Freihandelsabkommen:Speed-Dating mit Lobbyisten

Fünf Minuten wird hier jeder ernst genommen: In Brüssel dürfen Gegner und Befürworter den Diplomaten ihre Meinung zum Freihandelsabkommen TTIP sagen. Das ist nett, aber mehr Show als echte Transparenz.

Von Jannis Brühl und Matthias Kolb, Brüssel

Michael Dolan muss sich keine Sorgen machen, dass der EU-Diplomat seine Botschaft nicht hört. Dafür spricht der amerikanische Gewerkschaftler einfach viel zu laut. "Das ISDS-System ist aus unserer Sicht NICHT NEUTRAL!", schleudert er Ignacio Garcia Bercero vom Podium aus entgegen. Bercero, Chef-Unterhändler der EU für das Freihandelsabkommen mit den USA, sitzt ungerührt in der ersten Reihe des Brüsseler Konferenzsaales und hört sich das alles geduldig an.

ISDS ist eine dieser kryptischen Abkürzungen, die derzeit viele Bürger auf beiden Seiten des Atlantiks aufwühlen. Sie steht für "Investor State Dispute Settlement" - das Recht der Unternehmen, Staaten vor intransparenten Schiedsgerichten auf Milliardensummen zu verklagen (Details hier).

Dolan bräuchte das Mikro nicht, das vor ihm auf dem Pult steht. Er gestikuliert und donnert, so hat er es schon 1999 beim "Battle of Seattle" getan, als seine "Teamster", die Trucker und Milchbauern, das Treffen der WTO-Konferenz lahmlegten. 15 Jahre später nutzt er seinen Auftritt wieder, um gegen einen ungezügelten Freihandel zu kämpfen.

Die Delegationen von EU und USA haben ihre sechste Verhandlungsrunde einen Tag unterbrochen, um den Anliegen der sogenannten Stakeholder zuzuhören - in diesem Zusammenhang heißen so all jene Gruppen, deren Interesse die EU oder die USA offiziell anerkannt haben. Auch Bürgerrechtler werden hier zu Lobbyisten, denn es geht um harte Überzeugungsarbeit. Dolan ist einer von 71 Rednern, die den Beamten im Namen ihrer Organisationen erklären, was am Ende im TTIP-Vertrag stehen soll und was auf gar keinen Fall rein darf.

Es geht irgendwie um alles

An diesem Mittwoch haben sich im Brüsseler Konferenzzentrum zwei Lager getroffen, die sich sonst eher aus dem Weg gehen. Den einen kann Freihandel nicht frei genug sein, die anderen fürchten, dass Konzerne am Ende mehr Rechte haben als Staaten und ihre Bürger. Die einen sind angetrieben von Wirtschaftsinteressen und viel Geld, die anderen von Idealismus und viel Angst.

Pharmaverbände, Saatguthersteller, Verbraucherschützer, Bürgerrechtler - jeder Sprecher hat fünf Minuten für seine Kommentare, danach sind vier Minuten Zeit für Fragen. Speed-Dating für Interessenvertreter. Die Unterhändler, die die Lobbyisten bezirzen wollen, sitzen in der ersten Reihe; dahinter Abgesandte der übrigen Stakeholder.

Betroffen sind 820 Millionen Menschen, fast die Hälfte der Weltwirtschaft, Regeln für Tierschutz oder die Vergabe von öffentlichen Aufträgen: Bei TTIP geht es irgendwie um alles, deshalb kommen jetzt auch alle nacheinander auf das Podium. Eine Umweltschützerin lehnt ISDS, das Sonderklagerecht für Investoren gegenüber Staaten, ab - auch nachdem die EU die ursprünglichen Ideen abgeschwächt und online die Meinungen von mehreren Zehntausend Bürgern eingeholt hat. Nein, das Klagerecht müsse drin bleiben, verkündet dagegen der Mann vom Bund der Deutschen Industrie. TTIP könne einen reformierten, transparenten "Goldstandard" für ISDS enthalten, Vorbild sein für andere Abkommen. Andere, wie die Vertreter der Autohersteller, wollen gleiche Standards, damit sie nicht zwei Versionen von jedem Auto bauen müssen - eine für die USA, eine für Europa.

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