Süddeutsche Zeitung

Handelsabkommen:Worüber sich Trump und China weiterhin streiten

  • Der US-Präsident verkauft die Teilvereinbarung mit Peking im Handelsstreit als "großartig", Beobachter atmen auf.
  • Dabei sind die großen Fragen im Handelsstreit weiterhin ungeklärt - und außer einer Absichtserklärung gibt es bisher nichts Belastbares.

Von Claus Hulverscheidt, New York

Glaubt man Donald Trump, dann wird zwischen den USA und China jetzt alles ganz "großartig" - so jedenfalls versuchte der US-Präsident am Freitagabend jene erste kleine Teilvereinbarung zu verkaufen, die nach seinen Worten in den kommenden Monaten in ein umfassendes, dauerhaftes Handelsabkommen münden soll. Der Streit um Exportdefizite, Zölle und Produktpiraterie, der die Weltwirtschaft in den vergangenen Monaten an den Rand einer Rezession gebracht hätte, er wäre damit beigelegt.

Doch die Skepsis, die bereits in den ersten Stunden nach Bekanntwerden der guten Nachricht viele Medienberichte auch in den USA durchzog, ist nur allzu berechtigt: Bisher folgte in dem gut eineinhalb Jahre währenden Konflikt noch auf jeden angeblichen "Durchbruch" ein umso heftigerer Rückschlag. Das ist auch dieses Mal denkbar, denn außer einer Absichtserklärung gibt es bisher nichts Belastbares. Vielmehr soll es noch etwa vier Wochen dauern, bis allein die jetzigen Verabredungen der sogenannten "Phase 1" schriftlich fixiert sind. Von "Phase 2", die folgen soll, gar nicht zu reden.

Gerade bei der Ausarbeitung solcher Details hatte es jedoch in der Vergangenheit immer wieder Streit gegeben, weil beide Seiten Absprachen - ob absichtlich oder nicht - unterschiedlich interpretierten. Damit ist offen, ob Trump und sein chinesischer Amtskollege Xi Jinping am Rande des Treffens der Pazifikanrainerstaaten (Apec) Mitte November in Chile tatsächlich etwas Substantielles werden unterschreiben können.

Viele Politiker, Manager und Börsianer atmeten am Freitagabend dennoch auf, dass sich beide Staaten überhaupt einmal auf etwas verständigt haben, statt erneut im Streit auseinanderzugehen. Trump zufolge ist die Führung in Peking bereit, den chinesischen Bankenmarkt für US-Finanzdienstleister zu öffnen, die Landeswährung, den Renminbi, nicht als Kampfinstrument zur Verbilligung eigener Exporte einzusetzen und den Diebstahl geistigen Eigentums zu unterbinden, der Firmen aus der Volksrepublik immer wieder nachgesagt wird. Außerdem habe China zugesagt, Agrargüter im Wert von 40 bis 50 Milliarden Dollar in den Vereinigten Staaten einzukaufen, so der Präsident. Die USA verzichten im Gegenzug darauf, die schon bestehenden Zölle auf chinesische Warenlieferungen im Wert von 250 Milliarden Dollar in der kommenden Woche von derzeit 25 auf 30 Prozent zu erhöhen.

Was mit den Zöllen auf weitere chinesische Exporte im Umfang von 160 Milliarden Dollar passiert, die am 15. Dezember in Kraft treten sollen und dann auch Alltagsgüter wie Bekleidung und Handys in vollem Umfang träfen, blieb zunächst offen.

Das eigentliche Problem ist jedoch ein anderes: So wichtig der jetzige Waffenstillstand für die Aktienmärkte und die globalen Konjunkturaussichten auch sein mag, so wenig darf übersehen werden, dass es in den wirklich entscheidenden Streitpunkten bisher keinerlei Einigung gibt. Sie sollen Trump zufolge in der "Phase 2" der Gespräche geklärt werden, ohne dass sich bisher auch nur ansatzweise abzeichnen würde, wie Kompromisse aussehen könnten. Fakt ist vielmehr, dass in diesen Fragen die Interessen der beiden Großmächte frontal aufeinanderprallen.

