Natürlich musste es am 20. April passieren. Das Datum, 4/20 nach US-Schreibweise, beinhaltet die Lieblingszahl von Elon Musk: 420, die in den USA ein Codewort für Cannabiskonsum ist. Musk übernahm Twitter für einen Preis von 54,20 Dollar pro Aktie und schlug einst vor, sein Unternehmen Tesla von der Börse zu nehmen - für einen Aktienwert von 420 Dollar. Es war also ein besonderer Tag für den Twitter-Chef, und Musk zelebrierte ihn auf seine ganz eigene Art.
Am späten Donnerstagabend deutscher Zeit verloren auf Twitter rund 420 000 Accounts ihren blauen Haken - eine Zahl, die Musk gefallen dürfte, in diesem Fall aber tatsächlich Zufall ist. Mit dem Symbol kennzeichnete Twitter Unternehmen, Prominente, Politikerinnen oder Journalisten. Der blaue Haken bedeutete: Wir haben die Identität der Person geprüft, die hinter diesem Konto steckt.
Musk schimpfte immer wieder über das Verifizierungssystem, nannte es "korrupt" oder "Bullshit". Angeblich habe Twitter damit eine Zweiklassengesellschaft geschaffen. In erster Linie sollte der Prozess aber verhindern, dass Spaßvögel oder Kriminelle die Identität einer bekannten Person annehmen und in deren Namen Verwirrung stiften. Über die Jahre lernten Nutzerinnen und Nutzer: Die Verifizierung steht für Authentizität, ein vermeintlicher Promi ohne blauen Haken ist meist ein Fake.
Der blaue Haken existiert weiter
Twitter belässt es aber nicht dabei, einfach alle Haken zu entfernen. Das Symbol existiert weiter, bedeutet allerdings etwas anderes. Künftig heißt es: Dieser Account zahlt rund zehn Euro pro Monat für Twitter Blue. Wer ein Abo abschließt, erhält unter anderem größere Reichweite, darf statt 280 bis zu 10 000 Zeichen pro Tweet schreiben und sieht weniger Werbung. Eine Weile existierten Twitter Blue und das Verifizierungssymbol parallel, ab sofort outen sich alle Hakenbesitzer als zahlende Kunden.
Für viele Menschen ist das ein rotes Tuch. In den vergangenen Wochen kursierten Anleitungen, um automatisch alle Blue-Abonnenten zu blockieren. Wer für Twitter, und damit indirekt für Musk, zahle, den könne man nicht ernst nehmen, lautet die Begründung. "Endlich sind wir alle gleich und die Arschlöcher wieder gut zu erkennen", drückt es Jan Böhmermann aus, der nun ebenfalls hakenlos daherkommt.
Unabhängig davon, was der Abschluss eines Twitter-Abos über den Charakter aussagt, liegt Böhmermann falsch. Einige prominente Nutzer haben ihren blauen Haken behalten, obwohl sie nicht für Blue zahlen, darunter LeBron James, Stephen King und William Shatner. Alle drei hatten sich zuvor mit Musk angelegt und angekündigt, garantiert kein Abonnement abzuschließen. Musk scheint sich jetzt zu rächen, indem er den dreien das Abo sponsert - und damit öffentlich den Eindruck erweckt, selbst seine Kritiker zahlten für Twitter Blue.
Bislang ist Twitter Blue ein Flop
Um die Verwirrung perfekt zu machen, gibt es verschiedenfarbige Symbole. Graue Haken sind gratis und kennzeichnen Mitglieder der Regierung, Ministerien oder Botschaften. Gold steht für verifizierte Organisationen, die dafür knapp 1000 Euro pro Monat zahlen. Es gibt aber Ausnahmen: Die 500 größten Werbekunden und die 10 000 Organisationen mit den meisten Followern dürfen ihre goldenen Gratis-Haken behalten. Für Außenstehende ist nicht erkennbar, wer zu dieser illustren Gemeinschaft zählt, und wer zahlt.
Musk möchte Twitter mit dem Bezahlmodell unabhängiger von Werbung machen. Fast drei Viertel von Twitters wichtigsten Werbekunden haben ihre Buchungen gestoppt, der Umsatz mit Anzeigen ist eingebrochen. Bislang geht der Plan nicht auf. Schätzungen zufolge zahlen rund 600 000 Menschen für Twitter Blue, das entspräche etwa einem Prozent von Twitters Umsatz im vergangenen Jahr. Um sich komplett durch Blue zu finanzieren, bräuchte Twitter rund 50 Millionen Kundinnen und Kunden - oder Multimilliardär Musk zahlt einfach noch ein paar weitere Abos aus eigener Tasche.