Tschechien:Das Bier-Paradies

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Budweiser ist in Tschechien noch der Marktführer. (Foto: Getty Images)

Nirgendwo in Europa wird pro Kopf mehr Bier getrunken als in Tschechien. Eigentlich beherrschen Konzerne aus dem Ausland den Markt. Ein Besuch in einer kleinen Brauerei, die den großen Konzernen Konkurrenz machen will.

Von Viktoria Großmann

Hinten im Hof der Brauerei grunzen neun schwarz-rosa Schweine mit nicht kupierten Ringelschwänzen und Stirnlöckchen. Wühlen im Schlamm und fressen verkochtes Malz, das beim Brauen übrig bleibt. Tschechen erinnert das an eine Szene aus einem Spielfilm von Jíři Menzel. Diese Idylle aber gibt es wirklich. In Chříč, einem Dorf mit 200 Einwohnern, wird seit drei Jahren wieder Bier gebraut. Der wohl nur für Tschechen aussprechbare Ortsname (ch-rsch-ie-tsch) ist zugleich der Name des Bieres, das hier 1567 erstmals gebraut wurde. Die lange Geschichte ging mit der deutschen Besatzung Böhmens und Mährens 1938 und endgültig mit dem Kommunismus zu Ende.

Heute ist Chříč eine von mehr als 450 Mini-Brauereien in der tschechischen Republik. In der Smartphone-App české pivovary (tschechische Brauereien) kann man zuschauen, wie der Markt für besondere Biere fast täglich wächst. Die Brauer treten an, die tschechische Bierlandschaft zu verändern. Es geht ihnen um nichts weniger als um die Rettung eines nationalen Kulturguts. Viele nehmen alte Traditionen auf und verknüpfen sie mit neuer Sortenvielfalt. Es ist ihre Antwort auf umsatzstarke Großbrauereien, von denen die größten nicht mehr in tschechischer Hand sind. In Deutschland kommen auf eine der knapp 1500 Brauereien mehr als 50 000 Einwohner, in Tschechien teilen sich rechnerisch um die 20 000 Einwohner eine Brauerei.

Bierwerbung
:Ein Prosit der Bekömmlichkeit

"Wohl bekomm's" ließ ein Braumeister auf die Etiketten seiner Bierflaschen drucken. Das wurde ihm nun verboten, denn: Bier ist nicht bekömmlich.

Glosse von Johann Osel

"Platz wäre für 1000", sagt Jan Šuráň vom Verband der Minibrauereien. So viele gab es vor 130 Jahren und in zehn Jahren werden es wieder so viele sein, glaubt er. Wie im Falle von Chříč handele es sich meistens nicht um neue, sondern um wiederbelebte Marken. Ihre Produktion ist im Vergleich zu jener der großen Brauereien zwar verschwindend. Insgesamt kommen sie auf etwa 400 000 Hektoliter jährlich und damit auf zwei Prozent Marktanteil. Doch auch diese kleine Konkurrenz belebt das Geschäft, sagt Šuráň. Das Angebot auch der Marktführer werde größer.

Dominiert wird der Markt von sechs großen Brauereien. Die meisten, auch Pilsner Urquell, sind in ausländischer Hand. Von den landesweit pro Jahr produzierten 20 Millionen Hektoliter kommen elf Millionen Hektoliter aus den vier Brauereien, die heute zu Pilsner Urquell gehören. Davon werden 70 Prozent ins Ausland exportiert. Deutschland ist nach der Slowakei der zweitgrößte Importeur für tschechische Biere. Knapp eine Million Hektoliter werden dorthin gebracht. Im Austausch importiert Tschechien gerade mal 40 000 Hektoliter deutsches Bier. Damit ist Bier zwar nicht das wichtigste Exportgut des Landes, das sind noch immer Škodas, Maschinen und Strom. Aber wohl das bekannteste, und die Bier-Exporte wachsen stetig.

Mit dem guten Ruf wollte der große Konkurrent aus Amerika gute Geschäfte machen

In České Budějovice bereitet man sich auf eine Erweiterung der Produktion vor. Etwa 1,5 Millionen Hektoliter Budweiser jährlich werden gebraut. "Wir sind ausgelastet", sagt Sprecher Petr Samec. "Wir konnten in diesem Jahr die Wünsche unserer Kunden nicht mehr erfüllen." Um 25 Prozent auf dann zwei Millionen Hektoliter Bier jährlich soll die Produktion gesteigert werden. Die 1895 von Bürgern als Aktiengesellschaft gegründete Brauerei blieb nach 1989 ein staatlicher Betrieb.

