Trumpf-Chefin Nicola Leibinger-Kammüller:"Wer will schon die Quotilde sein?"

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Nicht der Sohn, nicht der Schwiegersohn - Tochter Nicola folgte vor fünf Jahren auf Berthold Leibinger als Chefin beim Maschinenbau-Unternehmen Trumpf. Ein Gespräch mit Leibinger-Kammüller über die Frauenquote und familienfreundliche Unternehmen.

Marc Beise und Elisabeth Dostert

Sie hat als promovierte Germanistin ihre "Buddenbrooks" parat, wenn es um die Geschäfte des eigenen Familienunternehmens geht. Ansonsten eine Menge schwäbischen Pragmatismus im Blut: Nicola Leibinger-Kammüller, 51, hat den Maschinenbauer Trumpf zu Rekordumsätzen geführt. Den kommenden Abschwung sieht sie gelassen. Aber die Unternehmerin weiß: Schlechte Prognosen und politisches Hickhack beeinflussen die Gemütslage ihrer Kunden. Bei Euro und Quote scheut sie unbequeme Meinungen nicht.

Es gibt weniger Frauen als Männer in Führungsjobs. (Foto: dapd)

SZ: Frau Leibinger-Kammüller, worüber wollen wir reden, übers Geschäft oder die Frauenquote?

Nicola Leibinger-Kammüller: Zur Frauenquote ist doch alles gesagt. Ich bin natürlich dagegen.

SZ: Natürlich?

Leibinger-Kammüller: Das haben wir Frauen doch gar nicht nötig! Wer will denn schon gern die Quotilde sein? Außerdem wäre eine gesetzliche Quote ein weiterer Eingriff des Gesetzgebers in die Unternehmen, davon haben wir nun wirklich schon genug. Der Staat kann es uns überlassen, wie viele Frauen wir einstellen. Abgesehen davon wäre eine Frauenquote total unrealistisch.

SZ: Warum?

Leibinger-Kammüller: Wenn ich mir unser Unternehmen anschaue: Noch nicht einmal zehn Prozent der Absolventen im Maschinenbau sind Frauen. Da ist es schwierig, eine bestimmte Anzahl Frauen innerhalb einer Frist in bestimmte Führungspositionen zu hieven.

SZ: Kritiker werden sagen, Sie bemühten sich zu wenig.

Leibinger-Kammüller: Oh doch, ich bemühe mich, und wie! Ich dränge die Personalabteilung: Sucht Frauen, gebt nicht zu früh auf, macht lieber noch mal eine Bewerberrunde. Aber eines ist auch klar: Wenn ich einen Bewerber und eine Bewerberin habe und der Mann ist besser, dann nehme ich den.

SZ: Und wenn beide gleich gut sind?

Leibinger-Kammüller: Dann würde ich wahrscheinlich der Frau den Vorzug geben.

SZ: Welche Mischung streben Sie langfristig an?

Leibinger-Kammüller: Wir haben jetzt einen Frauenanteil von 20 Prozent in der Firma insgesamt. Auf der Führungsebene sind es zehn Prozent. Das ist mir natürlich zu wenig. Aber ich sehe nicht, dass wir die Quote in der nächsten Zeit auf 50 Prozent bringen können. Ich wäre schon über 30 Prozent froh.

SZ: Braucht es eine Frau an der Spitze eines Unternehmens, damit sich wirklich etwas ändert?

Leibinger-Kammüller: Es geht vielleicht leichter. Aber das kann natürlich auch durch einen fortschrittlich denkenden Mann geschehen.

SZ: War Ihr Vater als Chef so einer?

Leibinger-Kammüller: Er hat in vielem sehr fortschrittlich gedacht, aber das Thema Frauenförderung gehörte eher nicht dazu. Er gehört auch einer ganz anderen Generation an. Mein Vater ist fast 81! Meine Mutter hat auch studiert, sie hat meinen Vater unterstützt und maßgeblich zur Entwicklung der Firma beigetragen. Aber die Rollen waren klar: Mein Vater war im Unternehmen, und meine Mutter war mit uns Kindern zu Hause.

SZ: Bei Ihnen ist das heute anders. Da arbeiten beide Eltern; Sie sogar als Vorgesetzte von Ehemann und Bruder.

Leibinger-Kammüller: Ja, und das gilt auch für meine Schwester. Sie und ihr Mann führen in Berlin ein Architekturbüro mit 50 Mitarbeitern. Unsere Generation hat einfach ganz andere Voraussetzungen.

SZ: Über kurz oder lang kommen Sie schon wegen des demografischen Wandels und des Fachkräftemangels nicht mehr an Frauen vorbei. Sie brauchen Ingenieurinnen. Sie haben drei Söhne und eine Tochter. Kann man Kinder so erziehen, dass sich Mädchen und Jungen gleichermaßen für technische Berufe interessieren?

Leibinger-Kammüller: Die Voraussetzungen wären bei uns hervorragend, weil uns ein Hochtechnologieunternehmen gehört und mein Vater, mein Mann und mein Bruder Ingenieure sind. Aber wofür interessiert sich meine Tochter? Für das Gleiche wie die Mutter: Sie liest wie verrückt, hört gern Musik und ist an Kunst interessiert. Und hat Mathematik, sagen wir mal: nicht ganz so weit oben auf ihrer Prioritätenliste...

SZ: Und die Jungs?

Nach den Verlusten im Krisenjahr verzeichnet Trumpf jetzt ein Umsatzwachstum von 51 Prozent. Nicola Leibinger-Kammüller, Vorsitzende der Geschäftsleitung der Trumpf-Gruppe, ahnt aber, dass es in diesem Tempo nicht weitergeht. (Foto: dapd)

Leibinger-Kammüller: Unterschiedlich. Ich habe wohl dieses grässliche Gen vererbt: Kein Interesse an Mathe. Ich habe es einfach nicht verstanden.

SZ: Wie, Sie können keine Mathe - als Unternehmerin?

Leibinger-Kammüller: Tja, ich kann aber rechnen, und darauf kommt es an. Ich weiß zum Beispiel ganz genau, wann wir aufhören müssen, Geld auszugeben.

SZ: Wann denn?

Leibinger-Kammüller: So lange das Eigenkapital hoch genug ist, kann man Geld ausgeben. Ausgeben heißt bei uns übrigens investieren.

SZ: Wie hoch muss die Quote denn sein?

Leibinger-Kammüller: Bei uns liegt sie bei rund 50 Prozent. Ich will mich da aber gar nicht auf eine Zahl festlegen. Wie heißt es bei Thomas Mann in den Buddenbrooks:Wir kaufen die Ernte nicht "auf dem Halm", wir machen also keine unberechenbaren Spekulationsgeschäfte. Sie dürfen nie so riskant unterwegs sein, dass die Firma im Kern gefährdet ist.

SZ: Deshalb war Trumpf auch 2008 nicht in der Krise?

Leibinger-Kammüller: Oh doch, wir waren in der Krise. Wir haben innerhalb von zwei Jahren 40 Prozent unseres Umsatzes verloren. Aber wir hatten Vorsorge getroffen, um das aushalten und nach der Krise schnell durchstarten zu können.

SZ: Sie rutschten in die roten Zahlen und mussten Familienvermögen nachschießen. Kann das im jetzt nahenden Abschwung wieder geschehen?

Leibinger-Kammüller: Wir befürchten keine Krise wie damals, nur ein Abflachen. Und wir haben ein gutes Polster: Im vergangenen Geschäftsjahr sind unsere Umsätze um 51 Prozent gewachsen!

SZ: Können Sie sich denn über die 51 Prozent wirklich freuen? Sie wissen doch auch, dass das ein Ausreißer ist?

Leibinger-Kammüller: Zunächst freuen wir uns erst mal, dass wir das wieder wettgemacht haben, was wir in der Krise 2008/2009 verloren hatten. Aber natürlich sind wir auch nachdenklich und wissen, dass es so und in diesem Tempo nicht weitergehen kann. Wir fragen uns schon, auch im Lichte der großen Unsicherheiten an den Märkten und den hektischen und nervösen Börsen, was kommt?

SZ: Worauf stellen Sie sich denn ein für die nächsten zwei Jahre?

Leibinger-Kammüller: Wir rechnen weiter mit zweistelligen Zuwächsen.

SZ: Die offiziellen Konjunkturprognosen sind viel schlechter. Glauben Sie wirklich, dass Sie sich abkoppeln können?

Leibinger-Kammüller: Ganz können wir uns natürlich nicht abkoppeln. Die schlechten Prognosen und das politische Hickhack beeinflussen die Gemütslage unserer Kunden. Das spüren wir. Die haben zwar volle Auftragsbücher, trotzdem schieben sie Aufträge hinaus und investieren zurückhaltender. Aber von diesen Prognosen muss man sich weitgehend frei machen.

SZ: Sie geben nichts auf Prognosen?

Leibinger-Kammüller: Eher nicht. Wir vertrauen unserer eigenen Marktanalyse - und auch unserem Gefühl. Vor allem hören wir auf das, was unsere Kunden berichten. Wie ist die Auftragslage beim Daimler? Wie läuft das Geschäft bei der Lufthansa? Deren Zulieferer setzen ja unsere Maschinen ein. Wenn unsere Kunden sagen, die Nachfrage lässt nach, dann werden wir aufmerksam.

