Süddeutsche Zeitung

Börsengang des Fahrdienstvermittlers:Uber - die hässliche Seite des Silicon Valley

Das US-Unternehmen steht für eine fehlgeleitete Kultur: Wer seine Fahrer derart schlecht bezahlt, kann auch nicht die Welt verbessern.

Essay von Jürgen Schmieder

Es gibt mal wieder ein Einhorn an der Wall Street in New York: Regenbogen-Mähne, rosarote Flügel, prächtiger Schweif, und am Freitag haben die Aktionäre das gewundene Horn auf der Stirn vergoldet. 8,1 Milliarden Dollar hat Uber bei seinem Börsengang eingenommen, bei einem Ausgabepreis von 45 Dollar pro Anteil wird es mit 82 Milliarden Dollar bewertet. Gründer und frühe Investoren werden für ihren Glauben an dieses Fabelwesen, die Revolution des urbanen Personentransports und die Abkehr vom Mein-Haus-mein-Auto-mein-Boot-Denken belohnt, und damit keine Neiddebatte aufkommt: Ihnen allen sei jeder Cent gegönnt.

Uber hat die Welt verändert. Zumindest jenen Teil des Planeten, für den sie sich interessieren im Silicon Valley. Es hat bei seiner aggressiven Expansion auf Verbote gepfiffen und Experten rücksichtslos abgeworben, es hat Konkurrenten, Journalisten und Ermittler bespitzelt und ist berüchtigt gewesen für eine misogyne Firmenkultur. Es hat eine Arbeitswelt geschaffen, in der Menschen nur noch Variablen in einem Algorithmus sind und bestenfalls so schnell wie möglich aus dieser Gleichung entfernt werden sollen. Und es hat in den vergangenen drei Jahren im operativen Geschäft Verluste in Höhe von mehr als zehn Milliarden Dollar eingefahren.

Das Fell dieses Einhorns ist also nicht strahlend weiß, sondern - auch wenn Geschäftsführer Dara Khosrowshahi seit eineinhalb Jahren unermüdlich mit Putzen und Striegeln beschäftigt ist - eher dunkelgrau und dreckig wie das eines Esels, der sich im Schlamm gewälzt hat.

Ein Fondsmanager nennt die Versprechen von Tesla-Gründer Elon Musk "Pferdescheiße"

Man könnte nun freilich sagen: Na und? So ticken sie nun mal im kalifornischen Techniktal, der Zweck heiligt die Mittel, moralisch fragwürdige Handlungen, Regel- und Gesetzesbruch sowie wahnwitzige Verluste lassen sich mit der Aussicht auf eine bessere Welt rechtfertigen. Dieser Börsengang jedoch steht symbolisch für eine fehlgeleitete Start-up-Kultur im Silicon Valley.

Denn: Haben sie diese Welt wirklich verbessert? Ein paar naive Fragen: Hat Facebook die Welt zusammengeführt oder letztlich zur Spaltung beigetragen? Soll man Google-Geschäftsführer Sundar Pichai und Apple-Chef Tim Cook dafür loben, dass sie all die gesammelten Daten nicht an Dritte weitergeben wollen, oder sollte man sie auffordern, doch bitte schön gar keine Daten mehr zu sammeln? Wird es der Welt nützen, was Twitter-Chef Jack Dorsey mit US-Präsident Donald Trump besprochen hat, nachdem ihn der quasi ins Weiße Haus beordert hatte? Und wie soll man die Aussagen vom Gründer des Risikofonds Greenlight Capital bewerten, der tatsächlich David Einhorn heißt und in dieser Woche zahlreiche Versprechen von Tesla-Gründer Elon Musk als "ganz viel Pferdescheiße" abgetan hat?

"Was mich wirklich aufregt", sagte Melinda Gates, Ehefrau von Microsoft-Gründer Bill Gates und Gründerin der größten Privatstiftung der Welt, kürzlich in einem Interview mit der New York Times: "Die Technikbranche denkt manchmal, dass die Lösung darin besteht, den Leuten eine App zu geben (...) 'Lass uns das nächste Ding erschaffen, mit dem ich meinen Hund finden kann.' Das ist schön und gut, aber seien wir mal ehrlich: Da sterben Leute."