Zum Glück, finden hier viele. Sonst wäre die Marke heute wohl auch nicht mehr tschechisch. Und das, wo Budweiser nach jahrzehntelangem Markenrechtsstreit sich Anfang des Jahrtausends endlich gegen das amerikanische Budweiser durchsetzen konnte. Im hauseigenen Geschichtsbuch lässt sich nachlesen, dass sich die Amerikaner bereits vor mehr als 100 Jahren den Namen einfach ausgesucht hatten, weil er einen guten Ruf hatte.

"Wir sind die größte, zu 100 Prozent tschechische Brauerei", sagt Samec stolz. Auch wenn die produzierte Jahresmenge im Vergleich zu Pilsen gering wirkt. Natürlich trägt Budweiser das europäische Siegel für die geschützte geografische Angabe. Ein Siegel, das eigentlich nur bedeuten muss, dass etwas an einem bestimmten Ort hergestellt wurde. Aber Samec sagt, durch langfristige Verträge sei sichergestellt, dass der Hopfen für das Bier aus der Region Žatec kommt und die Gerste aus Mähren. Das Quellwasser wird in Budweis gewonnen. Die Hefe wird jede Woche neu angesetzt, der Stamm geht aber auf die Erstproduktion zurück.

Leicht hat es Budweis nicht, sich gegen das übermächtige Pilsen durchzusetzen. Kaum betritt man in Budweis den Bahnhofsvorplatz, kommt ein Stadtbus vorüber, großflächig beklebt mit Werbung für Pilsner Urquell. Ein gemeiner Streich? Budweiser-Sprecher Samec lächelt. "Wir geben unser Geld für Wichtigeres aus." Pilsner-Fans behaupten grundsätzlich, Budweiser sei ihnen zu süß. Samec gibt die typische Budweiser-Antwort: "Budvar ist nicht süß. Es ist weniger bitter." Und das Vorurteil, dass man davon Kopfweh bekommt? "Das liegt ganz bei Ihnen."

In Chříč bei Pilsen wurde 1567 das erste Mal Bier gebraut. Ein Ehepaar aus Prag hat die Brauerei vor drei Jahren wiederbelebt. (Foto: Druzstevni Kavarna Inkognito)

In Budweis klirren etwa 40 000 Flaschen pro Stunde durch die Abfüllanlage. Durch ein zugiges Treppenhaus und Türen aus dem typischen, sozialistischen Press-spanlaminat Umakart gelangt man zur Brauanlage. Die Keller sind schlicht und praktisch. Die Brauerei liegt am Rande des Zentrums der niedlichen, barocken Stadt in Südböhmen mit ihren Flüssen und Kanälen. Das Städtchen zieht viele Touristen an. Ebenso die Brauerei, die allerdings im Gegensatz zu Pilsen so wirkt, als habe man sich nicht eigens auf Besucher vorbereitet.

Im Gegensatz zur Pilsner Brauart wird Budweiser nur einmal gemaischt, statt dreimal. Es wird weniger Hopfen zugesetzt, daher der mildere Geschmack. Samec betont, dass der Hopfen in ganzen, getrockneten Blüten zugesetzt wird. Nicht in Pellets wie in Pilsen oder gar als Extrakt, was Samec als Verstoß gegen das Reinheitsgebot ansieht. Zudem wird in Budweis der Hopfen von Hand zum Sud gegeben.

Augeliefert in Bierkutschen

In Pilsen sitzen die Brauer hinter ihren Computern wie in einer Kommandozentrale. Hinter Glas glänzen die modernen Edelstahlkessel. Von Hand werden hier nur noch die älteren Kupferkessel geputzt. Die Pilsner Urquell-Brauerei, 1842 gegründet, ist auf Hochglanz poliert. Hier wird der Unterschied zwischen Privatunternehmen und Staat sichtbar. Zwischen Bahnhof und Zentrum der westböhmischen Stadt steht die wohl bekannteste Brauerei Tschechiens. 60 000 Flaschen Bier pro Stunde laufen hier vom Band. Auf Tradition setzt das Unternehmen bei der täglichen Auslieferung an die hauseigene Gastwirtschaft im Zentrum: Bierkutschen mit Pferden liefern das Bier in Holzfässern aus.

