Türkei:Die Lira taumelt - doch wer trägt die Schuld?

  • Recep Tayyip Erdoğan ist der Ansicht, der Türkei sei als Nato-Partner "in den Rücken und die Füße geschossen" worden.
  • Er sieht die Schuld für die Währungs-Abstürze und für die Krise im Land bei anderen - und spricht sogar von "ökonomischem Terror".
  • Finanzanalysten sehen die Lage mit etwas mehr Abstand: Sie glauben nicht, dass die Türkei-Krise einen "Flächenbrand" auslösen kann.

Von Christiane Schlötzer, Istanbul, Jan Willmroth und Markus Zydra, Frankfurt

Am Montag versammelte Recep Tayyip Erdoğan die türkischen Botschafter aus der ganzen Welt in seinem Palast in Ankara, und dann ging es los beim Mittagessen. Er sprach von dem "Kraftmeier des globalen Systems", nannte die Vereinigten Staaten nicht direkt, aber jeder wusste, wer gemeint ist. Wie US-Präsident Donald Trump verwendet auch Erdoğan in der internationalen Diplomatie gern das persönliche Du. "Du kannst nicht einfach aufwachen und sagen, 'ich führe diese Zölle auf Stahl und Aluminium ein'. Das kannst du nicht sagen", schimpfte Erdoğan, und auch da war klar, dass er über Trump sprach. Die Türkei sei als Nato-Partner "in den Rücken und die Füße geschossen" worden, sagte Erdoğan und redete sich in Fahrt. Er deutete gar an, dass die Türkei bereit zu einem Krieg sei. Staaten, die Frieden wollten, müssten bereit zum Krieg sein, sagte er. "Wir sind bereit, mit allem, was wir haben."

Die Reaktionen des türkischen diplomatischen Korps sind nicht überliefert. Am Morgen hatte die türkische Zentralbank noch versucht, den Verfall der Lira zu bremsen und die Folgen für die einheimische Wirtschaft zu begrenzen. Sie kündigte an, die türkischen Banken mit ausreichend Geld zu versorgen, um sie zu stabilisieren. Finanzminister Berat Albayrak versprach zudem einen "Aktionsplan", um kleinen und mittleren Firmen zu helfen, die besonders unter dem Währungsverfall leiden, ohne Details zu nennen.

Erdoğan warnte vor den Botschaftern auch vor dem Verbreiten von "falschen Nachrichten" über die Krise, nannte dies Verrat, er sprach sogar von "ökonomischem Terror". Das türkische Innenministerium kündigte unterdessen an, man werde gegen negative Kommentare zur wirtschaftlichen Entwicklung in sozialen Netzwerken vorgehen. Seit dem 7. August seien bereits 346 Nutzerkonten auf sozialen Netzwerken ausgemacht worden, in denen der Verfall der Lira auf provozierende Art und Weise kommentiert worden sei.

Bereits am Sonntag hatte sich Erdoğan direkt an die Wirtschaft gewandt und die Unternehmer ermahnt, jetzt nicht zu den Banken zu laufen, "um Devisen zu kaufen", dies wäre ein Fehler. "Die Nation zu stärken ist auch eine Verantwortung der Industriellen und der Händler." Andernfalls müsse er "Plan B oder C" in Gang setzen, sagte Erdoğan bei einem Auftritt in Trabzon, ohne näher zu erläutern, was er damit meint. Oppositionelle Medien werteten Erdoğans Worte als Drohung, zumal der Präsident noch hinzufügte, türkische Firmen dürften ihre Waren jetzt nicht horten. "Ihr müsst sie verkaufen, meine Freunde", sagte er. Andernfalls müssten die Produzenten dafür "bezahlen, denn für mich ist das Landesverrat".

Die Krise hat sich durch einen Streit mit den USA deutlich verschärft

Auf Ängste, Devisenkonten in der Türkei könnten gesperrt werden, die sich auch über soziale Medien verbreiteten, reagierte das Präsidialamt mit einem Tweet. "Eine Konfiszierung von Bankkonten kommt nicht in Frage", twitterte Fahrrettin Altun, der Kommunikationschef des Präsidenten. Altun kritisierte, einige Leute würden solche Meldungen "fabrizieren". Die regierungstreue Zeitung Sabah berichtete groß über Türken, die dem Aufruf Erdoğans folgten und Dollar, Euro und Gold in Lira tauschten: Der Bürgermeister der Schwarzmeerstadt Rize, Reşat Kasap, verkaufte den Goldschmuck seiner Frau; in Erzincan gab es Tee umsonst für 100 getauschte Dollar, im westanatolischen Düzce einen kostenlosen Haarschnitt.

Der bekannte türkische Wirtschaftswissenschaftler Güven Sak erinnerte daran, dass der Wert der Lira schon vor der jüngsten Krise mit den USA gesunken ist, um 70 Prozent in den vergangenen zehn Jahren. Der Niedergang habe begonnen, als die Türkei ihren Reformkurs verlassen habe, im Jahr 2007. Die größten Verluste aber habe es dann seit 2014 gegeben.

