Süddeutsche Zeitung

Ultraschneller Computerhandel:Milli-Zocker auf Kosten der Gesellschaft

An der Börse haben die Computer die Macht übernommen. In Millisekunden entscheiden sie, ob eine Aktie gekauft oder abgestoßen wird. Die Algorithmen wirbeln den Handel durcheinander. Für sie sind die Börsen nicht da.

Markus Zydra

Der Gedanke daran wirkt gespenstisch. Ein Auto fährt in die Kurve, doch es fehlt die Hand am Lenkrad. Der Fahrer sitzt zwar auf seinem Sitz, aber er liest Zeitung. Der Autopilot hat die Steuerung übernommen. So könnte die Zukunft des Straßenverkehrs aussehen.

An den internationalen Börsen hat der Computer die Kontrolle bereits übernommen. Das ist keine Testphase mehr wie im Autogeschäft, vielmehr werden bereits bis zu 75 Prozent des Aktiengeschäfts automatisiert abgewickelt. Der Hochfrequenzhandel macht es möglich. Hier entscheiden Computerprogramme, wann und wie häufig ein Aktienpaket gekauft wird, und zwar innerhalb einer Millisekunde. Eine Sekunde gleich 1000 Millisekunden, ein Wimpernschlag.

Natürlich kann bei dieser komplexen Handelstechnologie einiges schiefgehen. Zuletzt brachen der Börsenhandel in Madrid und Tokio wegen technischer Probleme zusammen. An der Wall Street machte dieser Tage die US-Handelsfirma Knight Capital 400 Millionen Dollar Verlust, weil die Handelssoftware falsch programmiert war und 45 Minuten lang völlig irrsinnige Kaufentscheidungen traf.

Diesmal blieb der Schaden auf den Verursacher beschränkt. Vor zwei Jahren, im Mai 2010, spielte gleich der gesamte amerikanische Aktienmarkt verrückt, manche Aktien in New York verloren binnen Minuten 90 Prozent an Wert. Das Ereignis ging als Flash Crash in die Geschichte ein. Schuld war ein wildgewordener Algo-Trader. So nennt man diese Hochfrequenzhändler, weil ihre Programme Algorithmen, also Rechenregeln, folgen.

Schon damals stand die erschreckende Frage im Raum: Können diese Systeme Amok laufen? Können sie das Finanzsystem zum Kollaps bringen?

Es gibt die einfache Antwort, und die lautet: Fehler passieren immer, aber die Stabilität des Finanzsystems ist nicht gefährdet. Bei Knight Capital ist jemand am Steuer eingeschlafen - denn wenn Systeme verrückt spielen, gibt es den Notschalter, der binnen einer Sekunde den Spuk beenden könnte. Dieser Schalter wurde zu spät bedient. Auch die US-Börse, wo Knight Capital handelte, hätte merken müssen, dass etwas schiefläuft, aufgrund der wirren Preisangebote.

Diese Pannen sind also erklärbar, aber das reicht nicht. Es geht bei diesem Thema um eine grundsätzliche Frage: Für wen sind Börsen heutzutage noch da?

In ihrer langen Geschichte hatten Börsen zwei Aufgaben: Aufstrebende Firmen langfristig mit dem Kapital der Sparer zu versorgen sowie Investoren einen Markt zu bieten, wo sie ihre Aktienpakete veräußern können. Es kam häufig vor, dass Eigentümer verkaufen wollten, doch zu diesem Zeitpunkt niemand Interesse hatte. Dann sprangen die Zwischenhändler auf dem Parkett ein und erwarben die Aktien, um sie kurz danach weiter zu verkaufen, möglichst mit Gewinn.

Ab den 1990er Jahren wurden die Parketthändler aus Fleisch und Blut immer häufiger ersetzt durch automatisierte Handelsprogramme. Der Computer eroberte die Börsen. Das Handelstempo wuchs. Jetzt dominiert der Hochfrequenzhandel den globalen Finanzmarkt und bestimmt folglich auch die Aktienkurse.

Die Computerprogramme reagieren auf kurzfristige Preistrends. Wenn beispielsweise der Siemens-Kurs eine Stunde lang steigt, dann kauft der Algo-Trader. Das klingt trivial und ist doch Hightech. Man kann es mit einem Pokerspiel vergleichen, wo der eine dem anderen heimlich in die Karten schaut.

Hochfrequenzhändler mit exzellenter Software sehen in den Orderbüchern vor allen anderen, welche Aktien gekauft werden - es ist nur eine Millisekunde Vorsprung, doch das reicht, um daraus Profit zu schlagen. Ein weiterer Kniff: Algo-Trader fluten die Börse mit unzähligen Kauforders, um eine Nachfrage zu simulieren. Kurz vor Ausführung stornieren sie und schlagen aus der Preisbewegung Kapital.

Natürlich, auch die Parketthändler früher waren gewiefte Leute, die manchmal mit falschen Karten gespielt haben. Doch jetzt hat sich die Balance verschoben.

Der Börsenhandel wird dominiert von Naturwissenschaftlern, die Handelssysteme entwerfen, denen es gar nicht darum geht, wie gut die betriebswirtschaftlichen Aussichten eines Konzerns sind oder was der Vorstandschef kann. Es geht darum, Preisbewegungen im Sekundentakt zu antizipieren. Es geht ums Zocken - nicht mehr um langfristiges Investieren.

Der irische Poet Oscar Wilde schrieb, ein Zyniker kenne den Preis von allem, und den Wert von nichts. Es gibt diesen Zynismus an den internationalen Börsen, zum Schaden der Gesellschaft.

Linktipp: Die Firma Nanex zeigt in einer beeindruckenden Grafik, wie der Hochfrequenzhandel von Januar 2007 bis Januar 2012 zugenommen hat.

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SZ vom 09.08.2012/bbr
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