Ukraine:Die Ukraine knöpft sich ihre reiche Elite vor

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Woher stammt ihr Luxusauto? In der Ukraine müssen Staatsdiener ihre Vermögensverhältnisse offenlegen. Im Bild ein Ferrari-Showroom in Kiew.

(Foto: Yuriy Dyachyshyn/AFP)
  • Die meisten Politiker und Richter in der Ukraine sind unendlich viel reicher, als es ihre niedrigen Gehälter erlauben würden.
  • Seit kurzem müssen sie ihre Vermögen offenlegen. Der IWF und die USA fordern weitere Schritte. Doch dagegen gibt es Widerstand von einflussreicher Seite.

Von Cathrin Kahlweit, Kiew

Artjom Sytnyk hat es eilig, und er ist schlecht gelaunt. Der Chef des Nationalen Antikorruptionsbüros (NABU) hat mal wieder einen schwierigen Termin mit dem mächtigen Generalstaatsanwalt; zwischen den beiden Männern, die eigentlich vereint gegen die Korruption in der Ukraine kämpfen sollten, gibt es einen Dauerstreit um Kompetenzen, um Über- und Eingriffe, darum, wer gegen wen ermitteln darf.

Dass dies eine Kernfrage im Antikorruptionskampf in der Ukraine ist, liegt auf der Hand: Das Justizwesen gilt als verkommen, seine Reform geht nur mühsam voran, und die Generalstaatsanwaltschaft mit ihren knapp 20 000 Mitarbeitern wurde auch unter dem mittlerweile vierten Chef seit der ukrainischen Wende, dem Nicht-Juristen Jurij Lutsenko, nicht grundlegend umgebaut. NABU wurde daher, auch auf Druck des Westens, als Korrektiv, als Saubermann-Truppe gegründet, um die großen Korruptionsfälle der hohen Tiere zu überprüfen: nicht die Alltagskorruption, die kleinen Scheine für Polizisten oder die Briefumschläge für Lehrer, sondern die Ausraubung des Staates durch den Staat.

Der 35 Jahre alte Sytnyk war einfacher Anwalt, als er in einem aufwendigen Verfahren zum Leiter der neuen Behörde gemacht wurde. Jetzt stehen seine Ermittler vor einer Herkulesaufgabe: Die NABU-Klientel - hohe Beamte, Minister, Abgeordnete, Richter - sind neuerdings per Gesetz gezwungen, in einer "E-Deklaration" ihr Vermögen offenzulegen, und das ihrer engsten Familienmitglieder gleich mit. Die Erklärungen sind in einer offen zugänglichen Datenbasis für jeden Bürger einzusehen; seit dem 30. Oktober wurden bereits mehr als 100 000 Vermögenserklärungen eingereicht - inklusive der des Präsidenten, der seine Erklärung erst in letzter Minute abgab. Und täglich werden es mehr.

Die Geburt der Behörde war mühsam, mehrere Male stand sie vor dem Aus. Das Ergebnis der ersten Veröffentlichungen war so schockierend wie erwartbar: Die meisten Politiker und Richter sind unendlich viel reicher, als es ihre niedrigen Gehälter erlauben würden. In einem Staat, in dem das Durchschnittseinkommen bei knapp 200 Euro liegt, fragen sich nun viele: Wie können sich schlecht bezahlte Abteilungsleiter, Staatsanwälte, Kabinettschefs brillantbesetzte Uhren, teure Weine, Ikonen, Apartmenthäuser, Porsches leisten, und wieso horten so viele von ihnen Bargeld in Millionenhöhe? Wie viel Vermögen haben Politiker verschwiegen, außer Landes gebracht? Sytnyk gibt sich kämpferisch: "Diese Leute glauben, dass sie weiter Schmiergeld entgegennehmen, es in eine Kiste legen und im Garten vergraben können. Aber wer nicht erklären kann, ob er geerbt hat, eine Firma hatte, ob die Rolex ein Geschenk des Onkels war, der muss mit einer Anklage rechnen."

