TTIP:"Eine Debatte der Furcht"

TTIP Proteste

Protest gegen TTIP in Düsseldorf. In der US-amerikanischen Öffentlichkeit findet der Streit bisher kaum statt.

(Foto: Martin Meissner/AP)

Chlorhühnchen und Genmais: Besonders in Deutschland wird gegen das Freihandelsabkommen TTIP protestiert, in der amerikanischen Öffentlichkeit findet der Streit kaum statt. Die Obama-Regierung und die US-Wirtschaft verstehen die Debatte nicht. Doch auch sie halten Korrekturen für nötig.

Von Nikolaus Piper, New York

Am Freitag ist in Arlington vor den Toren Washingtons die fünfte Verhandlungsrunde für ein Transatlantisches Freihandelsabkommen (TTIP) zu Ende gegangen. Glaubt man den Verhandlungsführern Dan Mullaney (USA) und Ignacio Garcia Bercero (EU), dann sind die Gespräche wie geplant fortgeschritten. "Es war eine gute Woche", sagte Mullaney. Was sich geändert hat, ist die Intensität, mit der in Europa, und besonders in Deutschland, gegen TTIP protestiert wird. Der Protest hat sowohl das Handelsteam von Präsident Barack Obama, als auch die US-Wirtschaft unvorbereitet getroffen.

Peter Chase, für Europa zuständiger Vizepräsident der US-Handelskammer, sagt: "Wir sind genau dort, wo ich vorher erwartet hatte, dass wir sein würden - was die Verhandlungen selbst betrifft. Was die öffentliche Debatte betrifft, sind wir es nicht." Chase arbeitete bis 2010 für das amerikanische Außenministerium und verhandelte für die Regierung Obama Abkommen über Freihandel und den Schutz von Investoren. Sein Unverständnis für die Entwicklung ist tief empfunden: "TTIP ist eine Vereinbarung, in der es, soweit ich das beurteilen kann, nur um Positives geht. Das Thema ist Hoffnung. Es ist interessant für mich zu sehen, dass sich die Debatte, besonders in Deutschland, in eine Debatte über Furcht gewandelt hat."

Die Proteste richten sich in Deutschland einmal gegen die Aussicht, dass bisher verbotene Produkte aus den USA in der EU künftig zugelassen werden müssen ("Genmais", "Chlorhühnchen"). Noch wichtiger ist das Thema Investorenschutz. Nach den bisherigen Plänen für TTIP sollen sich Investoren an übernationale Schiedsgerichte wenden können, wenn sie sich diskriminiert fühlen. Für viele Kritiker sind diese Gerichte ein Angriff auf den Rechtsstaat.

Revidiertes Modell

Eine gewisse Ironie bei der ganzen Entwicklung liegt darin, dass die Proteste ausgerechnet die Politik von Präsident Obama treffen, der als Demokrat immer wieder versuchen muss, den freihandelskritischen linken Flügel seiner Partei mit einzubinden. Am Rande der jüngsten Verhandlungsrunde in Arlington hatte die Regierung 300 Vertreter der Zivilgesellschaft eingeladen, um zu den Themen der Verhandlung Stellung zu beziehen.

Der Kreis reichte von den "Friends of the Earth" über die Vereinigung der Plasma-Protein-Therapeuten bis zu Greenpeace und dem Verband der Familien-Farmer. Bei Amtsantritt 2009 hatte Obama die gesamte Politik der Freihandelsabkommen seines Vorgängers George W. Bush einer Generalrevision unterzogen. Eines der Ergebnisse dieser Überprüfung ist ein neues Modell für bilaterale Investitionsschutzabkommen, das 2012 beschlossen wurde.

Das Modell hat 42 Seiten und damit 33 mehr als das Vorgängermodell. Die zusätzlichen Seiten sind vor allem mit "Klarstellungen" gefüllt, die dazu beitragen sollen, dass Investoren das Abkommen nicht missbrauchen. Ein Missbrauch kann zum Beispiel darin liegen, dass ein Unternehmen offensichtlich unbegründete Klagen einreicht, um die betreffende Regierung unter Druck zu setzen. Im amerikanischen Sprachgebrauch nennt man solche Klagen "frivolous claims" ("leichtfertige Klagen"). Das revidierte Modell von 2012 ist Grundlage der amerikanischen Verhandlungsstrategie bei TTIP.

