Zwei Jahre ist es her, dass der ukrainische Finanzminister die größte Bank des Landes verstaatlichen musste. Die Privat Bank, die den Oligarchen Igor Kolomoisky und Gennadij Boholjubow gehörte, war durch massive Kreditvergabe an Insider und andere fragwürdige Manöver in Schieflage geraten. Der Finanzminister musste zur Rettung der Bank 5,5 Milliarden Dollar Steuergeld zuschießen - das entsprach weit mehr als einem Zehntel des Staatshaushaltes. Die nun staatliche Privat Bank versucht, sich zumindest einen Teil des Geldes zurückzuholen und hat die ehemaligen Besitzer verklagt. Allerdings nicht in Kiew, sondern in London. Der Grund: Die Bank fürchtet, dass sie bei einheimischen Richtern keine Chance gegen die ebenso reichen wie politisch einflussreichen Oligarchen habe.
Das Vorgehen der Staatsbanker ist so bemerkenswert wie begründet. Bis in die Spitzen des Staates sind korrupte oder politisch kontrollierte Amtsträger - Polizisten und Geheimdienstler, Staatsanwaltschaften und Richter eingeschlossen - auch für die Wirtschaft das mit Abstand größte Hindernis, wie kürzlich die Weltbank oder Umfragen der Nationalbank bei Unternehmern bestätigten. Würden nicht jedes Jahr viele Milliarden des Staatshaushaltes gestohlen, bräuchte Kiew keinen Euro Kredit. Gleichwohl haben Kiews internationale Geldgeber, geführt von Internationalem Währungsfonds (IWF), Weltbank und EU, der Ukraine gerade weitere Milliardenkredite bewilligt. Washington und Brüssel stützen in Kiew ein korruptes System, weil sie glauben, dass ihnen im geopolitischen Ringen gegen das expansive Russland nichts anderes übrig bleibt.
Kredite sollen eigentlich helfen, Reformen umzusetzen oder zu beschleunigen
Kredite sollen helfen, Reformen umzusetzen oder zu beschleunigen. Das haben sie in der Ukraine nur in Ausnahmefällen erreicht: Die staatliche Gasgesellschaft Naftogaz wurde ebenso reformiert wie der Bankensektor; gerade wurde auch der Gaspreis für private Haushalte erhöht, der bisher massiv subventioniert wird. Generell aber haben die Milliarden aus Washington und Brüssel Präsident Petro Poroschenko und seinen Alliierten Zeit gekauft, um nichts zu tun oder Reformen gar zu sabotieren. Weder kam eine Landreform in Gang noch die Privatisierung verlustbringender Staatsbetriebe. Zoll und Steuerdienst sind weiter politisch kontrollierte, notorisch korrupte Selbstbedienungsläden. Das Gleiche gilt für die Armee und für den Inlandsgeheimdienst SBU, der Poroschenko untersteht und oft Unternehmer unter Druck setzt.
Gewiss, bevor etwa der IWF eine Kredittranche überweist, müssen bestimmte Reformgesetze verabschiedet sein. Doch die Reformansätze der westlichen Geldgeber gehen von vornherein nicht weit genug. Zudem ist die Verabschiedung von Gesetzen eine Sache, ihre Umsetzung eine andere. Reformen wurden und werden in der Ukraine gern imitiert. Da werden Anti-Korruptions-Behörden gegründet, doch vom Präsidialapparat kontrolliert, oder Ermittlungen von politisch kontrollierten oder korrupten Staatsanwälten und Richtern sabotiert. Ein nominell gegen Korruption kämpfender Sonderstaatsanwalt ist diskreditiert, doch darf im Amt bleiben. Da wird zwar das Oberste Gericht neu besetzt, doch nach der ebenfalls vom Präsidialapparat kontrollierten Auswahl landen dort wieder Dutzende korrumpierter oder anders diskreditierter Richter.
Die Ukraine braucht dringend ausländische Investitionen, um ihren wirtschaftlichen und technologischen Rückstand aufzuholen. Doch Investoren sehen Korruption und dysfunktionale Justiz - und gehen lieber etwa nach Polen. Beim Ende des Kommunismus standen Polen und die Ukraine auf einer Stufe. Heute liegt der ukrainische Mindestlohn bei nur umgerechnet 130 Euro, Polen verdienen mindestens das Drei- oder Vierfache. So pendeln Hunderttausende Ukrainer nach Polen - und bald, wenn am 1. Januar das Zuwanderungsgesetz in Kraft tritt, weiter nach Deutschland, um dort Geld zu verdienen.
Im eigenen Land kommen normale Ukrainer oft auf keinen grünen Zweig. Dagegen ist das Vermögen der 100 reichsten Ukrainer dem Ökonomen Olexander Honcharov zufolge zwölf Mal stärker gewachsen als die Wirtschaft. Die 100 reichsten Ukrainer, von denen etliche ihren Reichtum in kurzer Zeit mit oft zweifelhaften Manövern aufgebaut haben, kontrollieren Vermögen von 37,5 Milliarden Dollar - das ist der Hälfte der Staatsschuld. Doch nicht ein Oligarch, nicht ein hoher Amtsträger ist in der Präsidentschaft Poroschenkos wegen Korruption oder unseriöser Geschäfte im Gefängnis gelandet. Kein Wunder: Poroschenko gehört selbst zu den Oligarchen.
Gewiss, Kiews Geldgeber sind nicht blind. Der IWF etwa fror im Sommer 2017 die Kreditauszahlung wegen ausbleibender Reformen ein - doch nur vorübergehend. Nach mehrjähriger Verzögerung durch Poroschenko beschloss das Parlament vor Kurzem zwar die Gründung eines Anti-Korruptions-Gerichtes. Doch die von einem diskreditierten ukrainischen Gremium geleitete Auswahl der Richter verläuft bisher nicht besser als beim diskreditierten Obersten Gericht.
Gleichwohl haben jetzt IWF, EU und Weltbank den Geldhahn wieder aufgedreht - und ihren alten Sündenfall wiederholt. Bleibt Poroschenko nach der Präsidentschaftswahl im März 2019 im Amt, wird er kaum Grund haben, seine Linie zu ändern. Und sollte die frühere Ministerpräsidentin Julia Timoschenko an die Stelle Poroschenkos treten, dürfte auch sie mit Blick auf mangelnde Konsequenz der westlichen Kreditgeber kaum Anlass sehen, Reformen zuzustimmen, die die Korruption, welche die Ukraine im Würgegriff hat, endlich aufbrechen würden.