Elektronische Vermögenserklärungen sind in einem Land, das im internationalen Korruptionsindex auf Platz 130 steht, eine Sensation. Das System könnte auch für westeuropäische Staaten Vorbild sein. Premier Wladimir Grojsman, sagt, das Prozedere fühle sich an, als springe man ohne Fallschirm aus einem Flugzeug: ziemlich riskant also. Die Reaktion der Bevölkerung zeigt, wie riskant: Es herrschen Wut und Empörung, weil die Bereicherung weitergeht, als hätte es den Maidan-Aufstand nie gegeben.

Nun steht die nächste Frage im Raum: Wird es eine echte Strafverfolgung geben? Der Internationale Währungsfonds IWF und die USA fordern, die Vollmachten von NABU dringend auszuweiten, damit nicht alles beim alten bleibt. Die ersten Vermögensdeklarationen liegen vor, sie sollen jährlich aktualisiert, überprüft und mit dem Vorjahr abgeglichen werden. Dazu wurden weitere Behörden gegründet: das Nationale Büro für die Prävention von Korruption (NAPC), das die Erklärungen mithilfe von rund hundert mittlerweile öffentlich zugänglichen Datenbanken wie Katastern, Grundbüchern oder Steuererklärungen sichtet und Verdachtsfälle weiterreicht. Und eine Antikorruptions-Staatsanwaltschaft. So weit, so theoretisch gut.

Die Kritik aus der Zivilgesellschaft ist groß

Aber NABU und NAPC arbeiten erst seit kurzem, viele Stellen sind unbesetzt, das spezialisierte Korruptionsgericht, das Nichtregierungsorganisationen und Sytnyk fordern, gibt es noch nicht. Und der Dauerstreit mit der Generalstaatsanwaltschaft (GPU), die der Behörde kein Monopol auf die Verfolgung großer Fische zugestehen will, hat alle Seiten geschwächt.

Der Oberste Staatsanwalt Luzenko, ein Mann des Präsidenten, hat ohnehin seinen eigenen Plan. Luzenko kennt Gefängnisse von innen. 2010, unter Ex-Präsident Viktor Janukowitsch, war er in einem politischen Prozess angeklagt worden; er kehrte unter dem neuen Präsidenten als Fraktionschef der Poroschenko-Partei in die hohe Politik zurück. Seine Ernennung zum Obersten Ermittler machte eine "Lex Luzenko" möglich, weil der Politiker nie Jura studiert hat. Der zeigt in seinem Büro einen Metallbecher aus der Haft vor: "Ich weiß aus Erfahrung, wovon ich spreche." Luzenko liebt Schaubilder und Schemazeichnungen. Leider habe NABU bisher nur ein paar Dutzend Fälle gemeistert, sagt er bedauernd, während er bunte Bilder mit Vergleichszahlen präsentiert. Hinter ihm aber stünden 150 000 Menschen: Geheimdienst, Finanzpolizei, Staatspolizei, Staatsanwaltschaft. Da bleibe nichts, als zu helfen, Fälle an sich zu ziehen. Schließlich habe das Volk Anspruch darauf, dass sich schnell etwas ändert.

Die Kritik aus der Zivilgesellschaft ist groß: Das sei Show, Populismus. Luzenko sei von Poroschenko eingesetzt worden, um die eigenen Leute, die alte und neue Nomenklatura zu schützen. Kritische Korruptionsermittler, die sein Vorgänger entließ, habe er nicht wieder eingestellt. Er solle den Mächtigen Rückendeckung geben.

"Meine Deklaration stimmt. Das weiß ich genau", sagt Luzenko.

