Er kauft. Er kauft nicht. Er kauft doch. Der absurdeste Übernahmestreit der Tech-Geschichte könnte mit einer Volte enden, mit der niemand mehr gerechnet hat. Angeblich wird Elon Musk Twitter für rund 44 Milliarden Dollar übernehmen. Diesen Vorschlag haben seine Anwälte dem Verwaltungsrat des Unternehmens per Brief unterbreitet.
Dem Wort angeblich kommt eine entscheidende Bedeutung zu. Das liegt nicht an den Medien, die über den Sinneswandel des Tesla-Chefs berichten und sich dabei auf anonyme Aussagen berufen. Bloomberg, New York Times, Wall Street Journal, Washington Post und Financial Times sind glaubwürdige Quellen. Das liegt auch nicht daran, dass bislang eine offizielle Bestätigung fehlt und Twitter die Berichte nicht kommentiert. Der wichtigste Grund für Skepsis oder zumindest Vorsicht heißt Elon Musk: Der Multimilliardär hat in den vergangenen Monaten immer wieder demonstriert, dass seine Aussagen ungefähr so viel mit seinen Handlungen zu tun haben wie ein Tesla mit einem Trabbi.
Im April schockierte Musk nicht nur Twitter-Aktionäre, sondern die gesamte Tech-Branche. Über Monate hinweg hatte Musk heimlich Aktienpakete gekauft, bis er plötzlich verkündete: Ich möchte nicht nur zehn Prozent von Twitter haben, sondern mein Lieblingsspielzeug ganz besitzen. Der reichste Mensch übernimmt eine der einflussreichsten Plattformen der Welt - das ist selbst dann eine beunruhigende Vorstellung, wenn man Musks Pöbeleien und seine bestenfalls naive Vorstellung von Redefreiheit ausblendet.
Musk suchte nach Ausreden
Trotz aller Bedenken einigten sich beide Seiten auf eine Übernahme. Musk verpflichtete sich schriftlich, 54,20 Dollar pro Aktie zu zahlen. Doch in den folgenden Monaten wechselte er öfter seine Meinung als andere Menschen ihre Unterhosen. Dem erfolgreichen Geschäftsmann dämmerte, dass er bei seinem Twitter-Deal einen Fehler gemacht haben könnte. In der Zwischenzeit waren viele große Tech-Aktien abgestürzt, auch Twitter und Tesla verloren an Wert, die Übernahme sah für Musk immer schlechter aus. Gleichzeitig wurde deutlich, dass die meisten Twitter-Angestellten gar nicht auf den vermeintlichen Retter gewartet hatten, als der Musk sich selbst sah. Eine Online-Plattform zu führen, ist etwas anderes als Elektroautos zu bauen.
Twitter:Dieser Whistleblower kommt Elon Musk wie gerufen
Twitters ehemaliger Sicherheitschef wirft dem Unternehmen schwere Fehler vor. Tesla-Chef Musk dürfte daraus Argumente konstruieren, um seinen Kauf von Twitter platzen zu lassen.
Also suchte Musk nach Gründen, um den Kauf platzen zu lassen. Schließlich landete er bei Spam-Bots. Angeblich, schon wieder dieses Wort, habe Twitter die Öffentlichkeit jahrelang getäuscht. Musk behauptete, dass hinter einem signifikanten Teil der Twitter-Konten keine echten Menschen steckten. Einen Beweis legte er nicht vor, dafür aber eine fast schon bewundernswerte Hartnäckigkeit. Wochenlang erzählte Musk seinen mehr als 100 Millionen Twitter-Followern tagein, tagaus von der angeblichen Bot-Armee, die auf Twitter den Ton angebe.
Dass er den Kampf gegen Spam und Fake-Accounts noch kurz vor dem Kauf zu einer seiner wichtigsten Aufgaben als Twitter-Eigentümer erklärt hatte, ja sogar als Motivation für seine Entscheidung, verschwieg Musk dabei. Stattdessen griff er Twitter-Mitarbeiterinnen öffentlich an und antwortete dem Twitter-Chef Parag Agrawal mit einem Kothaufen-Emoji.
Twitter verklagte Musk
Twitter und Musk tauschten die Rollen. Hatte sich das Unternehmen zunächst gegen die feindliche Übernahme gewehrt, bestand es nun darauf, während Musk den Kauf bereute und sich weigerte, den vereinbarten Preis zu zahlen. Schließlich verklagte Twitter den Tesla-Chef, damit dieser ein Unternehmen kaufen muss, das er gar nicht mehr besitzen will, und heuerte dafür eine Anwaltskanzlei an, die einst Musk vor Gericht vertrat.
Unter diesen Vorzeichen sollte Mitte Oktober der Prozess beginnen, doch offenbar hat Musk auch darauf keine Lust mehr. Die zuständige Richterin hatte bereits durchblicken lassen, dass sie Musks fadenscheiniger Argumentation wenig abgewinnen kann. Auch die gravierenden Vorwürfe des früheren Twitter-Sicherheitschefs schienen das Verfahren nicht nachhaltig zugunsten von Musk zu beeinflussen. Bevor der Multimilliardär von einem Gericht dazu gezwungen wird, kauft er Twitter nun wohl doch lieber freiwillig.
Doch ein Ende ohne Drama wäre kein passender Abschluss für dieses Drama ohne Ende. Angeblich, so berichten es mehrere US-Medien übereinstimmend, ist Twitter noch nicht sicher, ob es dem Vorschlag zustimmen soll. Zu groß sei das Misstrauen, zu viel Vertrauen sei in den vergangenen Monaten zerstört worden. Fortsetzung folgt, garantiert.