TTIP-Papiere:TTIP - Transparenz, die keine ist

  • Europäische Parlamentarier dürfen Dokumente über die TTIP-Verhandlungen nur eingeschränkt einsehen - und nicht darüber sprechen.
  • Nach den TTIP-Enthüllungen hoffen einige Politiker nun, dass der Druck auf die US-Unterhändler steigt, sich in bestimmten Positionen zu bewegen.

Von Silvia Liebrich und Alexander Mühlauer

Bevor ein Europa-Abgeordneter in den TTIP-Leseraum darf, muss er sein Mobiltelefon und seine Tasche abgeben. Dann muss er schriftlich versichern, dass er nichts weitergeben wird von dem, was er jetzt gleich einsehen darf. Darüber sprechen ist ohnehin verboten. Die Tür zum fensterlosen Lesezimmer im Europäischen Parlament in Brüssel ist mit einem Eingangscode gesichert.

Im Raum selbst gibt es einen Tresor - aus diesem holt ein Parlamentsmitarbeiter die Dokumente. Der Abgeordnete bekommt die von ihm angeforderten TTIP-Verhandlungstexte und dazu noch gekennzeichnetes Papier für seine Notizen. Diese Blätter tragen Ordnungszahlen und den Namen des Volksvertreters, also zum Beispiel: "Bütikofer, Seite 17".

Abschreiben darf der Abgeordnete den vorliegenden Text nicht, darauf achtet der Parlamentsmitarbeiter, der ihm die ganze Zeit gegenüber sitzt. Meistens bleibt ein Abgeordneter ein bis zwei Stunden im Leseraum, je nach Interesse. So oder so ähnlich erzählt es Reinhard Bütikofer, der Vorsitzende der Grünen im Europäischen Parlament. Wobei, ganz so genau weiß man es dann doch nicht. Er muss ja aufpassen, was er erzählen darf - und was nicht.

Den Parlamentariern blieb nichts anderes übrig, als wahllos Kapitel einzusehen

Ein einzelnes TTIP-Dossier hat im Schnitt sechs Seiten. Und da fängt schon das Problem an. Bütikofers Grünen-Kollegin Maria Heubuch sagt: "Wenn sich daraus weitere Fragen ergeben, die andere Dossiers betreffen könnten, muss man einen neuen Termin ausmachen." Das sei schwierig, wenn man nicht exakt wisse, was in welchem Dossier stehe. Oft bleibt den Parlamentariern nichts anderes übrig, als wahllos ein weiteres Kapitel einzusehen, in der Hoffnung, es ist das richtige.

So sieht sie also aus, die Transparenz in Sachen TTIP. Auch in Berlin gibt es einen Lesesaal für Bundestagsabgeordnete, der auf Dringen der Deutschen eingerichtet wurde. Immerhin hat er Fenster und mehrere Arbeitsplätze mit Computer. Doch das Dilemma bleibt. Die Abgeordneten dürfen die Verhandlungstexte zwar lesen, aber nicht darüber sprechen. Auch nicht mit denen, die das Abkommen betreffen würde: den Bürgern Europas. Mit der Enthüllung bislang geheimer TTIP-Papiere ist diese Praxis nun in Frage gestellt.

EU-Kommission will die undichte Stelle ausfindig machen

Die Praxis im Sinne der US-Seite, die in der langen Tradition von Freihandelsabkommen stets deutlich macht: Ein gewisses Maß an Geheimhaltung ist wichtig, um unsere Verhandlungsposition nicht zu gefährden.

Bernd Lange (SPD), der Vorsitzende des Handelsausschusses im Europäischen Parlament, freut sich jedenfalls über die Veröffentlichung der Dokumente: "Jetzt wird im Detail öffentlich, dass die US-Verhandler nicht bereit sind, sich in diesen Gesprächen zu bewegen. Im Gegenteil: Sie stellen Grundwerte der EU wie das Vorsorgeprinzip konsequent infrage." Die Transparenz und der öffentliche Druck auf Washington und die EU-Kommission seien immens wichtig für den Verhandlungsprozess. Sollten sich die USA nicht auf die EU zubewegen, sehe er für ein Abkommen schwarz.

Das Europäische Parlament könnte ein Veto gegen TTIP einlegen

Auch der Europa-Parlamentarier Markus Ferber (CSU) sieht "ein höchstmögliches Maß an Transparenz" als unerlässlich für eine breite Akzeptanz in der Bevölkerung. "Die kritischen Textstellen muss die Kommission rausverhandeln, ansonsten ich bin mir sicher, dass das Europäische Parlament sein Veto einlegen wird", sagt der Abgeordnete. Das EU-Parlament muss am Ende der Verhandlungen über den TTIP-Vertrag abstimmen.

Die nun veröffentlichten Dokumente zeigen erstmals, was bislang nur in bewachten Leseräumen in Berlin und Brüssel einzusehen war. Es sind Texte, die noch einiger Arbeit bedürfen. An der Anzahl der eckigen Klammern lässt sich ablesen, wie weit die Verhandlungen fortgeschritten sind. In manchen Kapiteln wird bereits um Worte gefeilscht; andere Abschnitte bestehen lediglich aus Vorschlägen beider oder nur einer Verhandlungsseite.

EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström weist in einem Blog darauf hin, dass "zusammengeführte Texte" in der Handelspolitik die verschiedenen Verhandlungspositionen widerspiegelten. "Und es sollte keine Überraschung sein, dass es Bereiche gibt, in denen die EU und die USA unterschiedliche Standpunkte haben." Die Zusammenstellung bedeute nicht, dass die andere Seite den Forderungen des Verhandlungspartners nachgebe, so die EU-Kommissarin.

Der Chefunterhändler auf Seiten der Europäer, Ignacio Garcia Bercero, erklärt am Montag in Brüssel, dass die EU-Kommission die undichte Stelle ausfindig machen will. Die Dokumente seien offensichtlich vertraulich und die Veröffentlichung ein Anlass zur Sorge. Dies gilt wohl vor allem für die Vereinigten Staaten, die stets auf die strikte Geheimhaltung der TTIP-Vertragstexte bestanden haben. Die EU selbst habe, so Bercero, alle ihre Vorschläge im Internet veröffentlicht. Die Leseräume für Abgeordnete der nationalen wie des Europäischen Parlaments sollen jedenfalls beibehalten werden, verspricht er.

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