Fabelwesen werden nicht geboren, sie werden von Göttern erschaffen, und die Firmengründer im Silicon Valley halten sich selbst für nichts weniger als dies: Götter, die von ihrem Olymp aus an der Verbesserung der Welt arbeiten. Die Google-Gründer Larry Page und Sergey Brin zum Beispiel haben vor dem Börsengang im Jahr 2004 einen Brief an mögliche Anleger verfasst, der noch heute als Magna Charta des Silicon Valley gilt. Darin heißt es: "Wir wollen ein Umfeld schaffen, in dem kreative und hart arbeitende Menschen dafür belohnt werden, dass sie aus der Welt einen besseren Ort machen."

So ähnlich klang auch die Vision der Uber-Gründer Travis Kalanick und Garrett Camp vor knapp zehn Jahren. Sie versprachen den Nutzern einen Chauffeur per Smartphone und den Fahrern einen lukrativen Nebenverdienst. Sie stellten aber auch diesen Traum von einer Welt vor, in der Transport effizienter und damit umweltfreundlicher wird. In der die Leute überhaupt kein Auto mehr besitzen, sondern Kilometer für selbstfahrende, miteinander kommunizierende und vor allem elektrische Fahrzeuge kaufen und zu jeder Gelegenheit das passende, perfekte und aufgeladene Gefährt geliefert bekommen.

Die Silicon-Valley-Götter verändern die Welt. Kriege und Hunger aber gibt es noch

Es war in Verbindung mit dem Wohnungsvermittler Airbnb eine Abkehr von der Ich-habe-also-bin-ich-Generation, der Eigentum als Beweis diente, etwas erreicht zu haben im Leben. Die Propheten der so genannten "Sharing Economy", in der Teilen und gemeinsames Nutzen über der Anschaffung von Hab und Gut steht, verpackten ihre nach Sozialismus klingenden Ideen in kapitalistische Modelle: Autos und Häuser werden miteinander geteilt, Fahrer und Vermieter werden selbständige Unternehmer ohne soziale Absicherung, die Einkünfte werden von einem Angebot-Nachfrage-Algorithmus bestimmt.

Natürlich klang es erst einmal völlig verrückt, zu Fremden ins Auto zu steigen oder gar bei ihnen zu übernachten. Jedoch beinhaltet das Credo des Silicon Valley auch, dass nur jene die Welt verändern, die verrückt genug sind, daran zu glauben.

Die Investoren waren begeistert, und aus aktuellem Anlass hier eine kleine Liste mit dem Wert einiger Uber-Anteile beim Börsengang: Google (3,2 Milliarden Dollar), das japanische Konglomerat SoftBank (zehn Milliarden), Amazon-Gründer Jeff Bezos (360 Millionen), die Venture-Capital-Firma Benchmark (6,75 Milliarden), der Fonds des saudischen Königshauses (3,2 Milliarden). Die Anteile von Gründer Kalanick, vor eineinhalb Jahren wegen zahlreicher Fehltritte zum Rücktritt gezwungen, sind mehr als fünf Milliarden Dollar wert. Es hätte noch viel mehr sein können, es war über einen Ausgabekurs von bis zu 65 Dollar spekuliert worden. Dann jedoch legte Konkurrent Lyft beim Börsengang vor fünf Wochen einen peinlichen Absturz von bis zu 32 Prozent hin.

Ein paar Zahlen zum Vergleich und zur Einordnung: Einer Studie der Analysefirma Ridester zufolge liegt das mittlere Einkommen der Uber-Fahrer in den USA bei 14,73 Dollar pro Stunde, nach Abzug der Kosten für Benzin, Versicherung und Auto-Abnutzung bei 9,73 Dollar und damit unter der Armutsgrenze für einen Drei-Personen-Haushalt. Uber hätte die Fahrer anstellen und sie sozialversichern können, wie es Gewerkschaften und Arbeitsrechtler immer wieder fordern. Es hätte ihren Anteil am Fahrpreis von derzeit höchstens 75 Prozent anheben oder auch den Preis selbst erhöhen können. Womöglich wäre es dann am Mittwoch nicht zu einem weltweiten Streik gekommen.

