Griechenland-Kompromiss:IWF: Schulden Griechenlands "in höchstem Maße unhaltbar"

  • Der IWF ist in einem neuen Papier der Ansicht, dass Griechenlands Schulden mit einem neuen Kreditpaket dramatisch zu hoch wären.
  • Griechenlands Banken brauchen dringend eine Brückenfinanzierung. Deutschland will aber auch diese nur unter Bedingungen ermöglichen.
  • Die Einigung - die Grundlage für ein drittes Kreditprogramm - hier als PDF.

Von Cerstin Gammelin, Berlin, Matthias Kolb, Athen, und Mike Szymanski

IWF fordert starke Schuldenerleichterung

Der Internationale Währungsfonds hat eine Analyse veröffentlicht, nach der die Euro-Zone ihre Schuldenerleichterungen für Griechenland deutlich ausweiten muss. Die Schulden seien "in höchstem Maße unhaltbar" geworden und "können nur mit Maßnahmen zur Schuldenerleichterung tragfähig sein, die viel weiter gehen, als Europa bislang vorgesehen hat", heißt in dem Bericht, der am Samstag den Regierungen der Euro-Länder vorgelegt worden sei (PDF).

Schon jetzt liege die Schuldenquote Griechenlands bei 175 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP), heißt es in dem IWF-Papier. Sie werde sich in den kommenden beiden Jahren 200 Prozent nähern.

Der IWF schlägt daher drei Möglichkeiten vor: Die Verlängerung der Zeit, in der das Land keine Schulden an die europäischen Partner zurückzahlen muss, von zehn auf 30 Jahre, zweitens jährliche Transferleistungen an Griechenland und drittens schlicht und einfach einen Schuldenerlass. Die Entscheidung zwischen den genannten Optionen liege "bei Griechenland und seinen europäischen Partnern".

Griechenlands akuter Finanzbedarf

Athen braucht allein bis 20. Juli sieben Milliarden Euro, um fällige Kreditverpflichtungen an den IWF und die EZB zu bedienen. Dabei sind die Schuldscheine des IWF höherrangig, das heißt, sie sind zuerst zu bedienen. Allerdings muss Griechenland die EZB-Rate am 20. Juli dringend zahlen. Andernfalls würde die Zentralbank wohl keine weiteren Notkredite freigeben.

Griechenland-Kompromiss: SZ-Grafik; Quelle: eigene Recherche

SZ-Grafik; Quelle: eigene Recherche

Woher bekommt Griechenland diese Milliarden auf die Schnelle? Der Widerstand gegen eine nicht-konditionierte Brückenfinanzierung Griechenlands wächst. Das Finanzministerium in Berlin will die Finanzierung des kurzfristigen Kreditbedarfs Griechenlands so gering wie möglich halten. Man werbe dafür, "dass Griechenland so viel wie möglich dazu beiträgt", hieß es im Ministerium. Im Gespräch ist, dass Athen inländische Zahlungsverpflichtungen wie Renten und Ähnliches über Schuldscheine abwickelt und das so eingesparte Geld in die Schuldentilgung fließt.

Die Bundesregierung drängt darauf, jegliche Finanzhilfen an Konditionen zu knüpfen. Sie will deshalb verhindern, dass die Gewinne, die die EZB mit dem Handel von griechischen Staatsanleihen gemacht hat, an Athen ausgezahlt werden. Diese Summe beläuft sich für dieses und vergangenes Jahr auf insgesamt etwa 3,5 Milliarden Euro. Stattdessen soll der bei der EU-Kommission angesiedelte Finanztopf EFSM genutzt werden, um Athen kurzfristig Geld zur Verfügung zu stellen. Derzeit laufen die Verhandlungen dazu. Sollten doch die EZB-Gewinne überwiesen werden, müsste der Bundestag zustimmen. Geld aus dem EFSM-Topf ist nicht zustimmungspflichtig.

Britische Regierung will keine Brückenfinanzierung leisten

Großbritannien will sich allerdings nicht an Überbrückungskrediten aus dem EFSM beteiligen. Das berichten die Financial Times, BBC und Guardian übereinstimmend. Sie zitieren Schatzkanzler George Osborne: "Unsere Kollegen der Euro-Zone haben die Botschaft laut und deutlich erhalten: Es ist nicht hinnehmbar, in dieser Sache britische Unterstützung wieder aufzugreifen."

Osborne bezieht sich auf Jean-Claude Juncker. Der EU-Kommissionspräsident hatte offenbar vorgeschlagen, den EFSM für Griechenland wiederzubeleben, um eine Brückenfinanzierung zu ermöglichen. Der EFSM ist ein Schutzschirm aller 28 EU-Staaten und wurde 2013 vom ESM ersetzt. An diesem Stabilitätsmechanismus sind aber nur noch die 19 Euro-Staaten beteiligt. Würde der EFSM nun wiederbelebt, könnte er bereits zugesagte Finanzhilfen ausgeben, also auch Geld aus Großbritannien. Gegen diese Idee wehrt sich die Regierung.