Die Traditionspflege geschieht seit 2017 unter japanischer Flagge. Asahi kaufte Pilsner Urquell, gemeinsam mit Radegast, Velkopopovický Kozel und Gambrinus vom südafrikanischen Unternehmen SAB Miller. Die zweitgrößte Brauerei des Landes, Staropramen, gehört zum nordamerikanischen Konzern Molson Coors, der seinen europäischen Hauptsitz an den Stammsitz von Staropramen im Prager Stadtteil Smíchov verlagert hat. Auf Platz drei in Tschechien folgt Heineken. Die Niederländer übernahmen die Marke Krušovice sowie weitere kleinere. Sein Ansehen beschädigte sich Heineken in Tschechien, weil es zwei der kleineren Brauereien bald nach der Übernahme schloss.

Es sind solche Vorgänge, die kleine Brauer ermutigen. Ein paar "Freunde guten Bieres" fanden sich in Černice Anfang der Nullerjahre zusammen und entschlossen sich, die älteste Brauerei Böhmens in Domažlice zu retten. So erzählt es Petr Míč, Marketingmanager von Purkmistr. Das Dörfchen Černice gehört bereits zu Pilsen und nach Pilsner Brauart wird auch das helle Lagerbier im Purkmistr gebraut.

Mit fünf Biersorten fing es an. Anfangs noch in Domažlice, nun schon viele Jahre in Černice, wo unter der Gaststube mit angeschlossenem Hotel etwa 1700 Hektoliter jährlich und bis zu 20 Sorten gebraut werden. Unpasteurisiert, unfiltriert, Hauptsache authentisch. Wie in den meisten Minibrauereien werden verschiedene Spezialbiere hergestellt, für welche die Zutaten importiert werden, Hopfen aus Neuseeland etwa. Heute floriert Purkmistr, viele Gäste kommen aus dem Ausland. Auch weil man im Spa buchstäblich im Bier baden kann - in dem ganz jungen, das wenig Alkohol hat. Zu viel davon wäre nicht gut für die Haut. Alle anderen Inhaltsstoffe schon. Vor allem die Bierhefe. Die war schon im Sozialismus als billiges und vor allem verfügbares Schönheitsmittel beliebt. Heute ist Bierkosmetik verschiedener Hersteller im ganzen Land zu haben. Die Preise für Bier-Hautcremes und Hopfen-Shampoos orientieren sich an ausgabefreudigen Touristen.

Petr Jakubíček geht es nicht um große Gewinne. Der große, blonde Mann um die 40 steht auf der grünen Wiese vor seinem Hof in Chříc, hinter ihm ragt der alte Mühlenturm auf. Unter Bäumen stehen ein paar Bierbänke. Ein älterer Mann bessert eine Hauswand aus. Hinter dem Schweinekoben klettern Kinder in den Bäumen, rollen sich die Hänge hinab. Ein Paradies, aufgebaut auf der Liebe zum Bier.

"Eigentlich suchten wir nur einen Ort zum Leben auf dem Land", sagt Petr Jakubíček. Mit seiner Frau fand er den verlassenen Bauernhof irgendwo im Kreis Pilsen. Zur Autobahn fährt man locker eine halbe Stunde auf gewundenen schmalen Straßen durch Hügelland. Beim Renovieren stießen die beiden Akademiker auf die Überreste der Brauerei, erkundeten die Geschichte und entschlossen sich schließlich, die Tradition wiederzubeleben. Ohne eine Ahnung vom Brauen, von Betriebswirtschaft, Vermarktung oder Logistik. Auch nicht vom Schweinehalten. "Wir betreiben eigentlich kein Marketing", sagt Jakubíček. Freunde wurden eingespannt, um die Etiketten im Stil der Zwanzigerjahre zu zeichnen und das Bier in Prager Lokalen einzuführen.

Das bisschen Gewinn aus den 1500 Hektolitern pro Jahr reinvestieren seine Frau und er in soziale Projekte. Die Brauerei gehört einem gemeinnützigen Verein, den sie eigens gegründet haben. So können sie Menschen mit geistiger Behinderung beschäftigen und die alte Dorfschule nebenan wieder aufbauen.

