Verkauf von Alcatel-Lucent:Wieso der Alcatel-Lucent-Deal in Frankreich so geschmeidig läuft

Lesezeit: 4 Min.

Ist es so recht, Herr Präsident? Alcatel-Lucent-Chef Combes (M.) und Nokia-Boss Suri (l.) bei François Hollande, einen Tag vor Bekanntgabe des Deals. (Foto: Philippe Wojazer/dpa)
  • Beim Verkauf von französischen Unternehmen kann die Regierung ein Veto einlegen.
  • Bei der Übernahme von Alcatel-Lucent durch Nokia gibt es jedoch keinen politischen Widerstand - im Gegenteil. Die Regierung unterstützt den Deal.
  • Wirtschaftsminister Macron hat in der Vergangenheit selbst ausgelotet, wer an Alcatel-Lucent, dem wirtschaftlich wohl schwächsten Telekomausrüster, Interesse haben könnte.
  • Dennoch muss Nokia Bedingungen erfüllen: Die Zahl der Beschäftigten darf nicht sinken und zwei Forschungsstandorte müssen aufgewertet werden.

Von Leo Klimm, Paris

Der Ort, an den Nokia und Alcatel-Lucent am Mittwoch einladen, ist bewährt: Wenn Unternehmen kurzfristig einen Saal im Zentrum von Paris suchen, um wichtige Nachrichten zu verkünden, fällt die Wahl oft auf das geräumige "Pavillon Gabriel". Dass das Gebäude nur einen Steinwurf entfernt ist vom Élysée, dem französischen Präsidentenpalast, dürfte für die meisten Mieter lediglich einen kleinen Prestige-Bonus darstellen.

Im Fall von Nokia und Alcatel-Lucent ist die Wahl dieses Ortes aber ein bisschen mehr: Sie wirkt wie ein Symbol dafür, dass die Übernahme des franko-amerikanischen Telekomausrüsters durch den finnischen Wettbewerber im besten Einvernehmen mit der Regierung in Paris stattfindet. Und das ist keine Selbstverständlichkeit.

"Es ist ein gutes Geschäft für Alcatel-Lucent, weil es ein Geschäft zur Zukunftssicherung ist", erklärt Wirtschaftsminister Emmanuel Macron, nachdem er mit den beiden Konzernchefs Rajeev Suri und Michel Combes beim Präsidenten François Hollande war. "Veränderung gehört zum Leben eines Unternehmens dazu", so Macron.

Vetorecht erst 2014 per Dekret erlassen

Die freundlichen Worte stehen in scharfem Gegensatz dazu, wie Macron erst Anfang April unter Hinweis auf seine europäischen Präferenzen den Kauf des Streamingdienstes Dailymotion durch einen chinesischen Bieter vereitelt hat. Zur Abschreckung diente Macron dabei ein Vetorecht, das Amtsvorgänger Arnaud Montebourg vergangenes Jahr während des Übernahmekampfs um den Infrastrukturkonzern Alstom per Dekret erlassen hat. Ein Veto droht seitdem immer dann, wenn die Regierung durch eine Übernahme staatliche Interessen gefährdet sieht.

Montebourg hatte 2014 durch politische Brachial-Intervention versucht, zumindest die Bedingungen zu verbessern, zu denen die Alstom-Energiesparte an den US-Konzern General Electric (GE) verkauft wurde. Angesichts einer Serie von Übernahmen durch ausländische Firmen geht es der sozialistischen Regierung auch darum, den Eindruck vom Ausverkauf Frankreichs zu zerstreuen: Alstom ging an GE, der Zementmischer Lagarge gerät unter die Kontrolle des Schweizer Rivalen Holcim, der legendäre Club Med ist jetzt chinesisch und auch bei Peugeot stieg ein chinesischer Investor ein.

Anders als bei Dailymotion und vor allem bei Alstom, einst Teil von Alcatel, gibt es im aktuellen Fall - abgesehen von ritualisierter Kritik der politischen Extremen und erwartbarer Mahnungen der Gewerkschaften - wenig Widerstand. Im Gegenteil: Paris unterstützt die Übernahme durch Nokia offensiv. Obwohl bei einem Konzern, der die gesamte Telekommunikation im Land gewährleistet, in Zeiten der Internet-Spionage tatsächlich Souveräntiätsinteressen berührt sein könnten.

