TTIP-Papiere:Gut möglich, dass Risiken im Zweifel lieber schnell statt gründlich geprüft werden

"Unter dem Wissenschaftsprinzip stellen sich die meisten Menschen unabhängige Forschung vor, das ist aber falsch", ergänzt Christoph Then von der gentechnikkritischen Organisation Testbiotech. "Die Unterlagen, die wir für die Zulassung von gentechnisch veränderten Pflanzen sehen, kommen zumeist von der Industrie, es fehlen unabhängige Kontrollen." Es gehe vor allem darum, neue Technologien zu entwickeln. Der Schutzgedanke werde dagegen vernachlässigt - für Then ein Problem, auch weil US-Hersteller in den nächsten Jahren mit einer großen Anzahl von Neuentwicklungen in der Pflanzen- und Tierzucht auf den Markt drängen werden. Die Modalitäten für die Zulassung "moderner Agrartechnologien" soll nach dem Willen der USA sogar fest im Vertrag verankert werden. Dort heißt es unter anderem auch, "dass unnötige Verzerrungen, die den Handel beeinträchtigen, reduziert werden" sollten. Das könnte bedeuten, Risiken im Zweifel lieber schnell statt gründlich zu prüfen.

Die EU-Kommission verneint zwar immer wieder, dass das Vorsorgeprinzip durch den Druck von US-Seite in Gefahr sei. Der Blick in die Papiere zeigt jedoch, dass eine Zulassung von Gentech-Food oder Hormonfleisch an keiner Stelle ausgeschlossen wird. US-Agrarminister Thomas Vilsack betont immer wieder, wie wenig er von der Haltung der Europäer hält: "Wenn Lebensmittel nicht auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse zugelassen werden, sondern nach Anforderungen, die Politiker formulieren, dämpft das den Handel."

Der Göttinger Verfassungsrechtler Peter-Tobias Stoll hält die Frage der Risikobewertung für entscheidend; die Furcht vieler TTIP-Gegner, dass das Abkommen den Verbraucherschutz aufweichen könnte, findet er berechtigt. "Es ist für mich schwer vorstellbar, dass kein Standard in der Zukunft abgesenkt wird", sagt Stoll. "Ich bin überrascht, wie deutlich die US-Seite versucht, die amerikanische Art der Regulierung in TTIP zu verankern."

Abstriche befürchten Kritiker ebenfalls bei der Kennzeichnung von Lebensmitteln. Alle Zutaten, die aus gentechnisch veränderten Organismen hergestellt wurden, müssen in der Europäischen Union auf der Verpackung stehen. Die US-Seite lehnt das ab. Sie sieht darin eine Handelsbarriere, die unnötige Kosten verursacht und zudem als Risikohinweis missverstanden werden könnte. Diese Intransparenz kritisieren auch amerikanische Verbraucherschützer. Sie fordern seit Jahren eine Kennzeichnung von gentechnisch veränderten Lebensmitteln in den Vereinigten Staaten, meist vergeblich, weil Agrar- und Lebensmittelkonzerne Millionenbeträge für Kampagnen ausgeben, die genau das verhindern sollen.

"Die Erfahrung unserer US-Kollegen zeigt, dass eine verbraucherschützende Regulierung häufig stecken bleibt", sagt Klaus Müller, Vorstand des Bundesverbands der Verbraucherzentralen.

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