich für Griechen-Referendum

Das für Sonntag in Griechenland angesetzte Referendum über die Gläubigerforderungen im Schuldenstreit stößt mehrheitlich bei den Deutschen auf Zustimmung. 60 Prozent der Befragten finden es richtig, das griechische Volk abstimmen zu lassen.

Die wesentliche Verantwortung für die jüngste Eskalation der Griechenland-Krise sehen einer Umfrage zufolge mehr als zwei Drittel der Deutschen bei der griechischen Regierung. Während 68 Prozent der Bundesbürger laut dem am Donnerstag veröffentlichten ARD-"Deutschlandtrend" die Hauptverantwortung bei der Regierung von Alexis Tsipras sehen, machen nur vier Prozent die anderen Euro-Länder dafür verantwortlich. Ein Viertel der Befragten (24 Prozent) sieht demnach die Verantwortung bei beiden gleichermaßen. Bei der Frage, ob Griechenland in der Eurozone verbleiben soll, sind die Deutschen gespalten. 45 Prozent der Befragten sind dafür, das Land in der Eurozone zu halten. Genauso viele Deutsche lehnen einen Verbleib Griechenlands in der Eurozone ab.

Die Deutschen machen sich bei einem möglichen Staatsbankrott Griechenlands vor allem Sorge um die griechische Bevölkerung. Mehr als zwei Drittel der Deutschen (69 Prozent) machen in diesem Fall große oder sehr große Sorgen um die Situation der Menschen in Griechenland, 31 Prozent machen sich Sorgen um den Zusammenhalt der EU. Ein knappes Viertel (24 Prozent) der Befragten macht sich große oder sehr große Sorgen um die deutsche Wirtschaft, 19 Prozent sorgen sich um ihre persönlichen Ersparnisse. Für den ARD-"Deutschlandtrend" wurden am Montag und Dienstag 1001 Wahlberechtigte in Deutschland befragt.

IWF: Griechenland braucht zusätzliche 50 Milliarden Euro

Griechenland benötigt nach Einschätzung des Internationalen Währungsfonds (IWF) für die kommenden drei Jahre ein neues Hilfspaket in Höhe von mindestens 50 Milliarden Euro. Davon müssten 36 Milliarden Euro von den Euro-Partnern kommen, heißt es in einer am Donnerstag vom IWF veröffentlichten Analyse.

Die Kreditgeber müssten Griechenland verbilligte Zinsraten und mehr Zeit zur Rückzahlung zugestehen, erklärte der IWF weiter - und befindet sich damit wohl auf Linie mit der griechischen Regierung. Ausdrücklich heißt es in dem am Donnerstag veröffentlichten Papier, die jüngste dramatische Entwicklung in Griechenland sei dabei noch nicht berücksichtigt: Die Finanzlage Athens habe sich wegen der "politischen Entwicklungen" in dem Land verschärft.

Möglicher Rücktritt nach Referendum

Griechenlands Finanzminister Yanis Varoufakis will zurücktreten, sollten die Griechen am Sonntag mehrheitlich für die Gläubiger-Vorschläge stimmen. Dem Sender Bloomberg beantwortete er die Frage "Sollten die Griechen am Sonntag mehrheitlich mit Ja stimmen, sind Sie dann noch Finanzminister?" mit einem klaren: "Das werde ich nicht sein." Zudem werde er keiner Einigung mit den internationalen Gläubigern zustimmen, die nicht eine Umstrukturierung der Schulden mit sich bringe, betonte Varoufakis: "Lieber würde ich mir den rechten Arm abhacken."

Die griechische Regierung wirbt massiv für ein Nein zu den Gläubigervorschlägen. Zuletzt hatte Regierungschef Alexis Tspiras seine Landsleute erneut dazu aufgerufen, bei dem Referendum die Auflagen der Kreditgeber abzulehnen. Laut einer aktuellen Umfrage liegen die Nein-Sager mit 46 Prozent derzeit vor den Befürwortern des Gläubiger-Angebots mit 37 Prozent. 17 Prozent der Befragten waren noch unentschieden.