Es war die Chance, das Leben vieler Menschen zu verbessern, doch hätte Uber mit höheren Preisen und noch höheren Ausgaben überhaupt überlebt? Es gibt keinen zweiten Sieger im Winner-takes-it-all-Techniktal. Wer die Welt verändern will, der muss Regeln und bisweilen auch Gesetze brechen. Der darf keine Angst vor Klagen der Konkurrenz oder gewaltigen Verlusten haben. Der darf keine Rücksicht nehmen auf schlechte Bezahlung von Geschäftspartnern oder Massenentlassungen in der aufgerüttelten Branche. Der muss sich geniale Ideen auch mal, nun ja, von anderen borgen und sie weiterentwickeln. Im Kapitaldarwinismus des Silicon Valley überlebt nicht unbedingt der mit der genialsten Idee, sondern der, der sich am Ende durchsetzt. Mit welchen Mitteln auch immer.

All das führt zu der Frage, ob es den Silicon-Valley-Göttern mit ihren Einhörnern wirklich um die Verbesserung der Welt geht oder ob sie den Leuten diese Vision von einer besseren Welt vielleicht doch nur versprechen, um den Wert des Unternehmens und damit den persönlichen Reichtum beim Börsengang zu mehren?

Marc Andreessen - der König Midas unter den Silicon-Valley-Investoren

Die wohl treffendste Antwort liefert die Dokudrama-Serie "The Valley of the Boom" über die erste Dot-Com-Blase. Marc Andreessen ist damals ein visionärer Programmierer gewesen, Co-Autor des ersten Mainstream-Browsers Mosaic und als Mitgründer von Netscape der heldenhafte Rebell gegen das vermeintlich böse Microsoft-Imperium. Mittlerweile gilt er als König Midas unter den Silicon-Valley-Investoren, weil er bereits zahlreiche Einhörner vergoldet hat. Er ist Mentor von Zuckerberg und Zynga-Gründer Mark Pincus, über seine Firma Andreessen Horowitz hat er in Unternehmen wie Skype, Facebook, Twitter, Groupon, Airbnb, Pinterest, Slack und Lyft investiert.

In der Serie gibt es diese Szene, in der Netscape für 4,3 Milliarden Dollar an den verhassten Giganten AOL verkauft wird. "Ihr denkt jetzt, dass ich diese kaltblütige Drecksau bin, die sich nicht um das Ende seiner Firma schert", sagt die von John Karna wunderbar verkörperte Figur Marc Andreessen: "Vielleicht war dieser Browser das Einzige, das mir was bedeutet hat im Leben (...) Oder aber ich will nicht, dass jemand bemerkt, wie ich mich über den Verkauf freue. Ich segle da raus mit Hunderten von Millionen von Dollar."

Er blickt in die Kamera, so emotionslos und diabolisch, dass der Zuschauer weiß, dass es ihm völlig egal ist, was aus seinem Baby Netscape wird, aus der Rebellion gegen Microsoft und aus der Vorstellung von einer besseren Welt. Noch einmal, damit es keiner vergisst: Andreessen ist der Mentor zahlreicher Start-up-Gründer im Silicon Valley, deren Worte eine schönere Welt beschreiben, deren Taten aber oftmals das Gegenteil erreichen. Und sollte Uber tatsächlich das Beste sein, was das Silicon Valley zur Verbesserung der Welt zu bieten hat, dann sollte sich die Welt schleunigst nach einer neuen Brutstätte für Einhörner umsehen.

Die Silicon-Valley-Götter verändern die Welt, aber wie gesagt nur einen Teil davon. Daneben gibt es noch immer Kriege, Hunger und Epidemien. All die Einhörner, von Apple und Google über Facebook und Twitter bis hin zu Uber und Lyft, und all die König-Midas-Kapitalgeber wie Andreessen Horowitz, Benchmark oder Founders Fund haben das Wissen, die Erfahrung und die finanziellen Möglichkeiten, die Welt tatsächlich zu einem besseren Ort zu machen. Sie müssen nur mal wieder verrückt genug sein, wirklich daran zu glauben. Und es tatsächlich tun.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4440922
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 11.05.2019/hgn
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.