Die Tschechen trinken weniger

Mit einem Bierkonsum von 138 Litern pro Kopf und Jahr führen die Tschechen die europäische Rangliste weiter an - auch wenn, dem allgemeinen Trend folgend, der Verbrauch sinkt. Österreich und Deutschland folgen mit 105 und 101 Liter. Seitdem im Juni 2017 in Tschechien das Rauchverbot in Gaststätten eingeführt wurde, wird in den Kneipen weniger Bier getrunken. Dafür scheint die Leute mehr zu interessieren, was sie trinken.

Die neuen Biere sind außer in Spezialitätenhandlungen oder wenigen ausgewählten Lokalen oft nur in den Brauereien selbst zu bekommen. Die Leute sollen zum Bier kommen, nicht das Bier zu den Leuten. Touren durchs eigene Land werden bei den Einheimischen immer beliebter. Etwa zur Brauerei Kocour (Kater) in Varnsdorf in der Lausitz, direkt an der deutschen Grenze. Kocour sieht sich selbst als Vorreiter einer "neuen Sichtweise auf das Bier und das Brauereiwesen in Tschechien". "Mehr als Lager", ist ein Motto der Brauerei. Ossegg in Prag bezieht sich auf eine Tradition, die bis 1241 zurückreicht und will nun mit seinen Bieren, die Namen wie Laurentius und Balthasar tragen, auch ins Ausland. Es geht nicht um schnöden Export. Man baut ganze Brauereien - in Dresden, Duisburg und Madrid.

Die Leute sollen zum Bier kommen, nicht das Bier zu den Leuten

Welche der neuen Biersorten den Konsumenten schmecken, interessiert auch die großen Brauereien. Diese, sagt Jan Šuráň vom Verband der kleinen, nutzten die Verkaufszahlen der neuen Biermarken, um daraus ihre Schlüsse über die Vorlieben der Kunden zu ziehen. Im Idealfall können auch die Kleinen von den Großen profitieren. So gewährt Budweiser zwei kleineren Marken, Permon und Antoš, Verkaufsplätze in den brauereieigenen Gaststätten - und den Gästen somit mehr Abwechslung. "Wir haben ja ohnehin keine Kapazitäten mehr", erklärt Sprecher Samec, während er sich ein Budvar zapfen lässt.

Und die tschechischen Landwirte, haben die noch Kapazitäten? Nicht nur das tschechische Bier, auch die Rohstoffe werden exportiert. Die geringe und qualitativ mangelhafte Ernte des vergangenen Jahres wurde in den tschechischen Medien beklagt. Der heiße Sommer hat die Brauereien getroffen. Irgendwann wurde es den Leuten zu heiß zum Biertrinken. Die Verkäufe sanken. Gleichzeitig litt die Ernte.

In Budweis und Pilsen weist man solche Klagen weit von sich. Es gebe lange gültige Verträge mit den Bauern, die auch verpflichtet seien, eine bestimmte Qualität zu liefern, heißt es in Pilsen. Und das bestätigt auch Petr Samec, während er in der Brauereiwirtschaft in Budweis auf sein Bier wartet. Im Gewölbe hat der Staatsbetrieb gerade investiert und behutsam etwas Moderne in die Gemütlichkeit gebracht.

"Auf ein Budweiser muss man immer ein wenig warten", sagt Samec. Der Schaum müsse sich erst setzen. So pflegt jeder nicht nur seine Art des Brauens, sondern auch seine Art zu zapfen. Es gibt Meisterschaften dafür.

Samec muss natürlich auch erklären, was man unbedingt vom Biertrinken in Tschechien wissen muss. Wer in diesem Land ein Bier bestellt, bekommt eine Gegenfrage: Zehner oder Zwölfer? Gemeint ist der Anteil Stammwürze. Das Zehner schmeckt leichter und hat weniger Alkohol. Wird also gern zum Mittagessen bestellt. Staropramen rühmt sich, das Elfer erfunden zu haben. Längst brauen kleinere wie Kolštejn oder Ferdinand auch Dreizehner, Vierzehner und Fünfzehner Biere.

Die Innovationsfreude scheint ungebremst zu sein. In der Brauerei-App leuchten neue Einträge auf. 477 sind es jetzt.

© SZ vom 05.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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