Leoni:Ein Autozulieferer kämpft um seine Zukunft

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Kabelproduktion in Roth: Leoni verkauft diese Sparte an ein Unternehmen aus Thailand. (Foto: Daniel Karmann/dpa)

Die 100 000 Beschäftigten der Leoni AG durchleben seit Jahren harte Zeiten. Nun aber scheint eine Zukunftsstrategie gefunden, und sogar in der Ukraine wird wieder produziert.

Von Uwe Ritzer, Roth/Nürnberg

Die "Fabrik der Zukunft" ist Vergangenheit. Zumindest bei der Leoni AG, jenem Kabelspezialisten, der 100 000 Menschen beschäftigt, die vorwiegend Aufträge der Automobilindustrie abarbeiten. Der Konzern steckt seit Jahren in der Krise, ausgelöst durch Managementfehler, zu denen sich kuriose Pannen gesellten, wie nicht bezahlte Software-Lizenzgebühren oder ein Enkeltrick, mit dem Gauner das Unternehmen auf ziemlich simple Weise um 40 Millionen prellten. Es folgten Pandemie, Lieferkrise und der Überfall auf die Ukraine, wo Leoni Bordnetze für diverse Automarken fertigt. Die "Fabrik der Zukunft" im fränkischen Roth aber, seit 2015 für knapp 100 Millionen Euro unmittelbar am Main-Donau-Kanal hochgezogen, steht technisch und wirtschaftlich glänzend da. Als könnte ihr keine Krise etwas anhaben.

Die Zukunftsfabrik geht an einen Konkurrenten aus Thailand

Trotzdem ist Leoni dabei, sie zu verkaufen. Der thailändische Kabelhersteller Stark Corporation zahlt 400 Millionen Euro für die komplette "Automotive Cable Solutions" genannte Leoni-Sparte, die insgesamt zehn Werke mit 3300 Beschäftigten umfasst. Darunter auch die Rother Zukunftsfabrik, die Leoni noch 2017 als "eines der modernsten und leistungsstärkste Kabelwerke Europas" anpries. Eine hoch digitalisierte Fabrik auf 134 000 Quadratmetern, mit effizient verzahnten Abläufen, ausgeklügelt kurzen Wegen, sowie Entwicklungszentren und Labors zur Erforschung von Materialien, Prozessen und Verfahren. Es geht unter anderem um Datenleitungen für autonomes Fahren, Kabel für Hochtemperatur-Motorsteuerungen oder Hochvolt-Leitungen für Elektroautos.

Wobei der Abschied aus Roth dem Ausriss der eigenen Wurzeln gleichkommt. Die lange Firmengeschichte reicht zurück in das 16. Jahrhundert, als sich ein aus Glaubensgründen zunächst aus Frankreich und dann aus Nürnberg vertriebener Hugenotte dort ansiedelte. Und mit leonischer Fertigung begann, der Herstellung von vergoldeten, versilberten oder verzinkten Kupferdrähten. Seine Nachfahren schlossen sich 1917 in Roth mit zwei anderen Drahtziehern zusammen; es war die Geburtsstunde der heutigen Leoni AG, die bis zur neuen Zukunftsfabrik ein Werk in der Innenstadt betrieb.

"Wir haben eine wilde Fahrt gemeistert bei ständig wechselnden Straßenverhältnissen."

Doch für Nostalgie ist bei Leoni kaum noch Platz. Der Konzern mit Sitz in Nürnberg kämpft ums Überleben und muss hohe Verluste verkraften. 330 Millionen Euro waren es 2020, immerhin noch 48 Millionen Euro im vergangenen Jahr. Damit einher geht ein gewaltiger Wertverlust. Die Aktie, im Januar 2018 mit mehr als 64 Euro gehandelt, dümpelt aktuell bei weniger als neun Euro. Trotzdem gab sich Vorstandschef Aldo Kamper, 52, optimistisch. "Wir haben eine wilde Fahrt gemeistert bei ständig wechselnden Straßenverhältnissen", sagte er mit Blick auf das Jahr 2021. "Wir haben wieder guten Grip und sind stabil zurück auf Kurs."

Wenige Tage vor dieser Aussage hatte Russland die Ukraine überfallen, wo in zwei Leoni-Fabriken in Stryj und Kolomyja im Westen des Landes 7000 Menschen Bordnetze für diverse Automobilmarken zusammenstecken. Die Produktion wurde umgehend eingestellt. So ein Bordnetz ist ein ausgeklügeltes, feingliedriges Geflecht aus unterschiedlichsten Kabeln, die sich durch ein Fahrzeug ziehen. Neben Aptiv, Sumitomo, Yazaki und Dräxlmaier gehört Leoni zu den größten Herstellern solcher Kabelbäume. Und auf dieses Geschäft, so die Strategie von Kamper, will sich Leoni künftig ganz konzentrieren. Es verspreche höhere Wertschöpfung und sei mit Blick auf die Elektromobilität zukunftssicherer. Seit 2019 arbeitet Kamper daran, das weniger ertragreiche Kabel- und Drahtgeschäft nach und nach zu verkaufen.