Mittlerweile hat Deutschland insgesamt gut 140 dieser Abkommen

Der Handelsbeauftragte von Präsident Obama, Michael Froman, bestätigte in der ARD, dass auch die USA Korrekturen beim Investorenschutz für notwendig halten: "Wir kennen diese Diskussionen durch unseren eigenen öffentlichen Konsultationsprozess mit dem Kongress. Gerade deshalb schlagen wir vor, die Standards anzuheben, um zu gewährleisten, dass leichtfertiges Klagen verhindert wird." Die USA wollten sicherstellen, dass sich auch Nichtregierungsorganisationen an den Prozessen beteiligen können.

Auch müssten die Verfahren transparent sein. "Nur so kann man sicherstellen, dass Regierungen im öffentlichen Interesse regulieren." Fromans Stellvertreterin Miriam Sapiro machte zudem klar: "Wir haben keine deregulatorische Agenda", die Regierung Obama wolle also über TTIP keinen Abbau von Schutzvorschriften durchsetzen. Eine Politik der Deregulierung könnte Obama in der eigenen Partei auch gar nicht durchsetzen.

Investitionsschutzabkommen - eine deutsche Erfindung

In Gesprächen weisen Amerikaner darauf hin, dass Investitionsschutzabkommen eine deutsche Erfindung sind. Das erste schloss die Bundesrepublik am 1. Dezember 1959 mit Pakistan ab. Mittlerweile hat Deutschland gut 140 dieser Abkommen, darunter mit China. Die USA haben ihrerseits knapp 50 bilaterale Abkommen abgeschlossen. Auch das Nordamerikanische Freihandelsabkommen (Nafta) enthält eine Investorenklausel.

Der Investorenschutz beruht auf vier Prinzipien: Ausländische Investoren dürfen nicht diskriminiert werden, sie haben Anspruch auf "faire und gleiche Behandlung", sie dürfen nur im öffentlichen Interesse und nur gegen Entschädigung enteignet werden und sie müssen ihr Kapital ungehindert ein- und ausführen können. Glaubt ein Investor, dass die Regierung seines Gastlandes diese Prinzipien verletzt hat, kann er vor einem Schiedsgericht klagen, das vom Internationalen Zentrum zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten, ICSID, bei der Weltbank in Washington eingesetzt wird.

Sowohl die Regierung Obama als auch die US-Wirtschaft wollen erreichen, dass TTIP globale Standards setzt. Deshalb sei es wichtig, auch den Investorenschutz aufzunehmen. "Wir haben es bilateral gemacht, dann sollten wir es auch untereinander machen", sagt Peter Chase von der US-Handelskammer. Der eigentliche Grund für die Abkommen liege darin, zu verhindern, dass jeder Disput um Investitionen eine diplomatische Affäre wird. "Was mich an der europäischen Debatte beunruhigt, ist die Tatsache, dass keine Regierung in die Öffentlichkeit tritt und sagt: Ja, es gibt gute Gründe für diese Sache."

In der amerikanischen Öffentlichkeit findet der Streit um TTIP bis heute kaum statt. Umso heftiger tobt die Debatte um TTP, das Transpazifische Freihandels-Abkommen, das die Regierung zeitgleich mit elf Pazifik-Anrainer-Staaten (darunter Japan, aber nicht China) verhandelt. Besonders die Gewerkschaften kämpfen gegen TTP, weil sie die Abwanderung von Arbeitsplätzen nach Asien fürchten.

Obama muss dabei Widerstand aus den eigenen Reihen fürchten. Harry Reid, der Mehrheitsführer der Demokraten im Senat, hat klargemacht, dass er Obamas Freihandels-Strategie nicht unterstützt. Reid erklärte, er sei nicht bereit, ein "Fast-Track"-Gesetz zu unterstützen, das es dem Präsidenten erlauben würde, internationale Handelsverträge beschleunigt durch den Kongress zu bringen.

Ohne "Fast Track" könnte der Kongress jedes internationale Abkommen zerlegen und zurückweisen, was ihm nicht gefällt. Kein Partner der USA könnte das akzeptieren. Bisher richtet sich Reids Weigerung gegen TTP. Ob TTIP auch getroffen werden wird, ist noch nicht abzusehen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: