Trauern im Internet:Liebesgrüße aus dem Jenseits

Was kommt nach dem Leben bei Facebook und Twitter? Der neue Internetdienst readafterburning.com will Menschen nach ihrem Tod eine Stimme geben und Trauernden helfen.

Mirja Kuckuk

Der Tod und das Internet gehen in diesen Tagen scheinbar eine neue Liaison ein. Gleich zwei deutschsprachige Websites gehen in Kürze an den Start, die uns unsterblich machen wollen. Mit viel Geheimniskrämerei hat Ex-Focus-Chef Helmut Markwort dieser Tage den Launch des Portals stayalive.de angekündigt. Was wirklich dahinter steckt, ist noch geheim. Doch der Medienmann, der das Projekt der Internetagentur Netnnet im bayerischen Taufkirchen unterstützt, ist nicht der Einzige, der diese Idee hatte.

SCHLOSS VOLLRADS

Wer will, kann jetzt nach seinem Tod zumindest im Internet weiterleben.

(Foto: AP)

Denn es gibt bereits den Internetdienst readafterburning.com. Zwar steht diese Seite ebenfalls noch in den Startlöchern, doch auch wie bei Stayalive.de geht es darum, sich ein digitales Denkmal zu schaffen. "Leave a mark" lautet das Motto, ein kleiner Fußabdruck ziert als Logo die Seite. Seht her, so war ich! Ein Gedanke, der die Social-Media-Generation ansprechen dürfte.

Die Idee, sich - wie schon im Hier und Jetzt auf Facebook, Myspace oder via Twitter - auch posthum multimedial zu präsentieren, gibt es in dieser Form bislang nicht. Zwar gibt es Portale in Australien, Irland, den USA und Schweden, zum Beispiel mywebwill.de, letterfrombeyond.com und lastmessagesclub.co.uk, die auf Wunsch Traueranzeigen verschicken. Readafterburning.com aber will über diese Funktion hinaus noch mehr Service "rund um den Tod" anbieten.

Eine ganz persönliche Geschichte

Am Anfang der Site stand tatsächlich der Tod. Die Cousins Michael und Martin Zorawski waren 32 und 33 als sie ihre Väter verloren. "Inmitten der Trauer gab es auf einmal unheimlich viel zu tun. Nicht nur die Beerdigung organisieren, sondern auch lästige Bürokratie erledigen", erinnert sich Michael Zorawski. Der mittlerweile 36-Jährige musste - seine trauernde Mutter unterstützend - Versicherungen und Konten seines Vaters auflösen, wenig später das elterliche Haus verkaufen. "In der Situation hätte ich zu gern meinen Vater gefragt, was zu tun ist."

Seit dieser Zeit beschäftigte sich Zorawski intensiver mit dem eigenen Tod. Was passiert, wenn ich plötzlich sterbe? Der erste Gedanke des promovierten Psychologen aus Hamburg: "Meine Mutter wüsste gar nicht, wen sie alles informieren müsste. Ich habe in England, den USA, Australien und in Singapur gelebt. Ich habe Freunde auf fast allen Kontinenten. Einige würden wahrscheinlich gar nicht erfahren, wenn es mich nicht mehr gäbe."

Da kam ihm und seinem Cousin die Idee zu readafterburning.com. Der Internetdienst, der im schleswig-holsteinischen Kaltenkirchen beheimatet ist, richtet sie sich an alle Menschen, die sich und ihre Angehörigen auf den "Tag X" vorbereiten wollen. Hierfür bietet die Seite vielfältige Funktionen: Man kann den Angehörigen einen Leitfaden für alles Bürokratische an die Hand geben. Welche Konten besitze ich, in welchem Verein bin ich Mitglied? Aber auch ganz Persönliches kann hier noch einmal ausgelebt werden: Fotos, Videos, persönliche Nachrichten können zu einem Erinnerungsprofil zusammengefügt werden.

