Es gab schon immer Gründe, einen Bogen um Twitter zu machen. Frauen und Minderheiten werden dort mit großem Eifer belehrt, beleidigt und bedroht. Echtzeitkommunikation mit begrenzter Zeichenzahl führt oft zu Streit und selten zu Erkenntnisgewinn. Wer die Plattform aktiv nutzte, konnte sie für relevant halten, repräsentativ für die Gesellschaft war Twitter noch nie.
Seit Oktober 2022 gibt es einen weiteren Grund: Elon Musk. Der neue Eigentümer benannte Twitter um in X und feuerte fast alle Angestellten, die sich um Moderation und Sicherheit kümmerten. Dafür kehrten gesperrte Rechtsradikale und Extremisten zurück.
Für 47 deutsche Organisationen ist jetzt der Punkt erreicht, X endgültig zu verlassen. Am 18. Juni, den Internationalen Tag gegen Hate Speech, deaktivieren Vereine und Verbände wie Ärzte der Welt, Bioland, Changing Cities, Fairtrade Deutschland, Germanwatch, die Kindernothilfe und Terre des Hommes ihre Konten auf X. Sie nennen das den „eXit“ und informieren unter dem Hashtag #ByeByeElon sowie auf der gleichnamigen Webseite über die Gefahren von Hassrede.
„Unsere Antwort lautet: Bye bye, Elon“
„Hass, Hetze, Aufrufe zu Gewalt, Desinformation: Das alles gehört seit der Übernahme durch Elon Musk in immer größerem Umfang zu den alltäglichen Umgangsformen auf X“, begründen die Initiatoren ihre Entscheidung. Extremismus und Demokratiefeindlichkeit bestimmten die Debatten, Musk ignoriere die Verrohung der Debattenkultur.
Die Organisationen machen den neuen Eigentümer persönlich dafür verantwortlich. Musk setze Moderation mit Zensur gleich und habe Konten wieder zugelassen, die eine eindeutig demokratiefeindliche Agenda verfolgten. „Das hat bei X unter Elon Musk Strategie, weshalb unsere Antwort lautet: Bye Bye Elon!“
Musk hat vom ersten Tag an wenig Zweifel gelassen, was er mit Twitter vorhat. Warum hat es fast zwei Jahre gedauert, um sich von X zu trennen? „Den Entschluss, eine gewachsene Zahl von Follower*innen auf diesem Kanal nicht mehr anzusprechen, fällt keine Organisation leichtfertig“, erklären die Organisatoren. Zudem habe man als breites Bündnis aussteigen wollen, um ein Signal für Respekt, Vielfalt und Demokratie zu setzen.
Es gibt immer noch keinen echten Ersatz
Mit ihrer Entscheidung möchten die beteiligten Organisationen mehr Menschen dazu bringen, ihre Social-Media-Nutzung zu hinterfragen. Das Bündnis hat rund zwei Dutzend Grafiken, Illustrationen und Texte vorbereitet, die Nutzerinnen und Nutzer als Bilder teilen können. Wer seinen Account ebenfalls stilllegen möchte, kann eines dieser Sharepics für einen Abschiedspost nutzen. Falls man weiter aktiv auf X bleiben möchte, findet man auf der Webseite des Bündnisses Anleitungen, wie sich strafbare Hassnachrichten melden lassen.
Obwohl Millionen Menschen X verlassen haben, hält sich die Plattform hartnäckig. Konzerne, Prominente und Politikerinnen teilen dort weiter ihre Botschaften und Belanglosigkeiten, auch viele Medien und Journalisten sind nach wie vor aktiv. Das liegt auch daran, dass sich bislang keine echte Alternative etabliert hat.
Die „eXilanten“ verteilen sich auf Mastodon, Bluesky und Threads. Diese Plattformen funktionieren ähnlich, sind für die meisten Menschen aber kein gleichwertiger Ersatz für das alte Twitter. Das scheint dem Bündnis ähnlich zu gehen. „Auf welchen weiteren sozialen Netzwerken sind die eXit-Partner zu finden?“, lautet die letzte Frage auf der Webseite. Die Antwort zeigt, dass mit Twitter auch ein Stück digitale Heimat gestorben ist: „Darüber wird jede Organisation selbst im Rahmen der eXit-Aktionswoche informieren.“