Nach Luzenkos Lesart soll bei den Ermittlungen in Zukunft unterschieden werden in jene, die sich unrechtmäßig bereichert, aber immerhin Steuern gezahlt hätten - "ihnen sollte das Volk Danke sagen" - und in jene, die das Volk bestohlen haben. Vielleicht sage einer, "meine Mama gab mir eine Million, als ich fünf Jahre alt war. Wir werden die Nachbarn fragen: Wo war Mama, vielleicht in Polen, in den USA? War sie reich? Nicht? Dann kommen weitere Fragen". Sein Ziel sei nicht, "alle ins Gefängnis zu kriegen", doziert Luzenko, während er weitere Schaubilder zeigt. Er geht eine Liste durch, liest Namen, Verdachtsfälle, Summen vor: links das angegebene Vermögen, rechts das Gehalt. Auch sein eigener Name ist darunter. Offiziell besitzen seine Frau und er mehrere Apartments, ein Haus und Grund, eine Ulysse-Nardin- und eine Breguet-Uhr, eine wertvolle Sammlung alter Bücher, eine Dior-Handtasche, mehrere Autos.

"Meine Deklaration stimmt. Das weiß ich genau", sagt er, und lacht. Ukrainische Medien berichten allerdings, dass er ein palastartiges Wohnhaus in Kiew an den Buchhalter seiner Frau überschrieben habe. Luzenko wischt das beiseite. Er wolle den "Kategorie-A-Leuten" Deals anbieten: Wenn sie 25 Prozent Steuern zahlen, 18 Prozent Einkommenssteuer plus Strafzahlung, "sind wir quitt." Zehn prominente Fälle mit Haftstrafen - das sei Abschreckung genug.

"Das ist programmiertes Chaos", sagt NABU-Chef Sytnyk verzweifelt. Er wirkt mit seiner gedrungenen Statur eher wie ein Boxer als ein Bürokrat, das hilft ihm vielleicht in seiner neuen Rolle. Kritiker der ersten Stunde wie die Leiterin des Aktionszentrums gegen Korruption, Daria Kalenjuk, die ihn für zu unerfahren hielten, finden inzwischen, er mache seine Sache gut. "Er leistet Widerstand gegen alle Versuche der Einschüchterung, die aus durchsichtigen Gründen stattfinden."

Richter müssen nun ihre Fähigkeiten nachweisen, nicht nur ihr Vermögen

Im Sommer etwa wollten Luzenkos Ermittler NABU durchsuchen - mit der Begründung, die Behörde höre illegal Verdächtige ab, obwohl sie dazu die Genehmigung der Staatsanwaltschaft brauche. Kurz darauf nahmen Ermittler Mitarbeiter von NABU fest, während diese einen Staatsanwalt überwachten; die Detektive wurden elf Stunden festgehalten und misshandelt. Auch er selbst und seine Leute, klagt Sytnyk, würden mit Ermittlungsverfahren überzogen. "Je mehr wir arbeiten, desto größer wird der Widerstand."

Aber es gibt Hoffnung. In der alten Ukraine hätte eine solche Durchsuchung geklappt. In der Nach-Maidan-Ukraine jedoch verbreitete sich die Nachricht wie ein Lauffeuer, kurz darauf protestierten Hunderte Unterstützer vor dem Haus. Nach langem Ringen wurde ein Gesetz erlassen, das NABU das Abhören Verdächtiger erlaubt. Und erste Schritte einer Justizreform wurden beschlossen. Richter müssen nun ihre Fähigkeiten nachweisen, nicht nur ihr Vermögen. Viele weigerten sich und gingen, auf den untersten Ebenen werden neue Kräfte rekrutiert.

Es geht voran, das sagt sogar Luzenko. Und legt ein Schaubild vor: "Die Fähigkeit der ukrainischen Generalstaatsanwaltschaft, eigene Vergehen zu untersuchen." Darunter in signalrot: "Die GPU hat 18 korrupte Ermittler bloßgestellt." Daneben, in kleinen Lettern, leicht zu übersehen: "NABU hat in neun Fällen geholfen.

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