SZ: Man sagt, seit der Krise 2008/2009 sei der Maschinenbau ein völlig anderer.

Leibinger-Kammüller: Jedenfalls sieht es so aus, als ob die Konjunkturzyklen kürzer und die Ausschläge heftiger werden. Darauf haben sich viele Unternehmen sehr gut eingestellt. Auch wir bei Trumpf sind noch flexibler geworden, zum Beispiel durch Arbeitszeitkonten. Im Frühjahr haben wir mit Betriebsrat und der IG Metall einen neuen Beschäftigungspakt geschlossen, der Arbeitszeitkonten, Sabbaticals von bis zu zwei Jahren und vor allem die Möglichkeit vorsieht, dass jeder seine Arbeitszeit zwischen 15 und 40 Stunden selbst festlegen kann. Und sich übrigens alle zwei Jahre neu entscheiden kann. Jeder kann wählen - das gibt's in Deutschland nirgends sonst.

SZ: Wie sieht das konkret aus?

Leibinger-Kammüller: Sie sind ein junger Ingenieur, verheiratet, Ihre Frau arbeitet auch, es sind Kinder da. Dann können Sie frei entscheiden, 30 oder nur 20 Stunden die Woche zu arbeiten, um Zeit für die Kinder zu haben. Sie binden sich auf zwei Jahre, und dann entscheiden Sie neu. Genial oder?

SZ: Schon. Aber ist ein Mann (oder eine Frau), der längere Zeit nicht voll arbeitet, nicht abgeschrieben, wenn es um Fühungspositionen geht?

Leibinger-Kammüller: Nein - und das werde ich durchsetzen. Natürlich muss man präsent sein, an Sitzungen teilnehmen. Aber muss man bei jeder dabei sein? Wir haben jetzt schon Führungskräfte, die zum Beispiel nur 70 Prozent der regulären Wochenarbeitszeit arbeiten. Das funktioniert wunderbar.

SZ: Sehen das Ihre männlichen Kollegen in der Geschäftsleitung auch so?

Leibinger-Kammüller: Noch nicht. Die sagen, man muss voll da sein, um eine Führungsposition zu besetzen. Für mich gehören starre Arbeitszeiten der Vergangenheit an.

SZ: Und wie ist die Resonanz auf die flexiblen Arbeitszeiten?

Leibinger-Kammüller: Gigantisch. Wir veranstalten schon Workshops über eine Flexibilisierung der Arbeitszeit für andere Unternehmen.

SZ: Und bei den Mitarbeitern?

Leibinger-Kammüller: Da werden Sie sich wundern. Was glauben Sie, wollen die Mitarbeiter mehr oder weniger arbeiten?

SZ: Wenn Sie so fragen, mehr natürlich!

Leibinger-Kammüller: 80 Prozent wollen mehr arbeiten. Die bauen vielleicht gerade ein Haus, müssen Kredite tilgen und möchten jetzt möglichst viel Geld verdienen! Wir sind jetzt selbst gespannt, wie sich das Modell einspielt. Denn mit der extremen Flexibilisierung fangen wir jetzt erst an. Da müssen wir sehen, wie sich das entwickelt.

SZ: Es fällt auf, wie viel sie in Zusammenarbeit mit Mitarbeitern und Gewerkschaften erreichen! Interessiert Sie die Politik in Berlin und Brüssel überhaupt noch oder hat sich die Realwirtschaft davon schon abgekoppelt, weil Sie von dort ohnehin nichts Gutes mehr erwarten?

Leibinger-Kammüller: Wir geben die Hoffnung nie auf. Es wäre fatal, wenn wir uns abkoppelten. Der sinnvollere Weg ist doch, zu versuchen, Einfluss auf die Politik zu nehmen und für unsere Ideen zu werben. Italienische Verhältnisse, solche Parallelwelten, auf der einen Seite, die Politik, die macht was sie will, und auf der anderen die Unternehmen, das bringt uns nicht weiter. Und auch wenn bei manchen Unternehmer-Kollegen ein Hang da ist, auf die Politik zu schimpfen: Ich bin da strikt anderer Ansicht und habe hohen Respekt vor dem, was vor allem die Kanzlerin leistet.

SZ: Können Sie denn überhaupt noch Einfluss nehmen?

Leibinger-Kammüller: Verbände wie "Die Familienunternehmer", nehmen Einfluss, in dem sie immer wieder bei der Kanzlerin oder beim Wirtschaftsminister vorsprechen.