"Die Geschmeidigkeit des Deals liegt daran, dass Alcatel-Lucent die Regierung früh eingebunden hat", sagt einer, der an den Verhandlungen beteiligt war. Das Vorgehen des Telekomausrüsters ist demnach eine Art Lehrstück dafür, wie Großfusionen in Frankreich ohne politischen Widerstand ablaufen können. Denn während Alstom-Chef Patrick Kron die Regierung 2014 nach Angaben des Wirtschaftsministeriums nicht informiert haben soll, bis der GE-Übernahmeplan in den Medien auftauchte, hat Alcatel-Chef Michel Combes schon vor Monaten Gespräche mit Macron aufgenommen. "Macron hat schnell verstanden, dass Alcatel mit einem sehr schwierigen Branchenumfeld konfrontiert ist. Er hat nie mit Veto gedroht", so der Insider.

Im Gegensatz zu Vorgänger Montebourg wisse Macron als früherer Investmentbanker, dass Übernahmen in Wahrheit schwer zu verhindern seien, wenn der Druck so groß sei wie bei Alcatel-Lucent, dem wirtschaftlich wohl schwächsten Telekomausrüster. Der Wirtschaftszeitung Les Echos zufolge soll Macron selbst bei einer Korea-Reise Ende vergangenen Jahres die Möglichkeit eines Verkaufs von Alcatel-Lucent an Samsung ausgelotet haben. "Die Regierung hat alle Optionen geprüft", so Alcatel-Chef Combes, "dann haben sich unsere Sichtweisen angenähert."

Nokia darf keine Stellen streichen

Dennoch hat der Minister Forderungen gestellt, auf die sich Nokia-Chef Rajeev Suri einlassen musste, um jeden politischen Ärger auszuschließen. So darf bei Alcatel-Lucent in Frankreich, wo seit Jahren ein Sozialplan nach dem anderen stattfindet, die Zahl der noch übrigen 6000 Stellen nicht weiter sinken. Zwei große Forschungsstandorte im Land sollen aufgewertet werden. Tatsächlich wird es eine Job-Verschiebung innerhalb Frankreichs geben: Während durch die Auflösung des Pariser Firmensitzes Konzernfunktionen überflüssig werden, sollen 500 Entwickler neu eingestellt werden. Frankreichs günstige Steuerregeln für Forschungsausgaben helfen dabei nach. "Mein Ziel ist", sagt Minister Macron in einem Anflug von Überschwang, "dass Nokia sich in einigen Jahren entscheidet, französisch zu werden!"

Bis auf Weiteres allerdings wird Alcatel-Lucent im finnischen Unternehmen Nokia aufgehen. Es scheint das unausweichliche Schicksal eines einst stolzen Unternehmens zu sein, das vor 20 Jahren noch fast 200 000 Mitarbeiter zählte. Dann geriet es erst bei der Mobilfunktechnologie in einen Rückstand, den es nie mehr aufholte. Später lähmten die Firma interne Streitigkeiten nach der Fusion mit dem US-Konkurrenten Lucent - und verschlimmerten die Lage. Als Combes 2012 als Sanierer gerufen wurde, ging es darum, durch Verkäufe von Patenten und die Konzentration auf wenige Geschäftszweige "schlicht die Pleite abzuwenden", wie er selbst sagt. 2014 schrieb das Unternehmen bei einem Umsatz von 13,2 Milliarden Euro noch 118 Millionen Euro Verlust.

"Nicht alle europäischen Champions können in Frankreich verankert sein"

"Der Präsident und Emmanuel Macron wollen, dass aus uns ein europäischer Champion wird", sagt Combes an diesem Mittwoch in Paris und blickt dabei zufrieden in den Saal des "Pavillon Gabriel". "Nicht alle europäischen Champions können in Frankreich verankert sein. Manche sind es in Deutschland, andere eben in Finnland."

Als eine finnische Reporterin anmerkt, das Zusammenfügen so gegensätzlicher Kulturen wie der französischen und der nordischen könne doch leicht zu Konflikten führen, entgegnet ihr Combes: "Da muss jeder eben vom anderen lernen." Sein neben ihm sitzender Nokia-Kollege Suri habe am Dienstag schließlich noch kein Wort Französisch gekonnt - am Mittwoch aber schon zwei: "Bonjour" und "Merci". Darauf sagt Suri, Chef des künftigen europäischen Telekom-Champions, auf Englisch: "Ich kann kein Französisch. Und auch kein Finnisch."

© SZ vom 16.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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