Türkei:Der Kollaps der Lira ist gefährlich für die Weltwirtschaft

People stroll at Mahmutpasa street, a popular middle-class shopping district, in Istanbul

In der Türkei werden vor allem Dinge des täglichen Bedarfs teurer. Im Bild: Menschen in einem Einkaufsviertel.

(Foto: REUTERS)

Die Schwäche der türkischen Währung hat ernste Folgen - nicht nur für die Menschen in der Türkei. Die Krise kann auch auf andere Länder übergreifen. Die SZ beantwortet die wichtigsten Fragen dazu.

Von Michael Bauchmüller, Christiane Schlötzer, Meike Schreiber und Markus Zydra

Die Ankündigung von US-Präsident Donald Trump, die Zölle für Stahl und Aluminium aus der Türkei zu verdoppeln, hat an den Devisenmärkten Panik ausgelöst - und den Absturz der türkische Lira beschleunigt. Die Währung verlor gegen den US-Dollar massiv an Wert, in der Spitze waren es am Freitagnachmittag mehr als 23 Prozent. Das war der stärkste Tagesverlust seit 2001. Trumps Mitteilung kam völlig überraschend, nachdem die türkische Währung bereits am Morgen 13 Prozent verloren hatte.

Die Schwächung der türkischen Währung hat ernste Folgen. Wichtige Importwaren, etwa Medikamente, werden teurer. Gleichzeitig steigen die Kosten für Darlehen in fremder Währung, die viele Türken aufgenommen haben. Das ganze Land ist stark auf Geld aus dem Ausland angewiesen. Die Investoren verlangen für ihre Kredite nun höhere Zinsen, es drohen Zahlungsausfälle - und es besteht zudem die Gefahr, dass die Krise auch auf andere Schwellenländer überspringt. Die SZ beantwortet die wichtigsten Fragen zur Finanzkrise in der Türkei.

Was bedeutet der Währungsverfall für die Bürger in der Türkei?

Auslandsreisen können sich viele Türken nicht mehr leisten, Devisen zu kaufen ist zu teuer geworden. Aber auch im eigenen Land steigen die Preise wegen der Inflation. Vor allem Lebensmittel und Energie, die Dinge des täglichen Bedarfs, werden teurer. Das trifft im Prinzip alle. Viele machen ihrem Ärger mit Witzen Luft. Eine aktuelle Karikatur zeigt einen Gemüsehändler, der seine Kundin fragt, ob er das Kilo Kartoffeln, das sie gerade erworben hat, "vielleicht als Geschenk verpacken soll".

Muss jetzt der IWF eingreifen oder kann die Türkei die Krise selber lösen?

Der IWF könnte mit Krediten aushelfen. Allerdings sind an ein solches Rettungsprogramm immer Bedingungen geknüpft. Die türkische Regierung müsste wirtschaftliche Reformen umsetzen, die der IWF vorschreibt. Es ist zweifelhaft, ob die Türkei das mitmacht. Andererseits entwickeln Währungskrisen oft eine gefährliche Dynamik. Türkische Bürger könnten ihre Lira-Ersparnisse in Euro oder Dollar umtauschen und ins Ausland transferieren. Diese Kapitalflucht würde den Bankensektor des Landes schwächen. Außerdem ist die Türkei auf Auslandskredite angewiesen, die die Finanzmärkte in diesen Krisensituationen nur gegen extrem hohe Zinsen zur Verfügung stellen. Irgendwann könnte der Zeitpunkt kommen, an dem die Türkei das nicht mehr bezahlen kann.

Wie schlimm ist der Fall im Vergleich zu Krisen anderer Schwellenländer?

Die Krise in der Türkei hat erst begonnen. Mit ein paar wirtschaftspolitischen Maßnahmen, die das Vertrauen der Finanzmärkte wieder stärken, lässt sie sich möglicherweise zügig eindämmen. Das bittere Ende von Währungskrisen können Staatspleiten wie in Argentinien sein. Es könnte dann zu langwierigen Umschuldungsverhandlungen mit Gläubigern kommen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass viele Banken am Ende Verluste machen. Die Türkei-Krise könnte, je länger sie dauert, auf andere Schwellenländer abstrahlen. Am Freitag werteten der russische Rubel und der südafrikanische Rand ebenfalls ab. Börsianern zufolge waren die Turbulenzen in der Türkei der Auslöser dafür. Der Grund dafür sind Kettenreaktionen, ausgelöst von Investoren. Wenn ein Schwellenland schwächelt, dann stoppen sie auch die Finanzierung anderer Schwellenländer.

Was bedeutet die Finanzkrise für deutsche Sparer mit Konten bei türkischen Banken?

Einige deutsche Sparer haben ihr Geld auf Konten türkischer Banken angelegt, weil es dort höhere Zinsen gibt. Diese türkischen Banken haben ihren Sitz in der EU, häufig aber außerhalb Deutschlands. "Das Risiko für diese Sparer liegt nicht in der Türkei oder in der Lira, sondern im Einlagensicherungssystem in Europa", sagt Niels Nauhauser, Finanzexperte der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg. Grundsätzlich gilt die Regel, wonach jeder Sparer in der EU mit 100 000 Euro abgesichert ist.

