Vielleicht muss man die Sache mal ein bisschen kleiner rechnen, damit man den ganzen Wahnsinn richtig versteht. Man stelle sich also ein kleines Unternehmen vor, vielleicht den Friseursalon an der Ecke. Sagt der Besitzer: "Wir sind noch jung, aber in den vergangenen drei Monaten haben die Kunden schon 30 000 Euro bei uns ausgegeben. Nicht schlecht, oder? Allerdings ist die Miete für den Laden so hoch, die Gehälter für die Mitarbeiter und die Kosten für all die Ausrüstung ebenso. Deshalb haben wir in diesen drei Monaten leider einen Verlust von 10 000 Euro gemacht. Und das geht schon eine Weile so, wir haben Schulden von fast 70 000 Euro."
Dann macht der Mann ein Angebot: Ob man nicht teilhaben wolle an diesem super Geschäft? Sein Salon sollte ungefähr 900 000 Euro wert sein, findet er. Ausgehend von diesem Wert könne man Anteile an dem Salon kaufen. Ob man mit dem Haareschneiden allerdings jemals Gewinn machen werde? Da zuckt er nur mit den Schultern.
Ob jemand da zuschlagen würde? Wohl kaum.
Und doch muss man nur ein paar Nullen an diese Zahlen dranhängen und ist bei dem Angebot, das der Fahrdienstleister Uber Investoren macht, wenn er nun an die Börse geht. Es ist der lang erwartete Höhepunkt der gerade einmal neun Jahre währenden Erfolgsgeschichte dieser Firma. Wenn alles gut läuft, wird dieser Tag zahlreichen anderen Unternehmen den Weg an die Börse ebnen, er wird Tausende neue Millionäre schaffen, er wird Millionäre zu Milliardären machen und reiche Investmentfonds zu noch reicheren. Und natürlich soll er wieder einmal allen Zweiflern die Überlegenheit des Silicon Valley demonstrieren.
Drei Milliarden Dollar Umsatz hat Uber im ersten Quartal 2019 gemacht - und zugleich einen Verlust von einer Milliarde. Das muss man erst mal schaffen: Drei Milliarden einnehmen, vier Milliarden ausgeben. Trotz der etwa 20 Milliarden Dollar, die Investoren in den vergangenen Jahren schon in das Unternehmen gesteckt haben und die größtenteils lange ausgegeben sind, hat Uber Schulden in Höhe von 6,9 Milliarden Dollar.
Uber wäre fast so viel wert wie der deutsche Konzern Siemens
Und trotzdem stehen in den Unterlagen, die Uber vor einigen Tagen bei der amerikanischen Börsenaufsicht einreichte, diese beiden Zahlen: Zwischen 80,5 und 91,5 Milliarden Dollar. So viel sei das Unternehmen wert. Das wäre fast so viel, wie der deutsche Konzern Siemens derzeit an der Börse wert ist, eine mehr als 150-jährige Institution, die Gaskraftwerke, Röntgengeräte und Hochgeschwindigkeitszüge herstellt. Uber hingegen ist am Ende nicht viel mehr als eine Smartphone-App, die selbständige Fahrer in ihren eigenen Autos mit Kunden verbindet. Die geben in der App ein, wo sie hinwollen, ein paar Minuten später rollt der Fahrer vor. Abgerechnet wird automatisch, ebenfalls über die App.
Bis vor Kurzem hatte Uber seinen eigenen Wert sogar mit bis zu 120 Milliarden Dollar angegeben. Der Preisnachlass kam zustande, weil Lyft, der viel kleinere Konkurrent mit identischem Geschäftsmodell, seit seinem Börsengang vor zwei Wochen 20 Prozent an Wert verloren hat. So was will man bei Uber nicht erleben.
80 bis 90 Milliarden also für eine App. Ob bei diesem Geschäft viele Menschen zuschlagen werden?
Wahrscheinlich schon, schließlich kann man die Sache auch ganz anders betrachten, und schließlich ist Uber kein Friseursalon.
Am vergangenen Montag erhielten hundert der wichtigsten Geldverwalter Europas eine Nachricht: Sie sollten sich in drei Stunden im Ballsaal des Luxushotels Claridge's einfinden. Es war der Auftakt zu Ubers Roadshow, einer Reise, die die Chefs jedes Börsenaspiranten unternehmen müssen, um die großen Investmentfonds von sich zu überzeugen.
Dara Khosrowshahi will aus Uber eine Mobilitätsplattform der Zukunft machen.
(Foto: Charles Platiau/Reuters)Was die Manager da von Uber-Chef Dara Khosrowshahi hörten, klang - nach allem, was Teilnehmer so berichten - ziemlich überzeugend.
Ohne dessen Namen ein einziges Mal auszusprechen, soll Khosrowshahi in dem feinen Art-déco-Saal vor allem an ein großes Vorbild erinnert haben: Amazon. Der Versandhändler aus Seattle hatte ebenfalls jahrelang nur Verluste geschrieben, auch nach seinem Börsengang 1997. Selbst Dividenden versagte Amazon-Gründer Jeff Bezos den Anlegern, immer wieder predigte er, Wachstum sei das Wichtigste, Profite kämen später. Und kaum verlor die Wallstreet vor einigen Jahren so langsam die Geduld mit Amazon, war es, als lege Bezos einen Schalter um. Drei Milliarden Dollar Gewinn schrieb Amazon im vergangenen Quartal, über die bis heute ausbleibende Dividende meckert kaum noch jemand.