Umdenken:Harte Landung

Die Talfahrt an Chinas Börsen zeigt nun Auswirkungen auf die Realwirtschaft - das trifft auch deutsche Exporteure

Von Christoph Giesen, Peking

Selbst an Bushaltestellen warben die Broker: "Ich gebe dir Geld, du kaufst Aktien und machst Geld", so steht es noch immer auf einem Plakat, das inzwischen ein wenig verwelkt an der Außenwand eines Wartehäuschens in der Hafenstadt Tianjin hängt. Dazu eine Handynummer. Ruft man dieser Tage dort an, ist das Gespräch schnell beendet. Geld zum Zocken gibt es nicht mehr.

Millionen Chinesen haben in den vergangenen Monaten an der Börse spekuliert. Im Dezember 2014 zogen die Aktien plötzlich an, bis vor ein paar Wochen ging es gut, nun fallen die Kurse. Mit der chinesischen Realwirtschaft hatte diese Börsenblase zunächst wenig zu tun. "Chinas Börsenboom ist politisch gewollt", sagt Sandra Heep. Sie ist die Leiterin des Programmbereichs Wirtschaftspolitik und Finanzsystem am Mercator Institute for China Studies (MERICS) in Berlin. "Im vergangenen Jahr hat die Regierung keinen Zweifel daran gelassen, dass sie einen Aufschwung an den Börsen sehen möchte." Mit dem Geld, das Millionen an den Börsen investierten, sollten sich die verschuldeten Staatskonzerne gesundstoßen und kleinere Unternehmen, die bei Kreditrunden übergangen werden, refinanzieren.

Dass die Kurse dabei so schnell hoch und nun auch wieder runtergehen, liegt vor allem daran, dass viele Anleger hochriskante Wetten eingegangen sind. Für jede Aktie, die sie kauften, liehen sie sich oft das Geld für bis zu neun weitere bei Brokern und Schattenbanken. Geht das gut, wird man reich, läuft die Wette schief, kann man schnell alles verlieren. Und Millionen Chinesen haben in den vergangenen Wochen verloren. Nun fehlt vielen das Geld für neue Anschaffungen, für neue Handys, Autos, Wohnungen. Und damit könnte die chinesische Krise auch die Realwirtschaft und somit Deutschlands Industrie erfassen, die seit Jahren viel Geld in China verdient.

Umdenken: Importe? Wozu? Die Chinesen können es selbst. Bauer Guo fährt mit seinem Enkelsohn in dem selbstgebauten "Lamborghini" durch die Straßen von Zhengzhou.

Importe? Wozu? Die Chinesen können es selbst. Bauer Guo fährt mit seinem Enkelsohn in dem selbstgebauten "Lamborghini" durch die Straßen von Zhengzhou.

(Foto: AFP)

Besonders betroffen sind Konsumgüterhersteller. Vor allem die Autoindustrie, die viele Jahre einen Großteil ihrer Gewinne just in der Volksrepublik gemacht hat, merkt die Auswirkungen der Börsenkrise derzeit. Die Verkäufer von BMW und VW melden bereits, dass sie ihre Wagen nur noch mit kräftigen Abschlägen los werden.

Aber auch ohne die Turbulenzen an der Börse wird es für deutsche Konzerne schwieriger in China. Am vergangenen Mittwoch verkündete die Regierung eine Steigerung des Wirtschaftswachstums von 7,0 Prozent - deutlich weniger als in den Jahren zuvor. Für Staats- und Regierungschefs in Europa mögen die chinesischen Zuwachsraten noch immer phantastisch klingen. Allerdings: Chinas Führung muss Jahr für Jahr allein für Bauern, aus denen Städter werden, zehn Millionen neue Jobs schaffen, denn im Gegensatz zu Europa lebt in China noch gut 50 Prozent der Bevölkerung auf dem Land. Bis vor wenigen Jahren war vor allem die Exportindustrie für einen Großteil der Wachstumssteigerung verantwortlich, das ist nicht mehr so. Im vergangenen Jahr machte der Binnenkonsum 51,2 Prozent des Wirtschaftswachstums in China aus. Sollte durch die Verluste an den Börsen der Konsum zurückgehen, könnte das chinesische Wirtschaftswachstum noch stärker eingebremst werden.

Die Regierung pumpt Geld in die Wirtschaft - für den Ausbau der Infrastruktur

Seit Monaten hatte Chinas Premier Li Keqiang das Volk auf geringere Wachstumsquoten vorbereitet. Von "neuer Normalität" spricht er. Qualität statt Geschwindigkeit, darum gehe es beim Wachsen. In der Vergangenheit hatte Chinas Führung das Wachstum künstlich hoch gehalten, in den Jahren nach dem Platzen der Immobilienblase in der westlichen Welt und dem Ableben von Lehman Brothers wurde unter Lis Vorgänger Wen Jiabao ein gigantisches Konjunkturprogramm aufgelegt, um die Einbrüche im Exportgeschäft abzufedern. 700 Milliarden Dollar flossen in den Ausbau des Hochgeschwindigkeitszugnetzes, neue Flughäfen wurden errichtet, Autobahnen geteert, Immobilien hochgezogen. Die Folge: Die Verschuldung der Kommunen und Provinzen zog an. Auch viele Staatskonzerne haben hohe Forderungen in den Büchern, in der Zement- und der Stahlindustrie gibt es Überkapazitäten.

Umdenken: SZ-Grafik: Lisa-Marie Prankl; Quelle: National Bureau of Statistics of China/Bloomberg

SZ-Grafik: Lisa-Marie Prankl; Quelle: National Bureau of Statistics of China/Bloomberg

Dennoch hat die chinesische Regierung unter Li Keqiang im Frühjahr ein eigenes Stimuluspaket in Höhe von umgerechnet mehr als 100 Milliarden Euro aufgelegt, das in den Infrastrukturausbau fließen soll. Für China bedeutet das wieder mehr Schulden. Für Unternehmen wie Siemens Umsatz. Noch verdienen die Münchner ordentlich in der Volksrepublik, doch wie vielen anderen westlichen Konzerne macht auch Siemens die Konkurrenz aus China mehr und mehr zu schaffen. Bei Ausschreibungen werden chinesische Hersteller schon mal bevorzugt, auch wenn sie eigentlich noch das qualitativ schlechtere Produkt anbieten. Die Grundlagenforschung privater Konzerne wird an staatlichen Universitäten verrichtet, ohne dass das jemals in Rechnung gestellt wird.

Anfang der Woche war Siemens-Vorstand Siegfried Russwurm für zwei Tage in Peking, um ein neues Forschungskonzept vorzustellen. "China ist ziemlich normales Land", sagte er bei der Vorstellung, genauso wie Premier Li es oft sagt. Man kann Russwurms Worte als Lob auffassen: China ein Land, das berechenbarer geworden ist. Genauso gut kann man es aber auch als den Anfang vom Ende des China-Booms deuten.

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