Trends verschlafen:Verpasste Chancen

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Komplizierte und verspätete Angebote haben Kai-Uwe Ricke den Job gekostet - sein Nachfolger muss nun die Produktpalette der Telekom ordnen

Thorsten Riedl

Ende August holte Kai-Uwe Ricke zum Befreiungsschlag aus. Auf der Internationalen Funkausstellung in Berlin präsentierte der damals noch amtierende Chef der Deutschen Telekom die Tarifoffensive seines Unternehmens. Endlich wollte der europaweit größte Telekommunikationskonzern das Feld nicht mehr der Konkurrenz überlassen.

Um die Zuhörer von der Einfachheit der neuen Tarifstruktur zu überzeugen, griff Ricke zum Bierdeckel wie einst CDU-Finanzexperte Friedrich Merz bei der Präsentation seines Steuermodells.

Telefonieren wie bisher, Pakete zum Surfen und Reden sowie solche, die auch noch das Fernsehen erlauben, stellte Ricke vor. Branchenkenner blieben davon unbeeindruckt: Die Telekom hat wichtige Trends verschlafen, lautet ihr Urteil. Die Produkte sind zu kompliziert, um die breite Masse zu erreichen.

Internet, Festnetz und Mobilfunk wachsen zusammen. Wettbewerber haben das schon seit geraumer Zeit erkannt. Pakete, die zum Pauschalpreis Surfen im Netz und Telefonieren erlauben, gehören zu den Kassenschlagern von Telekom-Rivalen wie Arcor, Freenet oder United Internet. Mit seiner Deutschland-Tochter O2 bringt der spanische Telekommunikationskonzern Téléfonica seit kurzem zudem noch den Mobilfunk mit in die Rundum-Sorglos-Bündel. Der weltweit größte Mobilfunkanbieter Vodafone arbeitet mit seiner Deutschland-Tochter Arcor ebenfalls daran.

Vergebens auf Zeit gespielt

Bei der Telekom hingegen gibt es erst seit September solche Produkte - und die sind auch noch teurer. "Die Deutsche Telekom hat versucht, auf Zeit zu spielen, was Bündelangebote und Pauschaltarife angeht", sagt Philipp Geiger, Unternehmensberater bei Solon. Diese Verzögerungstaktik ist nicht aufgegangen: Auch im abgelaufenen Quartal hat der Konzern mehr als eine halbe Million Kunden verloren. Damit haben sich in diesem Jahr schon 1,8 Millionen Telefonierer ihren Anschluss bei einem Wettbewerber geholt.

Ricke selbst hatte immer betont, dass die zögerliche Integration der Tochter T-Online in die Festnetzsparte T-Com das Anbieten von Pauschalpaketen behindere. Lange musste die Deutsche Telekom vor Gericht mit Aktionären darum kämpfen, die Tochter wieder zurück in den Konzern holen zu dürfen. Nach den jüngsten Zahlen werden die neuen Tarife gut angenommen: 1,8 Millionen Bestellungen lägen vor, sagte Ricke vergangene Woche bei der Präsentation der Quartalsbilanz, darunter 460.000 Neukunden.

Für den Konzernlenker kommt der Erfolg zu spät. Er muss das Steuer auf Geheiß des Aufsichtsrates an René Obermann abgeben, bis dato erster Mann bei T-Mobile, der Mobilfunktochter der Telekom. Die Mobilfunksparte hat unter dem neuen Hoffnungsträger zuletzt zu mehr als der Hälfte des Konzernumsatzes und des Gewinns beigetragen.

Branchenexperten sehen Obermann jetzt in der Pflicht, die neuen Produkte für Otto Normalverbraucher verständlicher zu machen. "Ich habe die Marketingstrategie bislang nicht begriffen", sagt Frank Rothauge, Analyst für Telekommunikationswerte bei Sal. Oppenheim. Beispiel T-Home: Dank des superschnellen VDSL-Netzes bietet die Deutsche Telekom bereits in zehn deutschen Großstädten das neue Flagschiffprodukt des Konzerns an. T-Home soll über den bis zu 50 Megabit schnellen Internetanschluss das Telefonieren, Surfen sowie Fernsehen in hochauflösender Qualität ermöglichen.

Unverständliche Tarifnamen

Technisch spielt der Konzern damit beim in der Fachwelt als Triple Play bekannten Trend ganz vorne mit - doch Normalkunden wissen noch gar nicht, dass das Fernsehen künftig aus der Telefondose kommt. Zudem sind die Tarife unverständlich: Neben einem Classic-Angebot gibt eines namens Complete Basic und eines mit dem schönen Titel Complete Plus - also mehr als vollständig. "Die Produktpakete sind von Marketingberatern gemacht - niemand erkennt auf den ersten Blick, was eigentlich das Neue ist", kritisiert Telekommunikationsexperte Geiger.

Obermann solle daher zuerst bei der Organisationsstruktur des Konzerns ansetzen, raten die Fachleute. Einen Stellenabbau halten sie in diesem Zusammenhang für unvermeidlich, auch wenn sie mit Widerstand von Seiten der Bundesregierung rechnen, die nach wie vor zu den Mehrheitsaktionären des ehemaligen Staatsbetriebs gehört. Dan Bieler, Branchenexperte beim Marktforschungsinstitut Ovum, erwartet eine Zusammenlegung der Sparten T-Com und T-Mobile. Geschäftskunden könnten dann nach wie vor unter T-Systems bedient werden, die Konsumenten unter dem Dach des neuen Bereichs.

© SZ vom 14.11.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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