Übernahme von Nokia:Angst vor dem Teufelskreis

Einst zahlte Nokia 1,3 Milliarden Euro Unternehmenssteuern im Jahr. Doch diese Zeiten sind lange vorbei. In Helsinki segnen die Aktionäre nun den Verkauf der Handysparte an Microsoft ab. Für Finnland ist es eine herbe Zäsur.

Von Karl-Heinz Büschemann, Helsinki

Der Nieselregen mag zur Jahreszeit passen, aber er entspricht dem Anlass. Dieser feucht-graue Dienstag in Helsinki ist ein Tag des Abschieds. In der alten Eishalle sollen die Aktionäre von Nokia darüber entscheiden, ob das Unternehmen seine Handy-Sparte an Microsoft verkauft. Es geht um mehr als um eine schnöde Transaktion und ein paar Milliarden. Es geht vor allem um die Frage, ob dieses Unternehmen, das zum Nationalheiligtum Finnlands wurde, sein Herz verkauft.

Manche sehen das nüchtern: "Ich bin dafür. Es ist eine gute Entscheidung", sagt ein junger Aktionär, der lieber nicht zitiert werden möchte. "Sonst gäbe es doch nur einen stetigen Teufelskreis nach unten". Auch Jakko Lamberg ist für die Trennung von den Handys. Was soll das Management sonst tun?, fragt der Mann, der selbst mal bei Nokia beschäftigt war. "Jetzt gehen zwei gute Firmen zusammen".

Für zwei Jahrzehnte Weltmarktführer

Das könnte was werden. Aber nicht jeder ist sicher, ob es auf der außerordentlichen Hauptversammlung überhaupt etwas zu entscheiden gibt. Jakko Sora erklärt in gutem Deutsch, was er von der Veranstaltung hält: "Die großen Eigentümer haben doch schon längst zugestimmt", sagt der Rentner, der lange in Deutschland lebte. "Das ist nur eine Riesenschau."

Etwa 5000 Aktionäre sind in die Eishalle gekommen - eine Rekordzahl in der Nokia-Geschichte -, um dem Abgesang auf einen Konzern beizuwohnen, der in Finnland etwas besonderes ist. Das 1865 gegründete Unternehmen und das Land haben ein besonderes Verhältnis. Nokia ist groß, das Land klein, es hat nur gut fünf Millionen Einwohner.

Nokia war einer der wichtigsten Beitragszahler Finnlands

Knapp zwei Jahrzehnte lang war Nokia der absolute Weltmarktführer bei Mobiltelefonen. Die Firma vom Nordrand der Welt, die einst Gummistiefel, Reifen oder Toilettenpapier machte und die sich Ende der neunziger Jahre auf die Fertigung von Handys konzentrierte, war zur Weltmarke geworden. Und sie war einer der wichtigsten Beitragszahler des finnischen Staates.

Bis der Abstieg kam, der ein Absturz war. Nokia hatte die Konkurrenz unterschätzt. Der Marktanteil schrumpfte im Eiltempo, die Verluste wuchsen ins Unvorstellbare. Im September 2013 dann die Entscheidung: Verkauf der Handy-Sparte an den US-Konzern Microsoft. Die Hälfte des Nokia-Geschäfts geht nach Amerika! Die Finnen waren schockiert. Besonders ärgerte sie, dass Unternehmenschef Stephen Elop, der den Deal eingefädelt hat, bald danach ausschied und eine Abfindung von 19 Millionen Euro mitnahm.

Zwei Monate später trösten sich die Finnen pragmatisch damit, dass die Bedeutung ihrer nationalen Ikone schon seit Jahren schwand. Nokia hat im Jahr 2000 vier Prozent zum finnischen Bruttoinlandsprodukt beigetragen. Im vergangenen Jahr war der Beitrag negativ, so hoch waren die Verluste. Nokia ist nur noch ein Schatten seiner alten Größe. Aus dem nationalen Gewinnbringer ist ein Verlustloch geworden.

