Überblick:Möglichkeiten im Kampf gegen die Ungleichheit

Vorstellung des Berichts der Nationalen Armutskonferenz

Auch so kann Ungleichheit in Deutschland in Deutschland aussehen.

(Foto: Andres Benedicto/dpa)

Reichensteuer, billige Wohnungen oder Ehegattensplitting: Es gibt viele Möglichkeiten, für mehr soziale Gerechtigkeit zu sorgen. Ein Überblick.

Von Peter Eßer und Valentin Dornis

Wie die Politik die Verteilung von Arm und Reich steuern kann - ein Überblick.

Vermögensteuer

Die Privathaushalte in Deutschland sitzen auf enormen Vermögen. Die Schätzungen bewegen sich zwischen sechs und zehn Billionen Euro Gesamtvermögen. Aber die Verteilung ist sehr ungleich: Schätzungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) zufolge besitzt das reichste Prozent der Deutschen mehr als 30 Prozent davon. Als Ausgleich wurde bis 1996 eine Vermögensteuer von einem Prozent auf Vermögen von mehr als 120 000 Mark pro Familienmitglied erhoben. Dann setzte die Bundesregierung die Steuer aus, bis heute wurde die Vermögensteuer nicht wieder eingeführt. Die Begründung: Die Spitzensteuersatz von damals mehr als 50 Prozent sei doch eh schon so hoch.

Heute müssen Reiche den Spitzensteuersatz von 42 Prozent zahlen. Er gilt für zu versteuernde Einkommen ab 52 882 Euro für Ledige und 105 764 Euro für Verheiratete. Bei größeren Einkommen steigt er noch einmal auf 45 Prozent. Allerdings muss dieser Satz dann nur für den Teil des Einkommens gezahlt werden, der über der Grenze von 250 731 Euro (Ledige) oder 501 462 Euro (Verheiratete) liegt.

Stefan Bach vom DIW zufolge könnte die Wiedereinführung dieser Reichensteuer die soziale Ungleichheit in Deutschland reduzieren. In verschiedenen Modellen hat er ein mögliches Vermögensteuer-Aufkommen bis zu 20 Milliarden Euro im Jahr errechnet - und das bei Freibeträgen von mindestens einer Million Euro. Es würden also nur wenige, dafür aber sehr wohlhabende Personen belastet.

Wohnsituation

Dass Wohnen in Deutschland immer teurer wird, stimmt so pauschal zwar nicht. Statistisch steigen die Mieten weniger stark als die Einkommen. Diese Durchschnittswerte werden der Realität jedoch nicht gerecht, denn die regionalen Unterschiede sind immens und die Tendenz ist eindeutig: Wohnraum ist in Städten wie München oder Frankfurt am teuersten und stellt Geringverdiener vor große Probleme. Von guten Jobaussichten, kurzen Wegen und hoher Lebensqualität profitieren also in erster Linie finanziell Bessergestellte. Es entsteht ein soziales Ungleichgewicht auf geografischer Ebene. Die wichtigste bundesweite Maßnahme in diesem Kontext, die Einführung der Mietpreisbremse, hat sich bislang als nahezu wirkungslos herausgestellt.

Es braucht mehr Sozialwohnungen, um die Entwicklung abzufedern. Der Bedarf nach günstigten Wohnungen übersteigt jetzt schon längst das Angebot. Jährlich verlieren mehr Sozialwohnungen ihren Status, als neuer, vergünstigter Wohnraum entsteht. Manche Städte, zum Beispiel Dresden, haben zum Beispiel Sozialwohnungen verkauft, um ihre Kassen zu sanieren.

Ehegattensplitting

Ein Relikt aus dem Jahr 1958 kostet den Staat jährlich etwa 20 Milliarden Euro. Das Prinzip des Ehegattensplittings gewährt Ehepaaren steuerliche Vorteile, es profitieren verheiratete und eingetragene Paare und am meisten solche, bei denen ein Partner deutlich mehr verdient. Das schließt Alleinerziehende, Geschiedene, Witwen und Witwer aus und benachteiligt Niedrigverdiener-Paare - die Menschen, die Unterstützung oft besonders nötig haben. Außerdem wird angenommen, dass das Ehegattensplitting die Partner von Gutverdienern vom Arbeiten abhält, zum Beispiel nach der Elternzeit.

Eine Alternative wäre das sogenannte Familiensplitting. Ein entsprechender Vorschlag der SPD sieht vor, dass der Steuervorteil sich ausschließlich an der Anzahl der Kinder orientiert. Familien sollen gefördert werden - unabhängig davon, ob die Eltern verheiratet sind oder nicht oder ob sie ihre Kinder alleine großziehen.