"Wir wollen keine Panik vor dem Tod schüren. Im Gegenteil, wir wollen mit dem Tabu des eigenen Todes brechen und die Angst davor lindern", betont der Verhaltenspsychologe. "Und vielleicht kann man auf diese Art das Leben sogar noch mehr genießen?" Dass die Seite nicht betroffen machen, sondern Betroffenen helfen soll, zeigt sich bereits in der Namenswahl: "Readafterburning" ist eine augenzwinkernde Anspielung auf das Agenten-Motto "burn after reading". Hier darf und soll sogar die Nachwelt lesen, was auf dem virtuellen Blatte steht.

Vorauseilender Tod

Dabei kann der persönliche Fußabdruck weiter gehen als die unerlässliche Abwicklung von Formalia oder das spielerische Hochladen von Videofiles. Man kann testamentsähnlich letzte Wünsche äußern, etwa wie man sich seine Beerdigung vorstellt. Und fortan bedeutet aufgeschoben nicht mehr aufgehoben: Hier kann gesagt werden, was man zu Lebzeiten verpasst hat. Zum Beispiel - um im Agentenjargon zu bleiben - Liebesgrüße aus dem Jenseits senden, etwa an eine heimliche Liebe. Oder aber ein klärendes Wort gegenüber dem Bruder oder der Schwester vorbringen, zu dem man sich nie hat durchgerungen können, das aber dem Adressaten das Weiterleben durchaus erleichtern kann.

Vorauseilender Tod

Doch hört beim Tod nicht der Spaß auf? Immer wieder kursieren im Internet Gerüchte aus der Promi-Welt, die sich schnell als übler Scherz herausstellen. Teeniestar Miley Cyrus wurde totgesagt, und auch Madonna sollte längst das Zeitliche gesegnet haben. Da mag selbst der Facebook-Addict stutzig werden, wenn er an seine eigene Todesanzeige via Email denkt. Was, wenn die Nachricht versehentlich dem Tod vorauseilt?

Michael Zorawski ist sich durchaus bewusst, dass sie erst einmal grundlegendes Vertrauen in ihren Kunden wecken müssen. "Wir haben ein Patensystem entwickelt, bei dem der Kunde eine oder mehrere Vertrauenspersonen benennt, die sich im Falle seines Todes an uns wenden. Wir werden erst aktiv, wenn wir eine beglaubigte Sterbeurkunde in den Händen halten", versichert er. Voreilige Todesanzeigen oder das versehentliche Freischalten der Seite sollen auf diese Weise ausgeschlossen werden.

Readafterburning.com kann als konsequente Fortführung unserer aktuellen Kommunikationsformen gesehen werden. Als Zielgruppe werden daher nicht speziell die Alten und Kranken angesprochen, sondern vor allem die jüngere Web-2.0-Gemeinde. Denn naiv ist, wer denkt, Tod und Krankheit lauerten erst im Alter.

Allein in Deutschland gehören rund 5,7 Millionen User der Internetgemeinde Facebook an, weltweit sind es circa 500 Millionen Mitglieder. Wir haben uns längst freiwillig zu gläsernen Menschen gemacht. Wir verkünden online unseren Beziehungsstatus und verschicken via Mail stolz Bilder von der Geburt der Tochter, teilen über Twitter mit, wann wir Migräne und wann Magenschmerzen haben. Insofern dürfte eine Todesanzeige in der Mailbox zwar als Novum, aber nicht als eine schockierende, gar pietätlose Überschreitung aufgefasst werden. Im Gegenteil, auf einmal erscheint der Gedanke, posthum ein Hallo an die Nachwelt zu schicken irgendwie tröstlich.

Es wird sich zeigen, ob zwanghafte Twitterer oder auch solche, die nicht täglichen einen (Seelen-)Striptease im Internet hinlegen, Seiten wie stayalive.de oder readafterburning.com als Vorbereitung auf den Tod oder zur Trauerbewältigung annehmen werden. Im Norden und Süden der Republik, in Kaltenkirchen wie in Taufkirchen, darf man gespannt sein. Und angesichts der unmittelbaren Konkurrenz zumindest gelassen bleiben: Potentielle Kunden gibt es schließlich unendlich.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: