Tschechien:Die Brauerei-Tradition einfach vermarktet

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Petr Jakubíček geht es nicht um große Gewinne. Der große, blonde Mann um die 40 steht auf der grünen Wiese vor seinem Hof in Chříc, hinter ihm ragt der alte Mühlenturm auf. Unter Bäumen stehen ein paar Bierbänke. Ein älterer Mann bessert eine Hauswand aus. Hinter dem Schweinekoben klettern Kinder in den Bäumen, rollen sich die Hänge hinab. Ein Paradies, aufgebaut auf der Liebe zum Bier.

"Eigentlich suchten wir nur einen Ort zum Leben auf dem Land", sagt Petr Jakubíček. Mit seiner Frau fand er den verlassenen Bauernhof irgendwo im Kreis Pilsen. Zur Autobahn fährt man locker eine halbe Stunde auf gewundenen schmalen Straßen durch Hügelland. Beim Renovieren stießen die beiden Akademiker auf die Überreste der Brauerei, erkundeten die Geschichte und entschlossen sich schließlich, die Tradition wiederzubeleben. Ohne eine Ahnung vom Brauen, von Betriebswirtschaft, Vermarktung oder Logistik. Auch nicht vom Schweinehalten. "Wir betreiben eigentlich kein Marketing", sagt Jakubíček. Freunde wurden eingespannt, um die Etiketten im Stil der Zwanzigerjahre zu zeichnen und das Bier in Prager Lokalen einzuführen.

Das bisschen Gewinn aus den 1500 Hektolitern pro Jahr reinvestieren seine Frau und er in soziale Projekte. Die Brauerei gehört einem gemeinnützigen Verein, den sie eigens gegründet haben. So können sie Menschen mit geistiger Behinderung beschäftigen und die alte Dorfschule nebenan wieder aufbauen.

Die Tschechen trinken weniger

Mit einem Bierkonsum von 138 Litern pro Kopf und Jahr führen die Tschechen die europäische Rangliste weiter an - auch wenn, dem allgemeinen Trend folgend, der Verbrauch sinkt. Österreich und Deutschland folgen mit 105 und 101 Liter. Seitdem im Juni 2017 in Tschechien das Rauchverbot in Gaststätten eingeführt wurde, wird in den Kneipen weniger Bier getrunken. Dafür scheint die Leute mehr zu interessieren, was sie trinken.

Die neuen Biere sind außer in Spezialitätenhandlungen oder wenigen ausgewählten Lokalen oft nur in den Brauereien selbst zu bekommen. Die Leute sollen zum Bier kommen, nicht das Bier zu den Leuten. Touren durchs eigene Land werden bei den Einheimischen immer beliebter. Etwa zur Brauerei Kocour (Kater) in Varnsdorf in der Lausitz, direkt an der deutschen Grenze. Kocour sieht sich selbst als Vorreiter einer "neuen Sichtweise auf das Bier und das Brauereiwesen in Tschechien". "Mehr als Lager", ist ein Motto der Brauerei. Ossegg in Prag bezieht sich auf eine Tradition, die bis 1241 zurückreicht und will nun mit seinen Bieren, die Namen wie Laurentius und Balthasar tragen, auch ins Ausland. Es geht nicht um schnöden Export. Man baut ganze Brauereien - in Dresden, Duisburg und Madrid.

Die Leute sollen zum Bier kommen, nicht das Bier zu den Leuten

Welche der neuen Biersorten den Konsumenten schmecken, interessiert auch die großen Brauereien. Diese, sagt Jan Šuráň vom Verband der kleinen, nutzten die Verkaufszahlen der neuen Biermarken, um daraus ihre Schlüsse über die Vorlieben der Kunden zu ziehen. Im Idealfall können auch die Kleinen von den Großen profitieren. So gewährt Budweiser zwei kleineren Marken, Permon und Antoš, Verkaufsplätze in den brauereieigenen Gaststätten - und den Gästen somit mehr Abwechslung. "Wir haben ja ohnehin keine Kapazitäten mehr", erklärt Sprecher Samec, während er sich ein Budvar zapfen lässt.

Und die tschechischen Landwirte, haben die noch Kapazitäten? Nicht nur das tschechische Bier, auch die Rohstoffe werden exportiert. Die geringe und qualitativ mangelhafte Ernte des vergangenen Jahres wurde in den tschechischen Medien beklagt. Der heiße Sommer hat die Brauereien getroffen. Irgendwann wurde es den Leuten zu heiß zum Biertrinken. Die Verkäufe sanken. Gleichzeitig litt die Ernte.

In Budweis und Pilsen weist man solche Klagen weit von sich. Es gebe lange gültige Verträge mit den Bauern, die auch verpflichtet seien, eine bestimmte Qualität zu liefern, heißt es in Pilsen. Und das bestätigt auch Petr Samec, während er in der Brauereiwirtschaft in Budweis auf sein Bier wartet. Im Gewölbe hat der Staatsbetrieb gerade investiert und behutsam etwas Moderne in die Gemütlichkeit gebracht.

"Auf ein Budweiser muss man immer ein wenig warten", sagt Samec. Der Schaum müsse sich erst setzen. So pflegt jeder nicht nur seine Art des Brauens, sondern auch seine Art zu zapfen. Es gibt Meisterschaften dafür.

Samec muss natürlich auch erklären, was man unbedingt vom Biertrinken in Tschechien wissen muss. Wer in diesem Land ein Bier bestellt, bekommt eine Gegenfrage: Zehner oder Zwölfer? Gemeint ist der Anteil Stammwürze. Das Zehner schmeckt leichter und hat weniger Alkohol. Wird also gern zum Mittagessen bestellt. Staropramen rühmt sich, das Elfer erfunden zu haben. Längst brauen kleinere wie Kolštejn oder Ferdinand auch Dreizehner, Vierzehner und Fünfzehner Biere.

Die Innovationsfreude scheint ungebremst zu sein. In der Brauerei-App leuchten neue Einträge auf. 477 sind es jetzt.

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