Wachstum um jeden Preis - das war ein großer Fehler

Der Niederländer übernahm 2018 die Leoni-Spitze, nach einer langen Reihe von Vorstandsrochaden und in einer Zeit, als das Unternehmen in schwerer See dahintaumelte. Ehrgeizige Manager, von denen heute keiner mehr im Amt ist, verfolgten eine Wachstumsstrategie um jeden Preis. Binnen weniger Jahre sollte der Umsatz von fünf auf zehn Milliarden Euro verdoppelt werden, so der Plan. "Das war der große Sündenfall", sagt Franz Spieß, der für Leoni zuständige Bevollmächtigte der IG Metall. "Es ist gut, dass man von dieser Strategie inzwischen wieder abgekommen ist."

Was nicht heißt, dass Leoni über dem Berg ist. Aktuell bastelt das Management an der mittelfristig sicheren Finanzierung des Konzerns. Kreditlinien laufen aus und sollen erneuert oder ersetzt werden. Auch wenn das Unternehmen vorsichtige Zuversicht verbreitet, sind die Gespräche dem Vernehmen nach nicht einfach. Involvierte Kreise sagen, der jahrzehntelang manifestierte Ruf von Leoni als grundsolidem Unternehmen habe im Durcheinander gelitten, als beispielsweise die Anläufe neuer Produktlinien in osteuropäischen Werken nicht funktionierte und neben Chaos auch tiefrote Zahlen bescherten. Dabei litt auch der Ruf von Leoni als grundsolides, vorsichtiges Unternehmen. Ende Mai gab Leoni bekannt, gemeinsam mit Gläubigern nach Wegen zu suchen, um kurzfristig 50 Millionen Euro zu beschaffen. Etwa durch die Ausgabe neuer Aktien oder einer Wandelschuldverschreibung. Ein Firmensprecher betonte auf Anfrage, die Liquidität des Konzerns sei absolut gesichert. Gut gebrauchen kann Leoni aber definitiv die 400 Millionen Euro aus dem anstehenden Verkauf der Automotive Cable Solutions nach Thailand. Ebenso wie 450 Millionen Euro, die der US-Konzern Bizlink im Herbst für die Industriekabelfertigung gezahlt hat.

Inzwischen seien zumindest strategisch "alle wichtigen Hausaufgaben gut gelöst", sagt auch Gewerkschafter Franz Spieß. Den Arbeitnehmervertretern wäre es lieber gewesen, Leoni würde sich nicht ausschließlich auf das Bordnetzgeschäft konzentrieren, sondern weiterhin auch Industriekabel und Drahtprodukte herstellen. Doch das Thema ist durch; Kamper hat sich durchgesetzt. Wäre die Pandemie nicht ausgebrochen, gäbe es keine globalen Lieferengpässe und keinen Ukaine-Krieg und Leoni stünde jetzt wieder deutlich besser da, sagt ein Aufsichtsratsmitglied.

Für Franz Spieß von der IG Metall brachte die Krise zuletzt auch "eine positive Überraschung", wie er es formuliert. Nach dem Ausfall der ukrainischen Leoni-Bordnetzwerke, als vor allem bei Volkswagen und BMW Bänder stillstanden, hätten die Autohersteller kooperativ reagiert. Spieß spricht von "einem vernünftigem Umgang und dem Willen, gemeinsam Lösungen zu finden".

Inzwischen haben die ukrainischen Leoni-Standorte ihre Produktion wieder hochgefahren. Trotz gelegentlicher Produktionsunterbrechungen, etwa durch Warnungen vor Luftangriffen, könnten die Werke "alle an sie gerichteten Bestellungen komplett erfüllen", so ein Firmensprecher. Die Zahl der geflohenen Beschäftigten halte sich in Grenzen, nur wenige leisten stattdessen Kriegsdienst in der Armee. "Unsere Kolleginnen und Kollegen zeigen eine extreme Motivation", sagt der Sprecher. Etwa drei Viertel der Belegschaft sind Frauen.

Parallel hat das Unternehmen in der Zwischenzeit in anderen Bordnetz-Standorten Osteuropas und Nordafrikas Kapazitäten aufgebaut, um notfalls Produktion aus der Ukraine kurzfristig dorthin zu verlagern. Nicht dauerhaft, sondern nur während der Krise, versichert man in Nürnberg. Von einem Werk in Russland hat sich Leoni getrennt, der zweite Standort dort soll ebenfalls abgestoßen werden.

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