Doch Nauhauser warnt: "Wir wissen, dass in einer Finanzkrise oder bei einer größeren Bankenpleite die Rücklagen der Einlagensicherungsfonds nicht reichen, um das auch zu leisten." Am Ende käme es also auch auf den politischen Willen und die Finanzkraft des Staates an, ob Sparer entschädigt würden. "Ob die Politiker heimisches Steuergeld im Zweifel auch für die Entschädigung ausländischer Sparer einsetzen, ist ungewiss", meint Nauhauser. Er gibt folgenden Rat: "Wir sind der Auffassung, dass Sparer in Deutschland die größte Sicherheit haben, wenn sie ihre Einlagen bei einer Bank deponieren, welche der heimischen Einlagensicherung angeschlossen ist."

Wie wirkt die Krise in der Türkei auf deutsche und europäische Banken?

Die Bankenaufsicht der Europäischen Zentralbank untersucht seit Wochen die Bilanzen der Institute, die an den türkischen Staat, türkische Firmen und Unternehmen Kredite vergeben haben. Der spanische Bankensektor hat 82 Milliarden Dollar in der Türkei investiert, so Daten der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ). Der französische Bankensektor sitzt auf Forderungen in Höhe von 35 Milliarden Dollar und deutsche Banken haben 17 Milliarden Dollar in die Türkei verliehen. Eine systemische Gefahr für den europäischen Bankensektor droht derzeit nicht, einzelne Kreditinstitute könnten bei einem Zahlungsausfall der Türkei aber in Schwierigkeiten geraten.

Erdogan

Mann an der Spitze: Das Versprechen von Aufschwung und Wohlstand brachte Recep Tayyip Erdoğan einst als Ministerpräsidenten in der Türkei an die Macht; der Erfolg seiner Politik sicherte ihm Wiederwahlen. Inzwischen ist Erdoğan Präsident – und eine schwere Bürde für sein Land.

(Foto: AFP)

Die Aktien von Commerzbank und Deutscher Bank wurden am Freitag zwar mitgerissen von der Sorge um die Türkei. Die Kurse gaben jeweils deutlich nach. Die Institute sind aber weniger stark betroffen als jene in Spanien, Frankreich oder Italien. Die Commerzbank hat laut ihrem Zwischenbericht 2,5 Milliarden Euro Kredit- oder Handelsrisiko mit Türkeibezug. Dem Vernehmen nach handelt es sich aber vor allem um kurzfristiges und weitgehend besichertes Handelsgeschäft, weswegen man sich in der Bank keine "allzu großen Sorgen" macht. Bei der Deutschen Bank wird die Türkei im Geschäftsbericht noch nicht einmal unter den Länderrisiken aufgeführt. Bankkreisen zufolge sei das Risiko sehr überschaubar.

Welche Folgen muss die deutsche Wirtschaft befürchten?

In den ersten fünf Monaten des Jahres haben die deutschen Exporte in die Türkei um fast ein Fünftel gegenüber dem Vorjahr zugelegt. Eine schwache Lira aber wird diese Exporte nun in der Türkei zusätzlich verteuern. Im Juni sind sie bereits um sechs Prozent zurückgegangen. Die schwindende Kaufkraft in der Türkei sei für die deutsche Wirtschaft "bitter", heißt es beim Außenhandelsverband BGA. Schließlich sei die Türkei ein bedeutender Markt für deutsche Exporteure. Umgekehrt ist Deutschland der wichtigste Exportmarkt für die Türkei, auch hier waren die Exporte zuletzt angewachsen. Türkische Produkte werden mit einer schwächeren Lira günstiger. Das Handelsbilanzdefizit des Landes mit Deutschland dürfte allerdings nun weiter wachsen - und das Vertrauen deutscher Firmen schwindet. "Die Betriebe sind durch den entstandenen Vertrauensverlust der letzten beiden Jahre verunsichert", sagt Volker Treier, Außenwirtschaftschef beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK).

"Entscheidend ist, dass wieder Vertrauen hergestellt wird." Nach DIHK-Zahlen sind 6500 deutsche Firmen in der Türkei engagiert, sie haben rund 120 000 Beschäftigte. Erst kürzlich hatte der Bund zudem die Deckelung der Hermes-Bürgschaften aufgehoben - nachdem Ankara den Ausnahmezustand aufgehoben hatte. Die Kredite für das Türkei-Geschäft sind gefragt: Nur für die USA hatte der Bund im ersten Halbjahr mehr Export-Deckungen übernommen. Doch viele deutsche Unternehmen in der Türkei bekommen den Absturz der Lira noch ganz anders zu spüren: Vorleistungen für ihre Fertigungen, die sie aus dem Euro-Raum beziehen, werden nun teurer - und damit auch die Produkte. Einstweilen warteten die Firmen ab, sagt DIHK-Mann Treier. "Sie ziehen sich derzeit jedoch noch nicht aus dem Land zurück."

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