Süddeutsche Zeitung

Türkei:Angespannte Lage

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Der allgegenwärtige Terror sowie der gescheiterte Putsch und seine Folgen belasten das Geschäftsklima in der Türkei. Viele Kunden sind verunsichert.

Von Norbert Hofmann

So schnell kann es gehen. Noch im März hatte die Ratingagentur Fitch der Türkei eine stabile Kreditwürdigkeit bescheinigt. Das Wachstum des Vorjahres hatte die Erwartungen übertroffen und es werde, so die damals noch optimistischen Analysten, auch in 2016 anhalten. Fünf Monate und einen Putschversuch später sieht das Urteil anders aus: Rating zurückgestuft, Aussichten negativ. Noch härter hatten zuvor die Kollegen von Standard & Poor's reagiert. Sie ordnen die Türkei mittlerweile im Hochrisikobereich ein.

Auch deutsche Unternehmen müssen mit neuen Risiken bei ihren Geschäftsbeziehungen mit und in der Türkei rechnen. Im vergangenen Jahr haben sie Waren im Wert von 22,4 Milliarden Euro in das Land geliefert. Wie aber reagieren Exporteure und Firmen mit Niederlassungen am Ort jetzt, nachdem Präsident Recep Tayyip Erdoğan den Notstand ausgerufen hat und Unsicherheit allenthalben greifbar ist?

Die Konsumenten geben schon seit mehr als einem Jahr immer weniger Geld aus

In einer Ad-hoc-Umfrage der AHK Istanbul vom August gaben zwar drei Viertel der Betriebe zu Protokoll, an ihren Jahreszielen festzuhalten und getroffene Investitionsentscheidungen umzusetzen. Dennoch ist die Lage angespannt. "Die Sorgenfalten der deutschen Unternehmen am Ort werden tiefer, Pläne zögerlicher umgesetzt", sagt Volker Treier, Außenwirtschaftschef des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK). Die Unternehmen fühlten sich nicht unmittelbar bedroht, aber es könne ein Klima des Misstrauens entstehen.

Möglicherweise hat man Geschäfte mit Personen oder Firmen gemacht, denen Nähe zu der als Putschinitiator angeprangerten Gülen-Bewegung unterstellt wird. "Dann droht zumindest eine Stigmatisierung, auch wenn die Regierung von Binali Yildirim nach wie vor ausländische Unternehmen und Investoren ausdrücklich willkommen heißt", sagt Treier. Zusätzliche Irritationen kann die türkische Wirtschaft gerade in einer Zeit nicht brauchen, in der die Angst vor Terror das Wachstum zusätzlich bedroht. Das betrifft nicht nur den Tourismus, sondern ebenso den Binnenkonsum. Diese Erfahrung macht derzeit auch die mit Hauptsitz in Pliezhausen nahe Stuttgart ansässige Kids Fashion Group. Das international agierende Modeunternehmen betreibt in der Türkei rund hundert, jeweils etwa zur Hälfte in Eigenregie und von Franchise-Nehmern geführte, Einzelhandelsgeschäfte. "Die großen Shopping Malls, die in der Türkei auch am Wochenende ein wichtiger Ort der Begegnung sind und geöffnet haben, werden heute deutlich weniger frequentiert als früher", berichtet Geschäftsführer Harald Hepperle. Das habe neben dem Ausbleiben von vor allem russischen Urlaubern zum veränderten Verhalten der Konsumenten beigetragen, die schon seit mehr als einem Jahr immer weniger Geld ausgeben. Da zudem die Finanzierungszinsen in dieser Zeit kräftig gestiegen sind, leiden die Franchise-Partner der Shops gleich doppelt.

Die aus dem traditionsreichen Textilhersteller Kanz hervorgegangene Kids Fashion Group, die vom Design und der Produktentwicklung bis hin zum Groß- und Einzelhandel die gesamte Wertschöpfungskette abdeckt, beliefert einerseits Händler von der Boutique bis zu großen Warenhändlern und Filialisten. Über die 250 eigenen Einzelhandelsgeschäfte werden die Verbraucher aber auch direkt angesprochen. Das Unternehmen setzt auf eine Multi-Marken-Strategie, zu der europaweit bekannte Namen wie Steiff, Pampolina, bellybutton, Döll Kindermützen oder Marc O'Polo junior gehören. Das breit gefächerte Markenportfolio ist auch durch Firmenübernahmen entstanden, die das Unternehmen unter anderem mit stillen Beteiligungen der MBG Mittelständische Beteiligungsgesellschaft Baden-Württemberg finanziert hat. Heute ist die Firmengruppe in 35 internationalen Märkten aktiv, von denen sie zwölf als strategisch wichtig einstuft. Die Türkei als zweitgrößter Markt nach Deutschland gehört dazu. Ein nicht geringer Teil des gesamten Kleidungssortiments wird dort in einem Joint Venture produziert, wobei in letzter Zeit sogar Währungsvorteile geholfen haben. "Durch den gegenüber der Lira stärkeren Dollar sind wir mit unseren in der Türkei hergestellten Produkten gegenüber Wettbewerbern aus Asien wettbewerbsfähiger geworden", sagt Hepperle. Weniger glücklich ist er über die Veränderungen, die das Geschäft für Unternehmen in der Türkei schon vor dem gescheiterten Putsch schwieriger gemacht haben. "Viele politische Entscheidungen werden kurzfristig umgesetzt, sodass bestehende Planungen sehr schnell obsolet werden", sagt Hepperle. Als Beispiele nennt er steigende Lohnnebenkosten und weitere Arbeitgeberleistungen.

Die nach dem niedergeschlagenen Putsch neu hinzugekommenen Risiken spürt das Unternehmen indirekt an der Verunsicherung vieler internationaler Handelspartner, die teilweise den Mitarbeitern sogar ein Reiseverbot für die Türkei aussprechen. Auch Hepperle, der ein Ereignis wie den Putsch vorher nicht für möglich gehalten hätte, ist vorsichtiger geworden. "Wir planen die Zukunft mit mehreren Szenarien und betreiben jetzt eine wesentlich intensivere Risikovorsorge als in der Vergangenheit", sagt der Geschäftsführer.

Einen Grund für Optimismus gibt es aber auch noch

An Risiken mangelt es nicht. Im Falle starker Kapitalabflüsse ins Ausland verlöre die Lira weiter an Wert, nachdem viele internationale Finanzinvestoren schon kurz nach dem erfolglosen Putsch Geld abgezogen hatten. Das hat auch Folgen für deutsche Exporteure. "Mit einer schwachen Lira nimmt die Kaufkraft türkischer Geschäftspartner ab und die Importe werden für sie teuer", sagt Treier.

Mit der Abstufung türkischer Anleihen durch die Ratingagenturen verschlechtern sich zudem die Finanzierungskonditionen türkischer Handelspartner. Insbesondere kämen die vielen verschuldeten Unternehmen und Banken, die Fremdwährungskredite aufgenommen haben, in zusätzliche Schwierigkeiten. Die Inflationsrate liegt schon jetzt bei über acht Prozent und könnte bei einem Anstieg den Konsum weiter dämpfen. Einen Grund für etwas Optimismus gibt es aber auch noch. "Der türkische Präsident und seine Administration wissen, dass es der Wirtschaft nicht gut geht und sie auf Geschäfte mit dem Ausland angewiesen sind", sagt Treier.

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SZ vom 08.09.2016
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