Türkei:Rauswurf am Samstagmorgen

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Murat Çetinkaya hatte sich geweigert, den Leitzins zu senken. (Foto: Uwe Anspach/dpa)

Präsident Erdoğan feuert den Chef der türkischen Zentralbank.

Von Christiane Schlötzer, Istanbul

Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan hat den Chef der Zentralbank per Dekret abgesetzt. Murat Çetinkaya, seit April 2016 im Amt, wurde über Nacht durch seinen bisherigen Stellvertreter Murat Uysal ersetzt. Die Staatszeitung veröffentliche am Samstagfrüh - nach Schließung der Märkte - den Erlass. Ein Grund wurde nicht genannt.

Erdoğan hat seit Einführung des Präsidialsystems das Recht, den Zentralbankchef allein zu bestimmen. Früher war ein Kabinettsvotum nötig. Der Präsident hatte zuletzt immer wieder Druck auf die Zentralbank ausgeübt, die hohen Leitzinsen von 24 Prozent zu senken. Er nannte hohe Zinsen "die Mutter und den Vater allen Übels". Ratingagenturen hatten dagegen Zinserhöhungen gefordert, um dem Anstieg der Inflation in der Türkei zu bremsen.

Mit seiner Entscheidung schürt Erdoğan Zweifel an der Unabhängigkeit der Bank. Auch Finanzminister Berat Albayrak, Erdoğans Schwiegersohn, gehörte zu den Kritikern Çetinkayas. Die Nachrichtenagentur Reuters berichtete, Albayrak habe seit Wochen die Abberufung des Notenbankchefs verlangt, dessen Amtszeit erst 2020 enden sollte. "Präsident Erdoğan war unglücklich über die Höhe der Zinsen und er hat das bei jeder Gelegenheit gesagt. Die Entscheidung der Bank im Juni, die Zinsen nicht zu senken, hat das Problem verschärft", zitierte die Agentur eine anonyme Regierungsquelle. Auch türkische Medien hatten in den vergangenen Tagen über eine Entlassung Çetinkayas spekuliert.

Die Notenbank hat den aktuellen Leitzins von 24 Prozent seit September beibehalten. Zuvor war die Türkische Lira nach einem Zerwürfnis zwischen Ankara und Washington eingebrochen, ihr Kurs schwankt seitdem stark. Gleichzeitig sind Inflation und Arbeitslosigkeit gestiegen. Zwischenzeitlich war die Wirtschaft der Türkei in eine Rezession gerutscht. Und nun zeichnet sich schon ein neuer Konflikt mit den USA ab: Die Türkei hat zwei Batterien des russischen Raketenabwehrsystems S-400 gekauft, Washington droht deshalb mit Sanktionen. Die Lieferung der ersten Teile der S-400 ist für diesen Monat geplant.

Erdoğan hatte jüngst nach einem Gespräch mit US-Präsident Donald Trump beim G20-Gipfel in Osaka erklärt, Trump wolle keine Sanktionen gegen die Türkei. Experten zufolge würde aber das sogenannte CAATSA-Gesetz in den USA automatisch greifen, sobald die russischen Raketen in der Türkei eintreffen: Sofortige Sanktionen gegen türkische Unternehmen wären die Folge, ein neuerlicher Absturz der Wirtschaft kaum zu vermeiden. Trump könnte Sanktionen lediglich aufschieben, aber nicht verhindern, heißt es.

Murat Uysal, der neue Zentralbankchef, schrieb auf der Internetseite des Instituts, die Notenbank werde auch künftig unabhängig sein. Eine Pressekonferenz sei "in den kommenden Tagen" geplant. Der Ökonom Uysal, geboren 1971 in Istanbul, war seit Juni 2016 Stellvertreter Çetinkayas. Die nächste Sitzung des Notenbankvorstands soll am 25. Juli stattfinden.

Die größte Oppositionspartei CHP äußerte harsche Kritik an Erdoğans Vorgehen. "Die türkische Zentralbank ist zu einer Geisel des Palastes geworden", twitterte CHP-Sprecher Faik Öztrak. Ibrahim Turhan, ein früherer Vizechef der Zentralbank, schrieb, die Entscheidung sei ein "schwerer Schlag gegen die Unabhängigkeit der Bank".

© SZ vom 08.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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