Süddeutsche Zeitung

Twitter:Warum Musk seine Meinung geändert hat

Der Tesla-Chef möchte Twitter nun doch kaufen. Der Börsenkurs steigt sprunghaft, aber die Vergangenheit lehrt: Bei Musk kann man nie sicher sein.

Von Simon Hurtz, Berlin

Mit Kursmanipulationen kennt Elon Musk sich aus. Mehrfach befeuerte er mit seinen Tweets den Herdentrieb der Börse, ließ Kurse in die Höhe schnellen oder Menschen Milliarden in die Bitcoin-Parodie Dogecoin investieren. Teils waren das schlechte Scherze, teils steckten eigene wirtschaftliche Interessen dahinter. Immer wieder brachte er die US-Börsenaufsicht SEC gegen sich auf, weil er irreführende oder falsche Behauptungen über sein Unternehmen Tesla verbreitete.

Auch am gestrigen Dienstag brachte Musk die Märkte in Wallung. Diesmal aber nicht mit einem launigen Tweet, sondern mit zwei eher formalen Schreiben, einem Brief an den Twitter Verwaltungsrat und einer Pflichtmitteilung an die SEC. Angeblich möchte Musk dem Drama rundum die vermeintlich fixe und dann doch wieder abgeblasene Twitter-Übernahme ein überraschend undramatisches Ende bereiten, in dem er Twitter zum vereinbarten Preis von 44 Milliarden Dollar kauft.

Wer Twitter-Aktien besitzt, dürfte jubilieren. Binnen weniger Stunden stieg der Börsenkurs um mehr als 20 Prozent. Schließlich hatte sich Musk im April schriftlich verpflichtet, 54,20 Dollar pro Aktie zu zahlen. Im September dümpelte der Wert zwischen 40 und 43 Dollar, nun nähert er sich mit 52 Dollar pro Aktie dem Preis, den Musk zahlen müsste, sollte er sich an den Kaufvertrag gebunden fühlen.

Der aktuelle Kurs liegt aber nach wie vor rund vier Prozent unter dem möglichen Erlös. Aktionärinnen und Aktionäre sind also noch nicht ganz sicher, ob es wirklich so kommt, wie Musk nun vorschlägt. Für diese Vorsicht gibt es gute Gründe. Zum einen hat Musk im vergangenen halben Jahr mehrmals bewiesen, wie wenig sein Wort wert ist. Im Zweifel interessiert ihn morgen nicht mehr, was er heute sagt, solange er sich einen Vorteil davon verspricht.

Twitter hat noch nicht zugestimmt

Zum anderen hat Twitter dem Angebot noch nicht zugestimmt. Der Verwaltungsrat misstraut Musk und wittert Verhandlungstaktik. Womöglich, so fürchten die Verantwortlichen, möchte Musk nur das Gerichtsverfahren aus dem Weg räumen, das für Mitte Oktober angesetzt ist. Twitter und Musk hatten einander verklagt, nachdem der Tesla-Chef mit offensichtlich vorgeschobenen Argumenten aus dem Kauf ausgestiegen war. Die Richterin ließ bereits durchblicken, dass sie wenig Verständnis für Musks Position hat.

Musk musste also von einer mehrfachen Niederlage ausgehen. Am Ende des Prozesses hätte er wohl nicht nur den Kaufpreis zahlen müssen, sondern sich auch lächerlich gemacht. Zudem wurden vergangene Woche im Zuge des Verfahrens Hunderte Nachrichten veröffentlicht, die Musk mit Prominenten und Führungspersönlichkeiten aus der Tech-Branche ausgetauscht hatte. Viele der Chats sind für die Beteiligten peinlich, auch Musk steht nicht gut da. Möglich, dass Musk und seinen Bekanntschaften weitere unangenehme Enthüllungen bevorgestanden hätten.

Für Musk liegt es also nahe, der Konfrontation vor Gericht aus dem Weg zu gehen. Gleichzeitig gibt es für Twitter gute Gründe, vorsichtig zu sein. Bevor das Unternehmen dem Vorschlag zustimmt und seine Klage gegen Musk fallen lässt, möchte der Verwaltungsrat Garantien, dass Musk am Ende tatsächlich zahlt. Die einzige öffentliche Aussage ist denkbar knapp: "Wir haben den Brief der Musk-Seite erhalten", teilte man mit. Man beabsichtige, die Transaktion zum Preis von 54,20 Dollar pro Aktie zu vollziehen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5669308
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ/ma
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.