Süddeutsche Zeitung

Türkei:Unmut am Gemüsestand

Die hohe Inflation bei Grundnahrungsmitteln setzt die türkische Regierung unter Druck. Doch bald soll sich die Lage bessern.

Von Christiane Schlötzer, Istanbul

Für die gute Nachricht war am Mittwoch in Istanbul der Zentralbankchef zuständig. In der Türkei werde die Inflation 2019 wieder sinken, sagte Murat Çetinkaya, auf voraussichtlich 14,6 Prozent. Das ist immer noch viel. Nachdem 2003 die konservativ-islamische AKP von Präsident Recep Tayyip Erdoğan an die Macht kam, hatten die Türken fast vergessen, dass sie früher in einem Land mit Rekordinflationsraten von mehr als 60 Prozent lebten. 2018 wurden sie daran erinnert - als der Wert der Lira gegenüber Euro und Dollar dramatisch absackte. Für 2018 steht die Inflationsrate jetzt auch fest: 20,3 Prozent.

Die Vorhersagen waren noch düsterer, aber im Alltag sehen viele Türken bislang keine Besserung der Lage. Im Gegenteil: Erst waren Zwiebeln so teuer, dass dies eine "Zwiebelkrise" auslöste - Depots wurden durchsucht, wegen angeblich illegaler Preistreiberei. Nun haben die Händler beschlossen, zu teures Gemüse nicht mehr überall zu verkaufen. Auberginen und Peperoni zum Beispiel, aus der türkischen Küche nicht wegzudenken, soll es nicht mehr in einigen Supermärkten in jenen Stadtvierteln geben, "wo Leute mit niedrigem Einkommen leben", zitierte die Zeitung Hürriyet Daily News den Vorsitzenden der türkischen Einzelhändlervereinigung, Mustafa Altunbilek. Ein Grund dafür ist wohl: Man will sich die Klagen der Kunden über die hohen Preise nicht länger anhören. Und Erdoğan hatte in einer Rede gedroht, man werde all jene, die die gegenwärtige Lage ausnutzten, "zur Rechenschaft" ziehen. Danach gab es Kontrollen in Obst- und Gemüsegeschäften in allen 81 Provinzen des Landes.

Für die Zeitung Sözcü ist die aktuelle Auberginenkrise ein Armutszeugnis. Die AKP wolle ihren Wählern, von denen viele in ärmeren Vierteln lebten, nicht die Wahrheit sagen: nämlich, dass die Agrarproduktion in der Türkei ab- und nicht zunehme, sodass die Preise zwingend steigen müssten. Auf Twitter konnte man schon den Ratschlag an die Opposition lesen, den bekannten, 30 Jahre alten Schlager "Domates, biber, patlıcan" (Tomate, Peperoni, Aubergine) als Kampagnensong für die Kommunalwahlen am 31. März zu nutzen.

Im Vorfeld dieser landesweiten Wahlen gibt es auch neue Umfragen. Sie sagen für die AKP gegenüber der Parlamentswahl 2018 Stimmenverluste voraus. Die AKP hat sich daher in mehreren Kommunen bereits mit der ultranationalistischen MHP verbündet. Das Potsdam Institute for Applied Research (Piar) fragte Mitte Januar in der Türkei auch nach den größten Problemen des Landes. Knapp 35 Prozent nannten an erster stelle die schlechte wirtschaftliche Lage, 14,6 Prozent die Arbeitslosigkeit. An dritter Stelle werden von 12,6 Prozent der Befragten die mehr als vier Millionen syrischen Flüchtlinge im Land angeführt. Erdoğan hat zuletzt immer wieder betont, viele Flüchtlinge sollten in die von ihm geforderte Sicherheitszone in Syrien umziehen. In früheren Umfragen wurde sonst immer "der Terrorismus" als Problem Nummer eins der Türkei genannt, erinnert die Politikwebseite Al-Monitor.

Die Regierung schlägt trotz allem optimistische Töne an. Finanzminister Berat Albayrak versprach jüngst weiteres Wachstum, allerdings von nur noch 2,3 Prozent im Jahr 2019. Das ist weit weniger als die früheren Rekordraten von acht Prozent. Was der Türkei 2018 half, die Inflation etwas zu dämpfen: Die politischen Spannungen mit den USA wurden entschärft, die von Präsident Donald Trump verhängten Strafzölle zurückgenommen. Für 2019 setzt Zentralbankchef Çetinkaya zudem auf sinkende Erdölpreise, steigende Exporte und ein besseres Tourismusgeschäft.

Auf dem Höhepunkt der Krise mit den USA hatte Erdoğan empfohlen, US-Produkte zu boykottieren. Deren Preise waren wegen des Lira-Sturzes ohnehin stark gestiegen. Das zeigt sich etwa an den iPhone-Verkäufen: Apple-Chef Tim Cook zufolge wurden mit iPhones in der Türkei 2018 700 Millionen Dollar weniger umgesetzt als im Vorjahr. Er versprach, über Preissenkungen für die Türkei nachzudenken. Noch eine gute Nachricht.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4310407
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 31.01.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.