Süddeutsche Zeitung

Private Haushalte:Job weg, Partner weg, Geld weg

Zunehmend können Bürger ihre Kredite nicht mehr begleichen. Besonders gefährlich wird es, wenn das bisherige Leben aus dem Tritt gerät.

Von Thomas Öchsner

Noch geht es Deutschlands Wirtschaft gut. So viele Menschen wie noch nie seit der Wiedervereinigung haben Arbeit. Auch Löhne und Renten steigen zum Teil kräftig. Trotzdem stecken zunehmend mehr Menschen in der Überschuldungsfalle. Ihr Einkommen reicht nicht, um Schulden abzustottern, selbst wenn sie ihren Lebensstandard deutlich verringern.

Sie leben dauerhaft auf Pump. Doch ihre Schulden sind verhältnismäßig gering: Deutlich mehr als die Hälfte der Überschuldeten haben Schulden von weniger als 20 000 Euro. Dies geht aus dem Überschuldungsreport 2019 hervor, den das Institut für Finanzdienstleistungen (Iff) in Hamburg veröffentlicht hat. "Kinder sind ein Überschuldungsrisiko, welches mit der Zahl der Kinder zunimmt. Gleiches gilt für Partnerlosigkeit im Allgemeinen", heißt es in der Analyse. Bislang gibt es keine offizielle staatliche Statistik, aus der hervorgeht, wie viele Menschen hierzulande tatsächlich überschuldet sind.

Alleinerziehende besonders oft betroffen

Die Wirtschaftsauskunftsdatei Creditreform spricht von knapp sieben Millionen Bürgern mit zumindest dauerhaften Zahlungsstörungen. Das Hamburger Iff wertete für seinen Report die anonymisierten Daten von fast 125 000 Schuldnern aus, die sich beraten ließen. Der typische Klient einer Schuldnerberatungsstelle ist demnach zwischen 25 und 45 Jahre alt, alleinlebend oder partnerlos, hat einen Hauptschulabschluss, verfügt über eine abgeschlossene Berufsausbildung in Form einer Lehre und ist arbeitslos.

In gut 60 Prozent der Überschuldeten-Haushalte lebt eine oder einer allein. Deutlich überproportional vertreten sind Alleinerziehende, erst recht mit mehreren Kindern. Alleinerziehende mit mindestens drei Kindern sind laut der Untersuchung 3,9-mal häufiger unter den Überschuldeten als in der Gesamtbevölkerung". Bei kinderlosen Paaren ist das Risiko, in die Schuldenfalle zu geraten, hingegen besonders gering. Mehr als 40 000 Euro Schulden haben lediglich 18 Prozent der Ratsuchenden.

In der Mitte liegt die typische Schuldenhöhe bei gut 14 000 Euro. Am höchsten sind die Schulden bei Banken und Telekommunikationsfirmen. An den Hauptgründen für Überschuldung hat sich wenig geändert: Der Verlust des Jobs ist der mit Abstand wichtigste Grund, warum Menschen in der Überschuldungsfalle landen. Als weiterer wichtiger Auslöser gilt "vermeidbares Verhalten". Darunter verstehen die Hamburger Finanzexperten zum Beispiel "irrationales Konsumverhalten, fehlende finanzielle Allgemeinbildung" oder "unwirtschaftliche Haushaltsführung".

Viel häufiger geraten Menschen jedoch durch eine Krankheit oder durch eine Trennung oder Scheidung finanziell in die Sackgasse. Bei etwa jedem zehnten Fall führen die Forscher die Überschuldung auf ein zu geringes verfügbares Einkommen zurück, von dem immer mehr fürs Wohnen draufgeht. Pro Kopf belief sich das Einkommen 2018 in der Gruppe der Ratsuchenden auf etwa 900 Euro monatlich. Das sind etwa 175 Euro mehr als 2008. Berücksichtigt man die Teuerung, bleibt in den zehn Jahren aber gerade einmal ein Plus von insgesamt zehn Prozent.

Ganz ausweglos ist die Lage der Überschuldeten aber nicht: Knapp die Hälfte der Beratungen endet mit einem Insolvenzverfahren, das im Idealfall nach spätestens sechs Jahren zur Schuldenfreiheit führen sollte. Und mehr als jeder zehnte Fall wird ganz oder teilweise ohne Einschaltung eines Gerichts gelöst. Oft klopfen Menschen, die auf Pump leben, aber nicht früh genug bei den Beratungsstellen an, um sich Hilfe zu holen. Stattdessen, stellen die Finanzexperten in ihrem Bericht fest, "kommt es häufig zu richtiggehenden Überschuldungskarrieren".

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SZ vom 24.05.2019/hgn
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