Tschechien:Betrieb rund um die Uhr

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Von morgens um acht bis abends um neun steht die 25-jährige Floristin Gabriela hinter ihrem Blumenstand in Prag.

Von Heiko Krebs

(SZ vom 05.11.03) - Wie viele Beschäftigte, die in Tschechien im Einzelhandel tätig sind, hat auch sie einen Arbeitsrhythmus mit einer "langen" und einer "kurzen" Woche: In der einen arbeitet sie Montag, Dienstag und dann von Freitag bis Sonntag, in der darauf folgenden hat sie fünf Tage frei.

Zwei Frauen sind an dem Blumenstand beschäftigt, jede muss durchschnittlich 15 Tage pro Monat arbeiten und insgesamt 195 Stunden ableisten. Sonn- und Feiertage werden mitgerechnet, Zuschläge gibt es nicht.

In der Tschechischen Republik gibt es auch kein Ladenschlussgesetz. So kann die Supermarktkette Tesco ihre gigantischen Einkaufstempel am Rande der Hauptstadt rund um die Uhr geöffnet halten. Auch hier arbeiten die Angestellten zwölf Stunden am Tag, für einen Stundenlohn von weniger als zwei Euro.

Kleine Geschäfte vom Ruin bedroht

Gewerkschaften haben jetzt Protest gegen die unbegrenzte Ladenöffnungszeiten angekündigt, und das nicht nur, weil sie die Rechte der Beschäftigten schützen wollen. Durch die langen Öffnungszeiten, die bei den Kunden durchaus beliebt sind, werden auch kleine Geschäfte in den Ruin getrieben.

Allerdings sind die Gewerkschaften in Tschechien immer noch sehr schwach und können kaum etwas ausrichten. In vielen Unternehmen, die in ausländischer Hand sind, gibt es gar keine Gewerkschaftsorganisation.

Nach der jüngsten Statistik der OECD ist Tschechien das europäische Land, in dem mit 1990 Stunden pro Jahr und Beschäftigtem am längsten gearbeitet wird.

Gesetzlich gilt die 40-Stunden-Woche. In Betrieben, die im Drei-Schicht-System arbeiten, haben die Beschäftigten wöchentlich 37,5 Stunden zu leisten.

45 Stunden pro Woche

Die Praxis sieht jedoch anders aus. Einer Studie der Fakultät für Sozialwissenschaften an der Prager Universität zufolge verbringen die tschechischen Arbeitnehmer im Schnitt 45 Stunden pro Woche an ihrem Arbeitsplatz.

Die Möglichkeit der flexiblen Arbeitszeitgestaltung kommt dabei vor allem auch deutschen Unternehmern sehr entgegen. "Wir können unsere Arbeitszeitmodelle innerbetrieblich mit unseren Mitarbeitern vereinbaren und brauchen dazu keine Genehmigung von lokalen Behörden", sagt der Geschäftsführer der Firma Hettich CR, Horst Blom.

Sein Unternehmen, das in Tschechien Möbelbeschläge produziert, kann jetzt die Maschinen rund um die Uhr laufen lassen und somit maximal ausnutzen. Etwa 20 Prozent der rund 400 Mitarbeiter sind auf das Modell eingegangen. Sie arbeiten im Durchschnitt 21 Tage pro Monat, insgesamt 168 Stunden.

Zwei Tage im Monat frei

Den Beschäftigten komme dieses Modell durchaus entgegen, sagt Blom, denn sie hätten dadurch zwei Tage mehr im Monat frei. Die liberale Gestaltung der Arbeitszeit habe sich allerdings erst in den letzten Jahren durchgesetzt. Als die tschechische Tochtergesellschaft von Hettich International 1993 gegründet wurde, hätten noch die alten restriktiven Gesetze gegolten.

Obwohl die Tschechen im Schnitt sehr viel Zeit auf ihrer Arbeitsstelle verbringen, lässt die Arbeitsproduktivität zu wünschen übrig.

Von 225 Arbeitstagen im vergangenen Jahr hätten die Arbeitnehmer im Durchschnitt effektiv nur 135 Tage gearbeitet, fand die Firma Czipin & Proudfoot Consulting heraus. Etwa 40 Prozent der Arbeitszeit werde vergeudet. Der Grund sei aber nicht immer eine schlechte Arbeitsmoral, sondern häufig auch eine schlechte Betriebsorganisation, so die Unternehmensberater.

Allgemein arbeiten Mitarbeiter in ausländischen Unternehmen mehr als in Firmen, die von tschechischen Unternehmern geführt werden. Ausländische Investoren zahlen allerdings in der Regel auch besser.

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