Überwältigende Mehrheit stimmt für Handy-Verkauf

Einst zahlte Nokia 1,3 Milliarden Euro an Unternehmenssteuern. Jetzt nichts mehr. Der finnische Staat, der zehn Jahre lang einen Budget-Überschuss hatte, muss mit einem Minus leben. Nicht allein wegen Nokia. Aber die abgestürzte Handyfirma ist einer der Gründe dafür, dass es dem Staat schlechter geht als früher, und sie ist auch ein Grund dafür, warum der Industrieverband darüber klagt, dass die Wirtschaft nicht mehr recht wachsen will.

Die Stimmung in der Eishalle ist sachlich. Aber obwohl die Aktionäre zwei Monate Zeit hatten, sich an die Nachricht vom der Zerschlagung ihres Unternehmens zu gewöhnen, ist die Atmosphäre auch gereizt. Ein Aktionär beklagt, dass in der Hauptversammlung die Mitglieder des Verwaltungsrates mit dem Rücken zum Publikum sitzen. "Sie sollten ihre Gesichter den Aktionären zuwenden!", schimpft er. Da braust Beifall auf.

"Der Weg ist gefährlich"

Der für eine Übergangszeit eingesetzte Firmenchef Risto Siilasmaa gibt sich Mühe, die Aktionäre zu besänftigen. Der schlanke 47-Jährige erklärt geduldig, was alle schon wissen. Aber er erklärt es so, als könne er die Zweifel der Aktionäre verstehen. Nicht alle Entscheidungen in der Vergangenheit seien richtig gewesen, räumt er ein. "Wir haben eine emotionale Reaktion und harte Kritik erwartet", sagt er. Aber er weist auf die Geschichte hin. Schon mehrfach habe Nokia den Kurs gewechselt. Das sei nicht neu.

Er sagt aber auch: "Der Weg ist gefährlich". Wie zum Trost fügt er an: "Nokia wird auch danach noch eines der wichtigsten Unternehmen Europas sein." Da übertreibt er. Wenn die Handys verkauft sind, wird der Stolz des Landes, der einst weit vor dem Zweiten in der nationalen Rangliste der größten Unternehmen stand, nur noch auf Rang zwei liegen - hinter dem Ölkonzern Neste Oil.

Microsoft übernimmt 70 Prozent der Abfindung für Elop

Auch Henning Kagermann, der frühere Vorstandschef des deutschen Software-Konzerns SAP, der im Nokia-Verwaltungsrat sitzt, muss zur Besänftigung in der Halle beitragen. Er muss erklären, warum es zu der horrenden Abfindung für Stephen Elop kam. Der Deutsche geht gebeugt zum Podium, als trage er schwer an der Aufgabe. Er spricht Englisch, wenn er erklärt, dass es mit der Summe seine Ordnung habe. Die Bezahlung gehe auf die Verträge bei der Einstellung Elops im Jahr 2010 zurück. Das einzig Tröstliche mag sein Hinweis sein, 70 Prozent der Summe werde von Microsoft bezahlt. "Das ist gut für die Nokia-Aktionäre. " Am Ende stimmen die Investoren dem Handy-Verkauf mit überwältigender Mehrheit zu.

Die Aktionäre sind schon über Kleinigkeiten froh. Sie freuen sich, dass der Aktienkurs, der mal bei weit über 20 Euro stand und in der Krise auf ein Zehntel zurückfiel, in den letzten Monaten wieder gestiegen ist. Wegen der Abspaltung der verlustbringenden Handysparte. Der Kurs liegt nun wieder bei rund sechs Euro. Ein schwacher Trost. Aber viel mehr interessiert die Anteilseigner die Frage, wie es weitergeht. Ein Aktionär fragt bei einem Kaffee: "Was wird das Management mit den 5,4 Milliarden machen, die von Microsoft kommen?" Darauf gibt es bisher keine Antwort.

In der Eishockey-Halle mit den steilen, rot bestuhlten Zuschauerrängen können die Aktionären an diesem Tag noch einmal die Bilder anschauen von den großen Nokia-Erfolgen der Vergangenheit. Der Sowjetchef Michail Gorbatschow hält ein Mobiltelefon in der Größe eines Braunkohlebriketts ans Ohr. Was waren das für Zeiten, als Nokia den Aufstieg noch vor sich hatte. Sie sind noch nicht lange her.

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