Tsipras bangt um Mehrheit

Premier Tsipras hat große Schwierigkeiten, in Athen eine eigene Mehrheit für die Beschlüsse des Brüsseler Gipfels zu finden. Mindestens 32 Abgeordnete von Syriza gelten als strikte Gegner einer weiteren Sparpolitik. Die Kreditgeber verlangen aber, dass der Kompromiss und erste Gesetze bis Mittwoch das griechische Parlament passieren. Dass Syriza auseinanderbricht, wird auch in der Partei nicht mehr ausgeschlossen.

In den Gängen des Athener Parlaments war vor Tsipras' Interview darüber spekuliert worden, ob er noch am Dienstag sein Kabinett umbildet. Dazu kam es jedoch nicht. Als umstritten galten vor allem Energieminister Panagiotis Lafazanis sowie der Vizeminister für Soziales, Dimitris Stratoulis. Sie gehören beide zur Führungsriege der "Radikalen Linken" innerhalb Syrizas und hatten am Freitag gegen die Reformvorschläge der Regierung an die Gläubiger gestimmt.

Wenn sich der parteiinterne Widerstand gegen Tsipras in Grenzen hält, so das Kalkül, dann könnte die Neuorganisation des Kabinetts auch nach der Abstimmung erfolgen. Offenbar soll auch versucht werden, Parlamentspräsidentin Zoi Konstantopoulou abzusetzen, die ebenfalls zum linken Flügel von Syriza gehört. Sie hatte zuletzt versucht, den Abstimmungsprozess zu verzögern.

Energieminister fordert Kehrtwende

Die Parteien diskutieren seit Dienstagmorgen intern über den Brüssler Kompromiss. Energieminister Lafazanis, Chef der "Radikalen Linken" bei Syriza, forderte Tsipras auf, den mit den Institutionen geschlossenen Deal nicht zu akzeptieren. "Die Regierung und der Premier haben immer noch die Gelegenheit, die Brüsseler Einigung abzulehnen", sagte er. Die Vereinbarung hält er für inakzeptabel. Den "sogenannten Partnern" und Deutschland wirft Lafazanis vor, Griechenland wie eine Kolonie zu behandeln.

Filis, der Sprecher der Syriza-Fraktion hingegen warnte vor einer Spaltung der Partei und dem Scheitern der Linksregierung. Innenminister Nikos Voutsis sprach sich dafür aus, die harten Forderungen mit sozialen Maßnahmen abzufedern - allein deshalb müsse Syriza in der Regierung bleiben.

Das sagt der Koalitionspartner

Der Chef der rechtspopulistischen Partei Anel, Panos Kammenos, sagte, seine Partei wolle in der Regierung bleiben. So wolle Anel verhindern, dass eine Regierung eingesetzt werde, die nicht vom Volk gewählt sei. Wie der Radikal-Linke Lafazanis sprach auch Verteidigungsminister Kammenos von einem "Staatsstreich" und "Erpressung": Die Gläubiger hätten Tsipras gezwungen, harte und ungerechte Sparmaßnahmen zu akzeptieren. Auf die Frage, ob die Anel-Partei am Mittwoch zustimmen werde, sagte er: "Wir werden kein Problem am Mittwoch haben."

Das sagt die Opposition

Die Opposition hat Tsipras bereits Stimmen zugesagt: "Wir sind entschlossen, das Paket zu unterstützen", sagte Dora Bakoyannis, Abgeordnete der konservativen Nea Dimokratia und frühere Außenministerin der SZ. Die liberale Partei To Potami lehnt es ab, Teil einer Syriza-Regierung zu werden. Pro-europäische Reformen will sie aber unterstützen.

Privatisierung, Verlust der Souveränität, Massenentlassungen

Die Euro-Länder und Premier Tsipras hatten sich am Montag auf die Grundlagen für ein Dreijahres-Programm in einem Umfang von 82 bis 86 Milliarden Euro geeinigt. Das offizielle Papier der Euro-Gruppe - hier als PDF. Es ist ein Treuhandfonds geplant, der auf 50 Millliarden angelegt und über den griechische Vermögenswerte wie etwa Inseln, Wasserwerke oder Häfen privatisiert werden sollen. Der Ertrag fließt in den Schuldenabbau und in die Rekapitalisierung der Banken. Mehr dazu - hier. Außerdem muss Griechenland alle neuen Gesetze mit den Gläubigern abstimmen. Das Land soll den Arbeitsmarkt liberalisieren, etwa Massenentlassungen akzeptieren. Mehr dazu - hier.

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