Süddeutsche Zeitung

Ukraine:Auf der Suche nach den Milliarden

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Das Land erhält nur Geld vom IWF, wenn es Oligarchen daran hindert, sich zu bereichern. Die wehren sich mit Klagen.

Von Florian Hassel, Warschau

Am Ende halfen auch mehr als 16 000 Änderungsanträge und eine Gerichtsklage gegen den Parlamentspräsidenten nicht, um eines der wichtigsten Reformgesetze der ukrainischen Geschichte zu verhindern: Am 21. Mai unterschrieb Präsident Wolodimir Selenskij ein Gesetz über den Umgang mit verstaatlichten Banken. Schon tags darauf erklärte die Kiewer Bürochefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), die Ukraine könne nun mit fünf Milliarden Dollar Kredite rechnen. Formell wird darüber Anfang Juni in Washington entschieden. Danach kann Kiew auch auf weitere etwa drei Milliarden Dollar von EU und Weltbank zählen - und eine sonst drohende Staatspleite vermeiden.

Denn schon vor der Corona-Krise musste das 44-Millionen-Einwohner-Land sehr genau rechnen. Der Staatshaushalt macht umgerechnet nicht einmal 40 Milliarden Euro aus. Doch allein bis Ende 2022 muss Kiew mehr als 22 Milliarden Euro Auslandsschulden zurückzahlen. Aber der IWF und ihm folgende, andere Kreditgeber verweigerten neue Kredite. Den IWF störten vor allem verschwundene Milliarden bei ukrainischen Banken.

Die Eigentümer der Privat Bank hatten wohl viel Geld verschwinden lassen

Der Untergang oder die Verstaatlichung von etwa 100 Banken, die oft kriminellen Geschäften oder Geldwäsche dienten, kostete die Steuerzahler nach 2014 etwa 15 Milliarden Dollar. Größter Einzelposten war die Privat Bank, die größte Bank der Ukraine. Der Nationalbank (NBU) und der Finanzdetektei Kroll zufolge wurde die Privat Bank unter ihren früheren Eigentümern, vor allem den Oligarchen Ihor Kolomoiskij und Gennadij Boguljubow, um 5,5 Milliarden Dollar geplündert. Ende 2016 musste die Ukraine die Bank verstaatlichen. Seitdem gibt es um die verschwundenen Milliarden einen erbitterten Kampf. Die nun staatliche Privat Bank hat die Oligarchen und ihre Geschäftspartner in London und den USA, in Israel, auf Zypern und in Genf auf Rückgabe der mit Tarnfirmen und Kettentransfers in Ausland transferierten Milliarden verklagt. Öffentlich bestreiten Kolomoiskij und Bogoljubow jede Schuld - und führen in der Ukraine mit Verbündeten Hunderte Gegenklagen, um sich am besten gleich die ganze Bank zurückgeben zu lassen. Ihre Chancen standen noch nicht mal schlecht: Passende Urteile sind in der Ukraine oft käuflich. Bereits im Frühjahr 2019 erklärte ein Kiewer Gericht in einem Skandalurteil die Verstaatlichung für angeblich rechtswidrig. Weitere Urteile stehen aus.

Der IWF forderte deshalb, Kiew müsse die Rückgabe verstaatlichter Banken per Gesetz ausschließen. Doch Kolomoiskij, der 2019 Selenskij mit zum Präsidenten machte, ist ein mächtiger Mann. Ihm gehören Fabriken und der meistgesehene Fernsehsender, im Parlament sichern bis zu 40 Abgeordnete seine Interessen. Zuletzt versuchten Kolomoiskij-Alliierte die Annahme des Bankengesetzes mit 16 583 Änderungsanträgen zu verhindern. Als das Parlament das Bankengesetz in einem beschleunigten Verfahren am 13. Mai dennoch beschloss, verklagten Kolomoiskijs Verbündete den Parlamentspräsidenten und klagten vor Gericht wegen angeblicher illegaler Annahme des Gesetzes.

Präsident Selenskij aber unterschrieb das Gesetz. Schon bis Mitte Juni, hofft Kiew, könnte der IWF 1,75 Milliarden Dollar überweisen, und noch einmal so viel bis Jahresende. Weitere zwei Milliarden Dollar sollen von der EU kommen, eine weitere Milliarde von der Weltbank. Die Ukraine kann das Geld gut gebrauchen: Die Wirtschaft bricht in der Coronakrise massiv ein, das Haushaltsdefizit könnte statt zwei rund acht Prozent betragen.

Gerichtsurteile sind häufig käuflich, auch die des Verfassungsgerichts

Allerdings ist Kolomoiskijs Kampf nicht beendet. Zwar schließt das neue Bankengesetz die Rückgabe der Privat Bank an die Oligarchen aus. Selbst wenn ein Richter die Verstaatlichung für rechtswidrig erklären würde, dürfen ehemalige Bankeigentümer nur mit Geld entschädigt werden. Und vor allem: Nicht ukrainische, sondern ausschließlich international anerkannte westliche Rechnungsprüfer dürfen feststellen, wer tatsächlich geschädigt wurde: Kolomoiskij und seine Partner - oder eben doch die Bank und die Steuerzahler. Ein Londoner Richter sprach bereits 2018 von Belegen für "Betrug von epischem Ausmaß" unter den Ex-Eigentümern.

Dass Präsident Selenskij das Bankengesetz unterschrieb, bedeutet allerdings nicht, dass er mit Kolomoiskij gebrochen hat. Der Ex-Nationalbankchefin Waleria Gontarewa zufolge lag es nur daran, dass Selenskij, die Staatspleite vor Augen, keine andere Wahl hatte. Parallel aber verhindern der Präsident oder seine Mitarbeiter offenbar aktiv Vorgehen der Behörden und der Justiz gegen den Oligarchen.

Am 5. März etwa feuerte Selenskij den als Reformer bekannten Generalstaatsanwalt Ruslan Rjaboschapka - dessen Darstellung zufolge, weil er wegen des mutmaßlichen Milliardenbetruges bei der Privat Bank zu schnell und erfolgreich gegen Kolomoiskij und seine Partner ermittelte. Selenskij feuerte auch Ministerpräsident Hontscharuk, der Wochenzeitung S erkalo Nedelji zufolge ebenfalls nach einem Streit um Kolomoiskij. Auch im Parlament hat der Präsident bisher nichts unternommen, um etwa Kolomoiskijs Interessen vertretende Abgeordnete aus der Präsidentenfraktion "Diener des Volkes" auszuschließen. Und der Oligarch hat im Parlament weitere Verbündete: etwa Ex-Ministerpräsidentin Julia Timoschenko, Führerin der Vaterlandspartei. Nach der Annahme des Bankengesetzes kündigte sie an, das Verfassungsgericht anzurufen, um das Gesetz für verfassungswidrig zu erklären. Das Verfassungsgericht gehört zu den unreformierten Gerichten der Ukraine; unter Präsident Janukowitsch bekamen Richter Millionen Dollar für genehme Urteile. Sollte das Gericht das Bankengesetz kassieren, würde der IWF wohl weitere Überweisungen an Kiew stoppen.

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SZ vom 26.05.2020
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