Sozialversicherung

Das System der Sozialkassen wurde seit seinen Anfängen Ende des 19. Jahrhunderts weiterentwickelt und ausgebaut. Mängel gibt es natürlich trotzdem. So fördert die Beitragsbemessungsgrenze für die Sozialversicherung die Ungleichheit, weil Besserverdienende anteilsmäßig weniger einzahlen. Außerdem schaffte die große Koalition vor zehn Jahren die paritätische Kostenteilung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ab. Seitdem sind die Beiträge der Unternehmer gleich geblieben, zusätzliche Kosten tragen Arbeitnehmer und Staat.

Der Sozialrichter Jürgen Borchert geht in seinen Reformvorschlägen besonders weit. Seine These: Eltern zahlen zu viel in die Renten- und Krankenversicherung ein, weil der Beitrag für das Sozialsystem, den sie in Form der Erziehung ihrer Kinder leisten, nicht honoriert wird. Sie sollten daher im Vergleich zu den übrigen Beitragszahler stärker entlastet werden.

Mindestlohn

Den flächendeckenden Mindestlohn gibt es in Deutschland seit dem 1. Januar 2015. Er liegt derzeit noch bei 8,50 Euro brutto und soll regelmäßig durch die Mindeslohnkommission an die jeweilige Tarifentwicklung in Deutschland angepasst werden. Im Juni entschied die Kommission, dass der gesetzliche Mindestlohn ab dem 1. Januar 2017 auf 8,84 Euro steigen soll. Den Mindestlohn bekommen potenziell alle Arbeitnehmer - doch wer als Arbeitnehmer gilt, legt das Gesetz fest. Und die Liste der Ausnahmen ist lang: Unter anderem haben Auszubildende, Freiwilligendiensleistende, Selbstständige, Ehrenamtliche und Pflichtpraktikanten derzeit keinen Anspruch auf den Mindestlohn.

Kritiker warnen vor den negativen Folgen des Mindestlohns, denn theoretisch kann die Arbeitslosigkeit durch die Einführung sogar steigen. Die Argumentation: Arbeitgeber entscheiden sich bei einem zu hohen Mindestlohn im Zweifel lieber dagegen, überhaupt jemanden einzustellen. Dieser Effekt fiel in Deutschland ein Jahr nach Einführung des Mindestlohns allerdings deutlich geringer aus, als befürchtet: Eine Studie (PDF) des Nürnberger Institutes für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) ergab, dass ohne Mindestlohn etwa 60 000 Jobs mehr hätten geschaffen werden können - allerdings inklusive Minijobs. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) zog nach einem Jahr Mindestlohn eine positive Bilanz.

Erbschaft- und Schenkungsteuer

Die Erbschaft- und Schenkungsteuer soll Einkommen besteuern, die ohne Arbeit entstanden sind. Außerdem soll sie einer ungleichen Vermögensverteilung in der Bevölkerung entgegenwirken, indem größere Erbschaften stärker besteuert werden. Die Deutschen verebten und verschenkten im Jahr 2015 ein Vermögen von 102 Milliarden Euro, davon waren etwa 35 Milliarden steuerpflichtig. Das ergibt ein Erbschaftssteuer-Aufkommen von 6,3 Milliarden Euro.

Dass die Steuern damit nur etwa sechs Prozent des vererbten oder verschenkten Vermögens ausmachen, liegt auch an den vielen Ausnahmen. So werden im aktuell noch gültigen Gesetz unter anderem Betriebsvermögen und Anteile an Kapitalgesellschaften aus der Besteuerung ausgenommen. Das Bundesverfassungsgericht urteilte 2014, dass dies mit dem Gleichheitsgrundsatz im Grundgesetz unvereinbar ist - nun muss die Bundesregierung das Gesetz refomieren und fand erst kurz vor Ablauf der Frist eine Einigung.

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) stellte in einer Studie fest, dass viele Familienunternehmer ihr Vermögen in den vergangenen Jahren schon vorzeitig auf ihre Kinder übertragen haben, um möglichen strengeren Regeln zuvorzukommen. So wurden sogar Minderjährige kurzerhand zu Multimillionären gemacht, um Steuern zu vermeiden.

Die Kritik an der Neuregelung der Erbschaftsteuer ist groß: Herausgekommen ist lediglich ein Reförmchen - vor einschneidenden Änderungen müssen Firmenerben keine Angst haben und viele große Unternehmen werden weiterhin aller Wahrscheinlichkeit nach von den Steuerprivilegien für Familienunternehmen profitieren. Erbschaftsteuer zahlen wird wohl nur ein Prozent aller Firmen. Um Ausgleich bei Vermögensverteilung zu fördern, hätte es hier mehr Reformwillen gebraucht.

"Immer reicher, immer ärmer: Wie wächst Deutschland wieder zusammen?" Für diese Frage haben sich die SZ-Leser diesmal im Projekt Die Recherche entschieden. In einem Dossier, das Sie hier finden und als digitales Magazin hier und in Ihrer App zum Download, wollen wir sie konstruktiv beantworten - mit Beiträgen wie diesen:

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