SZ: Diese Einschätzung teilen wir nicht. Der Verband der Familienunternehmer hat sich doch mittlerweile zum Euro-Gegner entwickelt und massiv gegen die Rettungspakete opponiert. Ist das auch Ihre Position? Sie sind dort immerhin im Präsidum!

Leibinger-Kammüller: Ich spreche für Trumpf und kann sagen: Wir haben unglaublich vom Euro profitiert. Wir machen die Hälfte unseres Umsatzes in der Euro-Zone. Er hat uns Stabilität gebracht. Ich glaube an den Euro, und ich glaube an Europa. Wir brauchen Europa als starke Kraft gegen Asien und Amerika. Wir haben doch hier viel zu bieten.

SZ: Ihre Unternehmer-Kollegen argumentieren aber, dass es nicht sein kann, dass Europa finanziell ein Fass ohne Boden wird, in das vor allem die Deutschen einzahlen.

Leibinger-Kammüller: Das sehe ich genauso. Aber ein Rückzug in die D-Mark wäre nicht sinnvoll. Jetzt muss man das Feuer löschen, das ist gar keine Frage. Aus meiner Sicht sind die jüngsten Beschlüsse in Brüssel sinnvoll, weil sie Ruhe in die Märkte bringen. Alles andere wäre tödlich. Aber natürlich müssen im zweiten Schritt die einzelnen Länder saniert werden. Die müssen sparen, sparen, sparen und sich andere Strukturen verpassen.

SZ: Wird das Griechenland gelingen?

Leibinger-Kammüller: Da bin ich skeptisch.

SZ: Weshalb?

Leibinger-Kammüller: Erstens ist das politische System eine Katastrophe. Für den Schlingerkurs der Regierung habe ich keinerlei Verständnis. Und zweitens: Da ist doch praktisch nichts, jedenfalls viel zu wenig Industrie, und das lässt sich auch nicht über Nacht aufbauen. Bei Italien ist das anders, dort gibt es tragfähige industrielle Strukturen. Wir haben hervorragende Kunden in Norditalien, Familienunternehmen wie wir, hart arbeitende Leute. Allerdings muss auch Italien dringend seinen Staatshaushalt sanieren.

SZ: Wie steht es um ihr Verhältnis zu den Banken? Wir beobachten einen Spalt zwischen der Realwirtschaft, der Sie angehören, und der Finanzwirtschaft. Die Kritik der Unternehmer an den Banken wächst, dass diese alles verspielen, was die Industrie aufgebaut hat.

Leibinger-Kammüller: Mal etwas polemisch gesagt: Bei uns wird jede Schraube zertifiziert - bei den Banken dagegen wurden Produkte völlig ungeprüft in den Markt gebracht. Das kann es nicht sein.

SZ: Hat sich Ihr persönlicher Umgang mit Bankern verändert? Können Sie einem Mann wie Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann, mit dem Sie beispielsweise im Aufsichtsrat von Siemens sitzen, noch unbefangen entgegen treten?

Leibinger-Kammüller: Ich schätze Herrn Ackermann sehr. Vor allem weil ich den Eindruck habe, dass er sehr genau weiß, dass im Bankensystem vieles schief gelaufen ist und eingefangen werden muss.

SZ: Was halten Sie von einer Aufspaltung in Investmentbanking und Kreditgeschäft?

Leibinger-Kammüller: Sie können auch Investmentbanking sinnvoll betreiben. Aber das Kerngeschäft einer Bank ist aus meiner Sicht, konservativ wie ich bin, die Versorgung der Realwirtschaft mit Geld.

SZ: Wie sehen Sie die globalen Veränderungen? Europa steckt in einer Krise, Amerika ist eine tickende Zeitbombe, China gewinnt immer stärker an Bedeutung. Wie wird das Ihr Geschäft verändern?

Leibinger-Kammüller: Die Veränderungen sind schon in vollem Gange. China ist unser drittgrößter Markt. Wobei wir auch ein glänzendes Geschäft in den USA haben, weil unsere dortigen Kunden nach Asien exportieren. Die Verschiebung der Märkte nach Asien geht rasant weiter. Wir stellen uns darauf ein, indem wir gerade unsere Produktionsfläche in China verdoppeln.

SZ: Hat dann Deutschland irgendwann als Produktionsstandort ausgedient?

Leibinger-Kammüller: Nein. Unsere Kernkompetenzen bleiben in Deutschland. Das betrifft Produktion und Entwicklung.Wir haben hier 800 Entwickler. Wenn es uns gelingt, unseren innovativen Vorsprung zu halten, gibt es keinen Grund, diese Kompetenzen hier aufzugeben. Wir müssen viel mehr Geld in Bildung und Forschung investieren, dann gelingt das.

© SZ vom 07.11.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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