Twitter:Von der Ratlosigkeit des Sauriers

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Im Jahr 2020 hat ein Hedgefonds Twitter-Anteile gekauft und versucht, Jack Dorsey als Chef von Twitter loszuwerden. Ohne Erfolg. (Foto: mauritius images)

Jahrelang hat sich Twitter kaum verändert. Doch die jüngsten Zukäufe zeigen, in welche Richtungen sich die Plattform nun bewegen könnte.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

2,5 Millionen Dollar. Das ist das derzeit höchste Gebot für den ersten Twitter-Eintrag von Gründer Jack Dorsey. "just setting up my twttr", schrieb er am 21. März 2006 um 12.50 Uhr als @jack, dieses Stück Zeitgeschichte wird natürlich nicht einfach ausgedruckt und eingerahmt, sondern als "Non-Fungible Token" (NFT) mit der digitalen Signatur Dorseys und den Metadaten des Eintrags verschickt. NFTs verwendet die Technologie Blockchain, und nicht nur deshalb könnte die Symbolik dieser Auktion kaum größer sein. Ein Tweet als NFT, das klingt ein bisschen wie ein Dinosaurier in einer Rakete zum Mars.

15 Jahre lang gibt es Twitter nun also schon, in Digital-Jahren ist das eine Ewigkeit, das Unternehmen ist ein Dinosaurier - auch deshalb, weil sich die Plattform in dieser Zeit in etwa so verändert hat wie ein Stegosaurus in den vergangenen 65 Millionen Jahren: gar nicht. Die einzige Veränderung, an die sich die Leute erinnern, war 2017 die Verdoppelung der möglichen Zeichen auf 280, und es brauchte ja auch nicht mehr. Die Relevanz von Twitter liegt grundsätzlich darin, dass jeder mit Internetzugang seine Meinung äußern darf, was in den vergangenen Jahren freilich häufig auf das Geplärre von Donald Trump und das Gekeife der verschiedenen Lager bei politischen und gesellschaftlichen Themen reduziert wurde.

Es sind in dieser Zeit andere Plattformen entstanden, die aktuellen popkulturellen Debatten drehen sich um den möchtegern-exklusiven Laber-Salon Clubhouse und die Video-App Tiktok. Es sind viele wieder verschwunden, und es ist dann schon interessant, dass zwei der berühmteren Plattformen, der Tiktok-Vorgänger Vine und die Video-App Periscope, zu Twitter gehört haben. Es ist durchaus möglich, dass Dorsey, der mit Quarantäne-Zauselbart mittlerweile so aussieht, als würde er entweder rund um die Uhr Clubhouse-Debatten moderieren oder Dinosaurier jagen, Twitter gerade deshalb kaum verändert hat, um in dieser politisch-gesellschaftlichen Nische zu bleiben.

"Gefährlicher Präzedenzfall"

Nur: Trump twittert nicht mehr, seit ihn Dorsey verbannt hat. Er nannte es eine "richtige Entscheidung für Twitter", die allerdings als "gefährlicher Präzedenzfall" zeige, dass die Plattform nicht in der Lage gewesen sei, "gesunde und fruchtbare Diskussionen" zu ermöglichen. Snapchat (265 Millionen täglich aktive Nutzer) hat Twitter (192 Millionen) bereits überholt und ist gerade bei jungen Leuten beliebter, Tiktok (etwa 50 Millionen in den USA, das Unternehmen veröffentlicht keine offiziellen Zahlen) und das erst elf Monate alte Clubhouse (zehn Millionen) holen auf. "Die Kritik konzentriert sich auf drei Punkte", sagt Dorsey. "Wir sind langsam, wir sind nicht innovativ, es mangelt an Vertrauen." Bei einem Dinosaurier würde man sagen: nicht bereit für die Eiszeit.

Twitter hat kürzlich zahlreiche Unternehmen gekauft: das Social-Media-Start-up Squad, die Podcast-Plattform Breaker, die Design-Firma Ueno und die niederländische Newsletter-Plattform Revue. Es scheint, als würde Dorsey an einer Weggabelung für sein Unternehmen gleich ein paar mögliche Straßen bauen, um zu experimentieren, welchen Weg er einschlagen möchte. Im vergangenen Jahr hat der Hedgefonds Elliot Management vier Prozent der Twitter-Anteile gekauft und versucht, Dorsey als Chef loszuwerden mit der Begründung, dass der sich aufgrund seiner Doppelrolle (er leitet das Fintech-Unternehmen Square, das gerade den Musikservice Tidal vom Rapper-Entrepreneur Jay-Z gekauft hat) zu wenig auf die Evolution von Twitter konzentriere.

Dorsey, 44, hat sich mit dem Hedgefonds geeinigt, aber es stimmt schon: Er muss Twitter entwickeln, ohne die Konkurrenten zu imitieren. Die Kurz-Videos Fleets sehen arg aus wie Einträge bei Snapchat oder Instagram-Stories, das Audio-Angebot Spaces erinnert an Clubhouse. Viel interessanter wirkt dagegen alles, bei dem die Plattform in der gesellschaftlich relevanten Nische bleibt, allerdings mit innovativen Angeboten - also zum Beispiel die Möglichkeit für Nutzer, möglicherweise vergiftete Debatten unter ihren Einträgen zu moderieren und den Kreis derer, die mitreden dürfen, auf jene zu reduzieren, denen sie selbst folgen.

"All die kleinen Maßnahmen fügen sich derzeit nicht zu einem großen Ganzen."

Weitere Möglichkeiten sind zum Beispiel Newsletter, für die sich Autoren bezahlen lassen können - ein derzeit sehr angesagtes journalistisches Format. Es ist ja der Reiz von Plattformen wie Snapchat, Tiktok oder Instagram, dass Kreative dort Geld verdienen können - bei Twitter ist es oftmals nur der Verweis auf journalistische Inhalte (die Selbstwerbung gipfelt oft im Ausdruck "Mein Text dazu"). Twitter plant nicht nur Newsletter, sondern auch "Super Follows", wodurch Bereitschaft signalisiert wird, für die Inhalte eines Nutzers zu bezahlen. Darauf aufbauend soll es in diesem Jahr eine Gruppen-Funktion geben, bei der Moderatoren ihre Regeln selbst festlegen und damit womöglich Debatten ein wenig abkühlen können, ohne dass gleich wieder von "Zensur" die Rede ist.

"Sie experimentieren gerade mit vielen kleinen Dingen - was ich gerne sehen würde: eine langfristige Vision", sagt Jessica Liu von der Analysefirma Forrester: "All die kleinen Maßnahmen fügen sich derzeit nicht zu einem großen Ganzen." Wenn Dorsey in den vergangenen Jahren eines bewiesen hat, dann dies: Er hat den Mut, unbequeme Entscheidungen zu treffen (das Ende von Periscope und Vine, die Maßnahmen gegen Trump), ohne aktionistisch daherzukommen. Die Investoren scheinen ihm das zu glauben, das zeigt nicht das 2,5-Millionen-Dollar-Gebot für seinen ersten Tweet, sondern vor allem der Aktienkurs: Der ist derzeit so hoch wie nie zuvor, und weil das ja auch immer eine Wette auf die Zukunft eines Unternehmens ist, scheint es ganz gut bestellt zu sein um den Digital-Dinosaurier.

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