Da ist einmal das Investitionsprogramm "Made in China 2025", das Prestigeobjekt von Staats- und Parteichef Xi. Ziel der Initiative ist es, chinesische Unternehmen mit Hilfe von massiven Subventionen sowie der Übernahme ausländischer Konkurrenten zu Weltmarktführern in zentralen Zukunftstechnologien wie etwa der Mobilität und der künstlichen Intelligenz hochzupäppeln. Die USA sehen in den Staatshilfen eine Wettbewerbsverzerrung und eine Gefährdung ihrer Rolle als Weltwirtschaftsmacht Nummer eins. Auch will Trump unbedingt verhindern, dass sicherheitsrelevante neue Technologien wie der künftige Mobilfunkstandard 5G vor allem von chinesischen Firmen - und damit mittelbar von der Pekinger Regierung - dominiert werden.

Dann ist da die Frage, wie überprüft werden soll, ob China etwaige Zusagen zum Schutz geistigen Eigentums, zum Verzicht auf jeden erzwungenen Technologietransfer und zur Öffnung aller Märkte für ausländische Firmen auch tatsächlich einhält. Schließlich hat Peking auch in der Vergangenheit immer wieder Vorwände gefunden, um nicht-chinesischen Unternehmen den Weg auf derlei vermeintlich offene Märkte zu erschweren oder gar zu verbauen. Auch verlangt China von US-Firmen weiterhin die Einhaltung von Vorgaben, die im Westen gegen das Recht auf freie Meinungsäußerung verstoßen. Das zeigt etwa der Streit um den Tweet eines Verantwortlichen der US-Basketballliga NBA, der sich mit jenen Demonstranten solidarisiert hatte, die in Hongkong seit Wochen gegen eine vollständige Übernahme ihrer Sonderverwaltungszone durch die Regierung in Peking protestieren.

Und ungeklärt ist schließlich auch, wie das immense Defizit der USA im Handel mit China abgebaut werden soll. Die Beseitigung des Fehlbetrags, den Trump entgegen aller ökonomischen Lehrmeinungen als Schmach empfindet, ist eines der zentralen Versprechen des Präsidenten an seine Kernwähler. Der jetzt geplante Kauf amerikanischer Agrargüter durch chinesische Importeure könnte das Defizit zwar leicht schmälern, aber mitnichten beseitigen.

Die USA und China überziehen sich seit Anfang 2018 gegenseitig mit Zöllen und Gegenzöllen, um den jeweils anderen zur Aufgabe seiner starren Position zu zwingen. Das einzige jedoch, was Trump und Xi bisher erreicht haben, ist eine wirtschaftliche Eintrübung in ihren eigenen Ländern sowie einen kräftigen Abschwung der Weltkonjunktur. Dieser hat auch zahlreiche andere Staaten in Mitleidenschaft gezogen, vor allem exportabhängige Länder wie Deutschland. Entsprechend erleichtert reagierten am Freitagabend die Finanzmärkte auf die Teileinigung, die Trump in Gesprächen mit dem chinesischen Vizepremier Liu He erzielt hatte.

Die Gefahr einer Rezession auch in den USA selbst hatte zuletzt bei Beratern Trumps die Sorge ausgelöst, der Präsident könne ausgerechnet im Wahljahr 2020 in ein Umfragetief stürzen und seine ohnehin fragliche Wiederwahl weiter gefährden. Die immer noch recht gute Konjunkturlage in den Vereinigten Staaten ist eines der wenigen starken Argumente, die Trump im Wahlkampf hat.

Dass beide Seiten jetzt darauf erpicht waren, ihren Streit nicht weiter eskalieren zu lassen, ist darüber hinaus wohl auch der Tatsache geschuldet, dass Trump und Xi jeweils genügend andere Probleme haben. Dem US-Präsidenten droht ein Amtsenthebungsverfahren, außerdem hat er mit seiner Syrien-Politik erstmals weite Teile der eigenen Partei, der Republikaner, gegen sich aufgebracht. Xi hat mit den Dauerdemonstrationen in Hongkong zu tun, die er einfach nicht in den Griff bekommt. Doch auch für den Handelsstreit gilt: Wiederaufnahme jederzeit möglich.

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