Süddeutsche Zeitung

Ukraine:Die Regierung muss drastisch sparen

Nicht nur die Corona-Krise setzt dem Land zu, sondern auch die Betrugsaffäre um eine Bank. Der IWF verlangt harte Gesetze, bevor er neue Kredite gewähren will.

Von Florian Hassel, Warschau

Es ist ein Haushalt mit gewaltigen Löchern, den das ukrainische Parlament am 13. April beschlossen hat. Die Steuereinnahmen brechen ein, die Ausgaben für den Kampf gegen das Coronavirus steigen; das Haushaltsdefizit wird sich voraussichtlich mehr als verdreifachen. Und es sei gut möglich, dass es noch schlimmer komme, warnte der Chef der Präsidentenfraktion "Diener des Volkes", David Arachamia. Dann werde der Haushalt weiter zusammengestrichen.

Nicht einmal 40 Milliarden Euro macht der Staatshaushalt der 44 Millionen Einwohner zählenden Ukraine umgerechnet aus. Doch allein bis Ende 2022 muss Kiew über 22 Milliarden Euro Auslandsschulden zurückzahlen. Die Zahlungsunfähigkeit kann die Ukraine nur mit Milliardenkrediten aus dem Ausland vermeiden. Die einzige Hoffnung ist der Internationale Währungsfonds (IWF): Der soll Kiew insgesamt acht Milliarden Dollar Kredite gewähren. Weitere zwei Milliarden sollen etwa von Weltbank und EU kommen. Ein Deal mit dem IWF sei für die Ukraine so dringend wie "Blut für den menschlichen Körper", so Präsident Wolodimir Selenskij am Freitagabend.

Der IWF gibt allerdings nur Geld, wenn Kiew endlich ein Gesetz beschließt, das die Rückgabe der verstaatlichten Privatbank, der größten des Landes, an seine ehemaligen Eigentümer ausschließt. Denn die Oligarchen Ihor Kolomoiskij und Gennadij Bogoljubow hatten mit Geschäftspartnern die ihnen gehörende Bank mit systematischer Geldwäsche über Jahre ausgeplündert - zu diesem Ergebnis kamen jedenfalls die Finanzdetektei Kroll und die ukrainische Zentralbank NBU. Im Dezember 2016 wurde die Bank eilends verstaatlicht, der Finanzminister musste gut 5,5 Milliarden Dollar einschießen.

Privatbank und NBU versuchen mit Prozessen in England und den USA, in Israel, auf Zypern und der Schweiz, die Milliarden von Kolomoiskij, Bogoljubow und Partnern zurückzuholen. Diese bestreiten öffentlich jede Schuld. Ein Londoner Richter sah freilich bereits Belege für "Betrug von epischem Ausmaß". England Oberstes Gericht bekräftigte am 6. April, Kolomoiskij und Bogoljubow müssten sich in London - voraussichtlich erst 2021 - zum Prozess stellen. Allein in London beträgt die Streitsumme drei Milliarden Dollar, plus hinzukommender Zinsen von rund 500 000 Dollar täglich.

Kolomoiskij dürfte deshalb versuchen in Kiew zu bleiben. Dort geht die Justiz bis heute nicht gegen ihn und seine Geschäftspartner vor. Sein Einfluss ist groß, 2019 verhalf er Selenskij mit ins Präsidentenamt. Und vor den notorisch korrupten ukrainischen Gerichten klagen der Oligarch und seine Verbündeten auf die Rückgabe der Privatbank oder auf Entschädigung für angeblich ihnen zugefügtes Unrecht.

Der Oligarch Kolomoiskij wehrt sich mit allen Mitteln gegen schärfere Regeln

Zwar ließ Präsident Selenskij das vom IWF verlangte Bankengesetz schon im Herbst 2019 entwerfen. Doch Kolomoiskij kann laut dem ehemaligen Abgeordneten Serhij Leschtschenko im Parlament auf bis zu 40 für seine Interessen sorgenden Abgeordnete zählen, auch innerhalb der Präsidentenfraktion. Monatelang verhinderten diese die Verabschiedung des Gesetzes. Am 30. März wurde es schließlich in erster Lesung angenommen - doch das Kolomoiskij-Lager lief nun zu Hochform auf. Abgeordnete wie der ehemals für Kolomoiskijs Fernsehsender 1+1 arbeitende Moderator Alexander Dubinskij reichten insgesamt 16 572 Änderungsvorschläge zu dem Gesetz ein - genug, um das Parlament bis zum Herbst lahmzulegen, so der Parlamentspräsident.

Um das Bankengesetz trotzdem bis Anfang Mai zu beschließen und die ersten IWF-Milliarden zu bekommen, beschlossen die Abgeordneten am Donnerstag, dass bei mehr als 500 Änderungsanträgen zu einem Gesetz diese schon im zuständigen Ausschuss en bloc abgelehnt werden dürfen. Kolomoiskijs Alliierte blieben indes nicht faul und reichten postwendend neue Anträge ein, um die Ausfertigung des En-Bloc-Gesetzes und die Unterschrift durch Präsident Selenskij zu verhindern. Gleichzeitig gibt es Zweifel am Willen des Präsidenten, konsequent gegen Kolomoiskij und andere Oligarchen vorzugehen.

Selenskij trifft sich regelmäßig mit Kolomoiskij und anderen Oligarchen. Bis Mitte Februar war Kolomoiskijs ehemaliger Anwalt Andrj Bohdan der Stabschef des Präsidenten. Sein Nachfolger Andrij Jermak empfing in der Zeit, in der als über das Bankengesetz gerungen wurde, drei Mal Timur Mindic, Ex-Geschäftspartner von Präsident Selenkskij. Und dieser ist ein enger Freund und Geschäftspartner Kolomoiskijs. Als der ukrainische Dienst von Radio Liberty dies herausfand, rechtfertigte Stabschef Jermak die Treffen mit Mindic mit dessen angeblich selbstlosen Hilfsangeboten in der Corona-Krise.

Selbst wenn das Bankengesetz beschlossen wird, ist fraglich, ob es auch Bestand haben wird: Vor ukrainischen Gerichten laufen rund 550 Prozesse, bei denen zum einen die Privatbank versucht, vom Kolomoiskij und seinen Verbündeten verschwundene Milliarden zurückzubekommen. Zum anderen will das Kolomoiskij-Lager seinerseits die Verstaatlichung für illegal erklären oder hohe Entschädigungen erstreiten. Der Ausgang ist in beiden Fällen noch offen

Einige Ominöse Entscheidungen gibt es jedoch bereits, und weitere könnten folgen. So entschied das Kiewer Berufungsgericht nach etlichen Merkwürdigkeiten und Manipulationen am 15. April, die Privatbank müsse Geschäftspartnern Kolomoiskijs gut eine Viertelmilliarde Dollar für angeblich unrechtmäßig beschlagnahmte Vermögenswerte bezahlen.

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SZ vom 20.04.2020
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