Die Krise hat sich durch einen Streit mit den USA deutlich verschärft. Trump verlangt die Freilassung des seit 20 Monaten in der Türkei festgehaltenen US-Pastors Andrew Brunson. Die türkische Justiz bezeichnet ihn als Terrorhelfer, der 50-Jährige bestreitet die Vorwürfe. Die Türkei wiederum fordert die Auslieferung des Predigers Fethullah Gülen, der seit 1999 in Pennsylvania lebt. Erdoğan wirft ihm vor, Drahtzieher des Putschversuch von 2016 zu sein. Erdoğan und Gülen waren einst Verbündete, heute verbindet sie eine tiefe gegenseitige Abneigung. Auch viele Erdoğan-Kritiker in der Türkei glauben, dass Gülens Netzwerk hinter dem Putschversuch stand. Das belastet das Verhältnis zu den USA über das Regierungslager hinaus. Zudem gibt es Streit um die Syrien-Politik und um die amerikanischen Iran-Sanktionen.

Die Unabhängigkeit der türkischen Notenbank ist fraglich

Am vergangenen Freitag hatte Trump per Tweet eine Verdopplung der Strafzölle auf Stahl und Aluminium aus der Türkei angekündigt, danach hatte sich der Wertverfall der Lira stark beschleunigt. Auch in der Nacht zum Montag, als an den ostasiatischen Börsen bereits gehandelt wurde, fiel der Wert der Lira weiter, abermals auf ein Rekordtief: Ein Dollar kostete am Montag zwischenzeitlich 7,24 Lira. Die Bundesregierung beobachtet die Entwicklung mit Sorge. "Deutschland möchte eine wirtschaftlich prosperierende Türkei. Das ist auch in unserem Interesse", sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel am Montag in Berlin, sie mahnte aber zugleich Die Unabhängigkeit der Notenbank an.

Letztere ist weiter fraglich. Die geldpolitischen Notfallmaßnahmen reichten vorerst nicht aus, um die Krise einzudämmen. Die türkische Zentralbank versprach, den Finanzmarkt genau zu beobachten und alle notwendigen Schritte ergreifen, um die Finanzstabilität zu sichern. Die Währungshüter pumpen von nun an mehr Geld in den Markt und stellen kurzfristig zehn Milliarden Lira, sechs Milliarden Dollar sowie Gold zur Verfügung. An den Finanzmärkten wird zudem erwartet, dass die Notenbank den Leitzins weiter anhebt - ein Schritt, der nötig wäre, um die galoppierende Inflation zu bremsen, gegen den sich Erdoğan aber seit Monaten sperrt. Dieser habe noch nicht verstanden, dass seine "abstrusen geldpolitischen Vorstellungen" und seine offensichtliche Einmischung in die Angelegenheiten der Notenbank Ursache dieser Krise seien, schreiben die Devisenexperten der Commerzbank in einer am Montag verschickten Analyse. "Damit die Lira sich nachhaltig stabilisieren kann, müsste Präsident Erdoğan radikal umdenken", heiß es weiter.

Danach sah es am Montag nicht aus, und so waren die Folgen der Türkei-Krise für ausländische Banken, andere Schwellenländer und Volkswirtschaften der Euro-Zone deutlich zu sehen. Währungen und Vermögenswerte in anderen Schwellenländern gerieten unter Druck, während der Dollar an Wert gewann. Der russische Rubel fiel bereits vorige Woche um mehr als sechs Prozent, der südafrikanische Rand erreichte das niedrigste Niveau seit Juni 2016. Auch die Währungen Mexikos, Indonesiens und Indiens notierten deutlich im Minus. Steigende Zinsen in den USA und die Aussicht auf eine mittelfristig straffere Geldpolitik in der Euro-Zone hatten Schwellenländer-Währungen bereits zuvor geschwächt: Fließt Kapital aus diesen Ländern ab, wirkt sich das negativ auf deren Wechselkurse aus. Die Türkei-Krise hat diesen Effekt beschleunigt.

Auch europäische Bankaktien verloren an Wert, darunter die Papiere von Commerzbank und Deutscher Bank. Die beiden deutschen Großbanken sind von der Lira-Krise jedoch weniger betroffenen als die Geldhäuser in Spanien, Frankreich und Italien. Das höchste Risiko trägt die zweitgrößte spanische Bank BBVA. Ihr gehören 49 Prozent der Garanti Group, der zweitgrößten türkischen Bank.

"Die Gefahr eines Flächenbrands halte ich für begrenzt"

Bleibt die Krise auf die Türkei beschränkt, könnte sie indes weder Europas Banken im Allgemeinen, noch die spanische BBVA im Speziellen umwerfen. Die meisten Banken hätten ihr Risiko weitgehend abgesichert, rechnen die Analysten der US-Bank Citigroup vor. Selbst wenn BBVA ihr gesamtes Türkei-Geschäft abschreiben würde, was Milliardenverluste nach sich zöge, wäre die Existenz der Bank noch nicht gefährdet.

Auch die Ansteckungsgefahren für die Weltkonjunktur scheinen vorerst noch überschaubar. "Die Gefahr eines Flächenbrands halte ich für begrenzt", sagt Carsten Brzeski, Chefvolkswirt der ING Diba. "Die türkische Wirtschaft ist international nicht wichtig genug, um eine größere Krise auszulösen." Die türkische Krise trägt nur zu einer ohnehin gestiegenen globalen wirtschaftlichen Unsicherheit bei.

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