Anders als Varoufakis lässt Tsipras seine Zukunft nach dem Referendum bislang noch offen. Tsipras legte sich am Donnerstag nicht eindeutig auf einen Rücktritt im Falle eines Ja bei dem Referendum fest. Auf eine entsprechende Frage in einem Interview mit dem Fernsehsender ANT1 antwortete er lediglich, die "Entscheidung des griechischen Volks wird respektiert, ich werde das von der Verfassung vorgesehene Verfahren in die Wege leiten".

Ex-Premier plädiert für "Ja"

In der Frage melden sich nun auch die Konservativen zu Wort: Der ehemalige Ministerpräsident Kostas Karamanlis der Nea Demokratia trat vor Fernsehkameras und appellierte an die Griechen, am Sonntag mit "Ja" zu stimmen. Wer glaube, ein "Nein" stärke die Verhandlungsposition Athens, irre sich. Stattdessen sei es der "erste Schritt aus Europa heraus".

Der frühere Chef der Nea Demokratia war von 2004 bis 2009 Regierungschef und hielt sich danach öffenlich aus der Politik heraus.

Parlament in Athen geschlossen

Das griechische Parlamentsplenum soll erst am 7. Juli wieder tagen. Das verfügte die Parlamentspräsidentin Zoi Konstantopoulou. Damit kann das für Sonntag angesetzte Referendum über die Vorschläge der internationalen Gläubiger im Prinzip nicht mehr abgesagt werden. Oppositionspolitiker hatten gefordert, den Beschluss der Abstimmung zu revidieren. Die Syriza-Politikerin Konstantopoulou wies jede Kritik an der Volksabstimmung in einer Erklärung zurück und verteidigte das angestrebte "Nein" mit den Worten, es werde "künftige Generationen" stolz machen.

Indes erodiert die Koalition in Athen zusehends: Sechs der 13 Abgeordneten der Rechtspopulisten (Anel) distanzierten sich vom Regierungskurs. Kostas Damavolitis sagte: "Ich habe kein Mandat für einen Grexit." Sein Parteikollege Wassilis Kokkalis sagte: "Ich habe kein Mandat für die Schließung der Banken und für einen Haircut der Bankeinlagen."

Lagarde verlangt "erwachseneres" Verhalten

Die Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), Christine Lagarde, warf der Regierung in Athen indirekt Unvernunft vor. "Angesichts des Maßes an Unsicherheit, Verwirrung und ständiger Bewegung wäre aus meiner Sicht weiterhin ein bisschen mehr Erwachsensein erforderlich", sagte Lagarde dem US-Fernsehsender CNN.

Dass Griechenland gegenüber dem IWF in Zahlungsverzug geraten sei, sei "eindeutig keine gute Entwicklung". Schließlich hindere dies den Fonds derzeit daran, Griechenland weitere Hilfen zukommenzulassen. Voraussetzung für weitere Hilfen seien weitere tiefgreifende Reformen. Griechenland war in der Nacht als erstes Industrieland beim IWF in Zahlungsverzug geraten. Athen ließ die Frist für eine fällige Rückzahlungsrate von 1,5 Milliarden Euro verstreichen.

EZB gewährt letzte Frist

Mit einer umstrittenen Entscheidung hielt die Europäische Zentralbank am Mittwochabend den Druck auf Griechenland aufrecht und gewährte Athen kein frisches Geld. Der Rat der EZB entschied in Frankfurt, dass der Rahmen für die Notfallkredite bei etwa 89 Milliarden Euro eingefroren bleibt.

Eigentlich sehen die Regeln vor, dass die ELA-Notkredite nur an solvente Banken vergeben werden dürfen. An der Solvenz des griechischen Finanzsystems gibt es große Zweifel, weil die Banken viele griechische Staatsanleihen halten. Weil Athen den IWF nicht bezahlt hat und nicht mehr unter dem Hilfsprogramm der EU steht, gilt der Staat praktisch als pleite.

Die griechische Zentralbank hatte eine Erhöhung des ELA-Volumens um mehrere Milliarden Euro beantragt, weil das Geld knapp wird. Die griechischen Sparer dürfen seit Sonntag zwar nur noch 60 Euro am Tag abheben, doch auch diese Beträge trocknen in der Summe die Bargeldvorräte schnell aus. Die EZB-Erlaubnis, das ELA-Limit beizubehalten, gilt bis auf Weiteres, wohl bis Montag, wenn das Referendum ausgezählt sein sollte.

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SZ/Reuters/AFP/csc/jasch/kabr/fued
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