Steuerpolitik:Der U-Turn der britischen Regierung

Steuerpolitik: Großbritanniens Finanzminister Kwasi Kwarteng bei seinem großen Auftritt auf dem Parteitag in Birmingham

Großbritanniens Finanzminister Kwasi Kwarteng bei seinem großen Auftritt auf dem Parteitag in Birmingham

(Foto: Rui Vieira/AP)

Kwasi Kwarteng und Liz Truss blieb nichts anderes übrig, als ein Kernstück ihrer Wirtschaftspolitik wieder zurückzudrehen. Ob das genügt, um das Ansehen von Finanzminister und Premierministerin zu retten, bleibt unklar.

Von Michael Neudecker, Birmingham

Kwasi Kwarteng trat am Montag um kurz nach 16 Uhr Ortszeit im großen Saal in Birmingham auf die Bühne, um seine Parteitagsrede zu halten. Der neue britische Finanzminister blickte in den Saal, breitete die Arme ein wenig aus und sagte: "What a day!" Manche im Saal brachen in Gelächter aus.

Was vorher passiert war, war ein spektakulärer U-Turn. Wenn man umdreht, weil man in die falsche Richtung fährt, nennt man das so auf Englisch. Und nun hatte sich herausgestellt, dass die britische Regierung selbst einsah, dass sie seit Freitag vorvergangener Woche, spätestens, rasend schnell in die falsche Richtung gefahren war. Seit Kwarteng ein sogenanntes "Mini-Budget" verkündet hatte, das den Staat Milliarden kosten sollte und umgehendes wirtschaftliches Chaos verursachte.

Das Pfund war tagelang im freien Fall, die britischen Nachrichtensender blendeten in einer Bildschirmecke den aktuellen Wechselkurs ein wie einen Spielstand in einem Fußballspiel, das kaum noch zu gewinnen ist. Weil infolge der schlechten wirtschaftlichen Lage auch die Umfragewerte der neuen Premierministerin Liz Truss und ihrer Partei auf ein Rekordtief sanken, war die Stimmung zu Beginn des Parteitags in Birmingham am Sonntag nun durchaus angespannt.

Die Kritik hatte sich immer weiter zugespitzt - selbst aus den eigenen Reihen

Den ganzen Sonntag über äußerten sich immer mehr Konservative kritisch zum neuen Haushalt, insbesondere zum Plan, den Spitzensteuersatz von 45 Prozent für alle jene jenseits einer Einkommensgrenze von 150 000 Pfund jährlich zu streichen. Dergleichen sei "nicht mit der Politik der Konservativen vereinbar", sagte etwa Michael Gove, der frühere Wohnungsbauminister. Truss wurde am Sonntagvormittag im BBC-Fernsehstudio gefragt: ob sie trotzdem zu ihren Plänen stehen werde? "Yes", sagte Liz Truss voller Überzeugung. Ihr "Yes" hielt ein paar Stunden.

In der Nacht auf Montag wurde klar, dass Premierministerin und Finanzminister sich doch umentschieden. Am Montagmorgen dann gab Kwarteng bekannt: Die Streichung des Spitzensteuersatzes werde doch nicht kommen. Es war der größte und bemerkenswerteste U-Turn seit Jahren in der britischen Politik. Oder?

"Das ist kein U-Turn", sagte am Montagnachmittag der Tory-Abgeordnete Lee Anderson, "sondern bloß ein Ändern der Richtung." Er lächelte ein wenig dabei, Lee Anderson ist schlau genug, um zu wissen, wie seine Worte klangen. Er selbst war einer derjenigen gewesen, die Truss' und Kwartengs Pläne kritisierten, andererseits aber wollen er und seine Kollegen auch dafür sorgen, dass sich die Umfragewerte wieder erholen, und deshalb verteidigte er wie viele seiner Kollegen Kwartengs neue Entscheidung nun. Auch Gant Shapps, früherer Verkehrsminister und einer der stärksten Kritiker des Haushaltes, gratulierte Kwarteng zum U-Turn. "Der Haushalt wäre niemals durch das Unterhaus gekommen", sagte Shapps. Die erste große politische Entscheidung der neuen Regierung erzeugte in der Tat in der eigenen Partei so viel Gegenwehr, dass sie keine Mehrheit im Parlament bekommen hätte.

Die Kritik an seinen Maßnahmen sei angekommen, "I get it", sagte Kwarteng bei seiner großen Rede in Birmingham. Auf Deutsch: Ich verstehe. "Wir hören zu". Daher habe er entschieden, die Streichung des Spitzensteuersatzes zurückzunehmen. "A little turbulence" habe die ganze Sache verursacht. Die Scheinwerfer im Saal trieben ihm die Schweißperlen auf die Stirn, Kwarteng kämpfte, Teile der Opposition hatten noch am Vormittag erst seinen Rücktritt gefordert. Die Rede war inhaltlich zwar weitgehend belanglos, aber voller Wahlkampf-Floskeln, weshalb ihm die Mitglieder im Saal begeistert applaudierten. Ob er damit auch seine kritischen Parteikollegen im Unterhaus überzeugte, bleibt abzuwarten.

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