Getreide-Fracht aus der Ukraine:26 000 Tonnen Mais im Angebot

Getreide-Fracht aus der Ukraine: Das Frachtschiff Razoni, unter der Flagge von Sierra Leone, hier in der Nähe von Istanbul.

Das Frachtschiff Razoni, unter der Flagge von Sierra Leone, hier in der Nähe von Istanbul.

(Foto: Mehmet Caliskan/REUTERS)

Der Frachter "Razoni" durfte nach dem Ende der Getreide-Blockade als erster den Hafen von Odessa in der Ukraine verlassen. Dann aber sprang der Käufer ab, und es kam zu einem bemerkenswerten Kurswechsel.

Von Patrick Hagen und Nakissa Salavati

Es ist keine beliebige Getreide-Fracht, die auf der Razoni lagert, es sind ganz besondere 26 000 Tonnen Mais. Sie liegen auf dem ersten Schiff, das nach dem Ende der Getreide-Blockade den Hafen von Odessa in der Ukraine verlassen konnte. Eine politische Fracht also, die unter Beobachtung steht - und die einen neuen Käufer sucht. Denn eigentlich hätte die Rizoni auf ihrem Weg nach Syrien im libanesischen Hafen Tripoli Halt machen sollen, hat aber offenbar einen Tag vor der Ankunft unerwartet ihren Kurs geändert und ankert nun vor dem türkischen Hafen in Mersin. Auf Schiffortungsdiensten wie vesselfinder.com und marinetraffic.com lässt sich der Aufenthalt von Frachtern wie der Razoni nachvollziehen.

Nach einer Inspektion in Istanbul steuerte das Schiff zuerst den Libanon an, erklärte als neues Ziel dann aber unerwartet "Order", also einen unbestimmten Ort, von dem aus ein Händler die geladene Ware dann bestellt, berichtet dpa. Der Käufer sei abgesprungen, hatte die ukrainische Botschaft im Libanon der Nachrichtenagentur am Montagabend unter Berufung auf die Spediteure mitgeteilt. Argument des Käufers: fünf Monate Wartezeit. Man sei auf der Suche nach einem neuen Empfänger im Libanon oder anderswo. Dass die Razoni ihren Zielort kurz vor Ankunft geändert habe, sei aber "etwas seltsam", sagte demnach ein Sprecher des Ortungsdienstes Marinetraffic.

Seltsam ist ohnehin so einiges im Fall der Razoni. Ist die Ladung zum Beispiel versichert? Was gilt für Schiffe, die zwischen den Fronten verkehren? Kriegsrisiken sind aus den Standardverträgen in der Schiffsversicherung ausgeschlossen. Ende Juli hatte der Versicherer Ascot dann zusammen mit dem Großmakler Marsh eine Versicherung speziell für die geplanten Getreideexporte aus der Ukraine mit einer Deckungssumme von 50 Millionen Dollar auf den Markt gebracht. Damit kann die Ladung abgesichert werden, allerdings nicht das Schiff oder die Mannschaft, erklärte ein Sprecher des Versicherers Ascot. Für Fälle, in denen der Ladungsempfänger nicht zahlt oder die Ware nicht mehr annimmt, käme der Versicherer nicht auf. Ob die Razoni, die dem libysch-türkischen Unternehmen Razoni Shipping Ltd. gehört, über die Deckung von Marsh und Ascot versichert ist, wollte er nicht sagen. Nach Angaben aus Branchenkreisen ist das aber nicht der Fall.

Wer kauft das Getreide jetzt ab?

Und wie kommt die Mais-Fracht nun, dort vor Mersin, an einen neuen Abnehmer? Getreide wird vor allem an Börsen gehandelt, am sogenannten Terminmarkt. Dort werden Verträge geschlossen und gehandelt, in denen für einen zukünftigen Zeitpunkt geregelt ist, wer welche Menge in welcher Qualität, zu welchem Preis und wann abnimmt. Werden diese Bedingungen nicht erfüllt - kommt die Ware zum Beispiel zu spät - ist es für den Käufer möglich, abzuspringen, so wie gerade geschehen. Nun muss der Mais also vor Ort verkauft werden, nach aktuellen Marktpreisen. Ein Faktor für den neuen Preis ist auch, ob die Qualität nach monatelanger Lagerung gelitten hat und für welche Verarbeitung sie sich noch eignet.

Angeblich ist die große Ladung Mais auf der Razoni für Tierfutter gedacht. Im Libanon hatte man dafür keine Verwendung: Man brauche in der schweren Wirtschafts- und Lebensmittelkrise Weizen, keinen Mais, sagte Hani Buschali, Präsident des libanesischen Konsortiums für Lebensmittelimporte. Libanesische Regierungsvertreter hatten der dpa gesagt, Händler hätten wohl einen Teil der erwarteten Mais-Ladung vom Libanon ins benachbarte Syrien bringen wollen. Der Export von Lebensmitteln nach Syrien ist legal, ist aber wegen der Finanzsanktionen des Westens gegen die syrische Regierung erschwert. Die Hisbollah etwa schmuggelt in großem Stil unter anderem Lebensmittel und Medizin nach Syrien und kontrolliert auch die meisten illegalen Grenzübergänge.

Das russisch-ukrainische Getreideexport-Abkommen, von der Türkei und den Vereinten Nationen vermittelt, hatte die Reise des Frachters überhaupt erst ermöglicht. Seit Kriegsbeginn liegen in den Häfen und Silos der Ukraine Millionen Tonnen Getreide fest. Sie können wegen der russischen Seeblockade nicht exportiert werden, zudem hat die Ukraine die drei Häfen, die sie noch kontrolliert, selbst vermint. Die Vereinten Nationen hoffen, dass nun weitere Schiffe ukrainische Häfen verlassen könnten. 27 Frachter seien bereit, auszulaufen. Für die Ukraine sind damit hohe Einnahmen verbunden: Das Land ist einer der größten Getreideexporteure der Welt, abhängig von ihren Lieferungen sind vor allem nordafrikanische Länder und der Nahe Osten.

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