Ein bisschen Mitleid mit den Unterhändlern von EU und USA ist angebracht. In vier verschiedenen Räumen haben sie drei Stunden unter anderem gehört: Warum europäische Schiffsbauer sich benachteiligt fühlen, warum amerikanische Chemikalienstandards für Kosmetika ein Problem sind und dann noch die wirre Rede eines holländischen Aktivisten, der plötzlich auf Deutsch Zitate von Philosophen von sich gibt: "Das Ding ist ein Ganzes an Bestimmungen" - "Alles ist eine Abstraktion". Was er damit wohl sagen will: TTIP ist nur für die Reichen, irgendwie.
So transparent waren Freihandelsgespräche noch nie, schwärmen Vertreter der EU-Kommission und Industrie-Lobbyisten. Doch natürlich ist das Stakeholder-Treffen auch eine Show-Veranstaltung. EU und USA wollen zeigen, dass sie Bedenken ernst nehmen und die Öffentlichkeit informieren. Dieses Signal wird für die verhandelnden Behörden immer wichtiger, je mehr Bürger befürchten, dass TTIP und Demokratie unvereinbar und europäische Standards in Gefahr sind. Erst am Dienstag wurde die Europäische Bürgerinitiative "Stop TTIP" präsentiert.
Was bringt diese Konferenz also? Die amerikanische Umweltschützerin sagt: "Jeder sagt seinen Spruch. Es ist eine Wohlfühl-Übung." Meist fragen die Verhandler aus Washington und Brüssel noch ein oder zweimal höflich nach, dann ist der nächste Lobbyist dran. Andreas Thurner von der österreichischen Landwirtschaftskammer findet: "Die Verhandler kennen eigentlich alle Argumente. Der Neuigkeitswert dürfte gering sein." Das echte Lobbying findet woanders statt, erzählt Thurner: "Die wichtigen Botschaften werden nicht bei einer Konferenz überbracht. Man versucht immer, direkte Treffen zu bekommen." Sein belgischer Lobby-Kollege sagt grinsend: "Das hier ist nur wichtig für Gruppen, die nicht so gut organisiert sind wie wir."
Thurner hat sich die 71 Präsentationen gar nicht angehört, ihn interessiert vor allem der Nachmittag, wenn die Chef-Unterhändler Dan Mullaney und Ignacio Garcia Bercero unter Ausschluss der Presse die Stakeholder in einem "Debriefing" über den Stand der Verhandlungen unterrichten. Ausgerechnet in diesem Rahmen findet die lauteste Präsentation statt, die einem Überfall gleicht. Plötzlich erheben sich sieben Aktivisten von ihren Stühlen und rufen "Stop TTIP". Sie tragen gelbe T-Shirts, auf denen ihre Botschaft steht: "There is no transparency without the texts. #giveusthetexts"
Twitter und Facebook sind die Werkzeuge der TTIP-Gegner
Es ist die wichtigste Forderung der TTIP-Kritiker: Sie wollen mehr Details über die Verhandlungspositionen erfahren. Wenige Sekunden später stürmen Sicherheitsbeamte in den Saal, ein Aktivist klammert sich so lange an eine Stuhllehne, bis ihn zwei kräftige Männer wegtragen müssen. Kurz darauf ist der Tumult vorbei, die Aktivisten müssen das Tagungszentrum verlassen.
Die Gruppe trifft sich in einem Straßencafé um die Ecke. Die Aktivisten klappen ihre Notebooks auf, tippen das WLAN-Passwort ein und sichten ihr Material. "Das Video hat genau die richtige Länge, drei Minuten halten die Leute durch", freut sich der belgische Aktivist Michel Cernak. Noch während das Debriefing mit Mullaney und Bercero läuft, werden Fotos und Videos bei den sozialen Netzwerken hochgeladen.
Twitter und Facebook, das sind die wichtigsten Werkzeuge der TTIP-Gegner im Kampf um die öffentliche Meinung. Anders als in den Konferenzräumen dürfte ihre kompromisslose Haltung im Internet mehr Verständnis finden.