Süddeutsche Zeitung

Treffen der G-20-Finanzminister:Alle gegen Deutschland

Steuerkriminalität, Wirtschaftswachstum, Staatsfinanzen: Die Finanzminister der G-20-Staaten kommen bei ihrem Treffen in Washington in zentralen Fragen kaum voran. Deutschland ist mit seinen Ansichten zunehmend isoliert.

Von Claus Hulverscheidt, Washington

Man sollte meinen, dass es nichts gibt, was Wolfgang Schäuble nach über 50 Jahren als Vollblutpolitiker noch die Sprache verschlägt. Er handelte mit der DDR-Regierung die deutsche Einheit aus, er mischte an vorderster Front bei der Euro-Einführung mit, er lotste die CDU durch die Spendenaffäre. Am vergangenen Samstag jedoch, während des Treffens der Finanzminister und Notenbankchefs aus den 20 führenden Volkswirtschaften (G 20) in Washington, blieb selbst dem alten Hasen Schäuble für einen Moment der Mund offen stehen.

Gerade hatte Angel Gurria, Chef der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), den Regierungsvertretern eindringlich erklärt, was die Staatengemeinschaft zur Eindämmung von Steuerflucht und Steuerhinterziehung tun müsse, gerade hatten auch der Franzose Pierre Moscovici, der Brite George Osborne sowie Schäuble selbst entsprechende Appelle an die Kollegen gerichtet, da meldete sich die als Gast geladene Schweizer Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf zu Wort: Auch ihr Land, so erklärte sie, sei immer dafür gewesen, dass sich die Regierungen gegenseitig und automatisch über Kapitalerträge ihrer Bürger im Ausland unterrichten. Es ist nicht überliefert, was Schäuble in dem Moment gedacht hat, aber wahrscheinlich glaubte er, sich verhört zu haben: Denn während des monatelangen, zähen Ringens um ein deutsch-schweizerisches Steuerabkommen hatte ihm die Kollegin den Wunsch nach einem automatischen Informationsaustausch noch kurz und bündig abgeschlagen.

Abschlusserklärung voller Allgemeinplätze

Das Interessante ist, dass sich in der Abschlusserklärung des G-20-Treffens trotz des überraschenden Schweizer Bekenntnisses praktisch nur Allgemeinplätze zum Thema Steuervermeidung finden. Da "ermutigen" die Minister die Steueroasen in der Südsee und anderswo, mehr Informationen über reiche ausländische Kontoinhaber herauszurücken und anderen Regierungen Amtshilfe zu leisten, da "loben" sie die Fortschritte in einigen "Jurisdiktionen", da "begrüßen" sie die Absicht der OECD, bis zum Sommer einen Aktionsplan gegen die Gewinnverschiebereien vorzulegen, mit denen große internationale Konzerne ihre Steuerlast systematisch in Richtung null drücken. Von Sanktionen, von diplomatischem Druck oder von schwarzen Listen ist in dem Kommuniqué dagegen nicht die Rede. Vor allem China, so berichten Sitzungsteilnehmer, habe sich jedwedem Versuch widersetzt, schärfere Formulierungen in dem Text unterzubringen.

Die überaus laue Passage zur Steuerflucht steht exemplarisch für den Zustand der G 20, die mit ihrer Kombination aus den führenden Industriestaaten und den wichtigsten Schwellenländern wie China, Indien und Brasilien von manchen schon für eine Art wirtschaftspolitische Weltregierung gehalten worden war. Doch mit den Jahren kamen die guten Vorsätze und das Gemeinschaftsgefühl abhanden, befeuert dadurch, dass mit dem Abflauen der Weltkonjunktur der Verteilungskampf um die verbleibenden Stücke des Kuchens spürbar zunahm.

Zu beobachten war das am Wochenende in Washington beim Ringen um eine strengere Regulierung der Finanzmärkte: Zwar wird in Grundsatzreden weiter das G-20-Motto hochgehalten, wonach künftig kein Produkt, kein Händler und kein Standort mehr unbeaufsichtigt bleiben soll. In der Praxis jedoch versuchen gerade die Industrienationen, die jeweils eigene Finanzindustrie vor einer allzu strengen Regulierung zu schützen.

Hinzu kommt der seit Jahren schwelende Glaubensstreit darüber, wie die Weltwirtschaft wieder auf einen stabilen, nachhaltigen Wachstumskurs gebracht werden kann. Vereinfacht gesagt ist Schäuble in diesem Spiel "Alle gegen Deutschland" der Auffassung, dass nachhaltiges Wachstum am ehesten dann entsteht, wenn die Staaten zunächst ihre Haushalte in Ordnung bringen.

Viele andere Länder, allen voran die USA, sehen das genau andersherum: Demnach ist wirtschaftliches Wachstum die Voraussetzung für solide Staatsfinanzen. Der neue US-Finanzminister Jacob Lew forderte "Länder mit Handelsüberschüssen" - gemeint waren vor allem die Deutschen - in einem am Samstag verteilten Redetext unmissverständlich dazu auf, Geld zur Stimulierung der Binnennachfrage in die Hand zu nehmen. Das sei "lebenswichtig" für die Weltwirtschaft. Gehalten hat Lew die Rede allerdings nicht: Der 57-Jährige ist Jude und befolgt das Arbeitsverbot am Sabbat. Auch daran werden sich die ausländischen Kollegen, deren Konferenzen meist am Wochenende stattfinden, erst gewöhnen müssen.

Viele Worte, keine Vereinbarungen

Schäuble wies die Forderungen der Amerikaner und ihrer Mitstreiter während seines zweitägigen Aufenthalts in der US-Hauptstadt mit jedem Mal unwirscher zurück. "Ich habe bisher von niemandem einen konkreten Vorschlag bekommen, was Deutschland eigentlich tun soll, um die Nachfrage zu stimulieren", klagte er. Das ist die Krux: Zwar könnten beispielsweise die vom Winter geschädigten Straßen in Deutschland ein öffentliches Investitionsprogramm gut gebrauchen. Wie davon aber EU-Krisenländer wie Griechenland und Spanien und damit die Euro-Zone als Ganzes profitieren sollen, wissen auch die Amerikaner nicht. Am Ende blieb es bei dem verbalen Schlagabtausch, konkret vereinbart wurde nichts.

Was von solchen Konferenzen gelegentlich hängen bleibt, machte der russische Finanzminister und amtierende G-20-Vorsitzende Anton Siluanow unfreiwillig deutlich: Auf die Frage eines Schweizer Journalisten, was die Ministerrunde denn in punkto Steuerflucht nun vereinbart habe, sagte Siluanow in der offiziellen Pressekonferenz nach dem Treffen, über das Thema sei seiner Erinnerung nach "gar nicht gesprochen worden".

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SZ vom 22.04.2013/goro
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