Türkei:Wer wird Milyoner?

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Um Lira-Millionär zu werden, braucht man schon viele dieser Scheine. Zehn türkische Lira sind 27 Cent wert. (Foto: IMAGO/Panthermedia)

In der Türkei ist die höchste Banknote inzwischen kaum mehr als fünf Euro wert. Die Lira hat einen jahrelangen Wertverfall hinter sich, die Inflation ist immer noch zweistellig. Eindrücke aus einem Land, in dem sich die Preise teils täglich ändern.

Von Raphael Geiger, Istanbul

In der Türkei haben sich manche, Ältere meistens, nie daran gewöhnt, dass ihre Währung Lira heißt. Sie sagen „Milyon“, was nicht schwer zu übersetzen ist, eine Million. Das kommt daher, dass Recep Tayyip Erdoğan vor 20 Jahren beschloss, die Lira durch die neue Lira abzulösen und bei den Preisen sechs Nullen zu streichen. Aus einer Million Lira wurden eine neue Lira, zwei Lira waren ungefähr ein Euro. Stabile Verhältnisse versprach Erdoğan, ein paar Jahre lang hielt er das Versprechen. Die türkische Wirtschaft boomte. Die neue Lira hielt sich im Wert. Jedenfalls einigermaßen. 

Der Mann, der das Land regiert, ist derselbe geblieben. Noch immer ist die höchste Banknote der 200-Lira-Schein. Nur was man dafür bekommt, hat sich ein kleines bisschen verändert. Wer den Schein damals, vor zwei Jahrzehnten, in einer Wechselstube auf den Tisch legte, bekam um die 100 Euro. Vor zehn Jahren waren es noch ungefähr 70. Und heute? Ein wenig mehr als fünf. 

Zwanzig Jahre nach der Währungsreform ist die türkische Wirtschaft weit entfernt von den guten Zeiten von damals. Im Oktober meldete die Zentralbank die aktuelle Inflationsrate, sie betrug 48,6 Prozent. Eine gute Nachricht, so niedrig war die Rate schon lange nicht mehr. Wobei unabhängige Ökonomen sie auf knapp 90 Prozent schätzen, und der gefühlten Wahrheit zufolge könnten sie richtig liegen. Die Regel, wie man in der Türkei schätzt, was etwas kosten wird, geht so: ungefähr doppelt so viel wie vor einem Jahr. Auch wenn sich die Lira stabilisiert hat – die Inflationsprognose für kommendes Jahr hat die Zentralbank gerade nach oben korrigiert. Endlich mehr Realismus, fanden Finanzanalysten.

Die beste Geldanlage? Konsum, sofort

Der kann in diesem Land nicht schaden, die Inflation nämlich führt zu ständigen Möglichkeiten des Profits und Verlusts, die man als Mensch aus dem Euro-Raum nicht gekannt hat. Soll man das Ikea-Regal kaufen? Jedenfalls wird es bald teurer sein, vielleicht morgen, vielleicht nächste Woche. Die beste Geldanlage? Konsum, sofort. Glücklich, wer vor Jahren einen Kredit bekommen hat, das Geld zahlt sich fast von allein ab. Glücklich auch der türkische Freund, der Rentenbeiträge von vor einigen Jahren nachzahlen musste, er ist Freiberufler. In Lira waren die Beiträge von 2014 fast nichts mehr wert, er fand eine neue Währung dafür: Seine Beiträge eines Jahres entsprächen, sagte er, dem aktuellen Preis von fünf oder sechs Bier in einer Istanbuler Kneipe.

Nicht so glücklich, wer vor Jahren Geld abhob und es nie ausgab. Nicht so glücklich vor allem, und da verlassen wir die Abteilung des Skurrilen, wer vom Mindestlohn lebt. Der wird von Januar an von 17 000 auf 20 000 Lira erhöht, das sind derzeit etwa 545 Euro. Eine Reaktion auf die Inflation, klar, nur wird sie den Preisanstieg kaum ausgleichen. Der Mindestlohn entspricht gerade mal einer Istanbuler Durchschnittsmiete. 

Hyperinflation bedeutet eben, dass Schuldner im Glück sind, zulasten der Banken. Es heißt aber auch, dass Menschen verarmen. Denn eine Milyon ist zwar noch keine Million, aber um in der Türkei gut zu leben, ist man inzwischen am besten Milyoner.

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