Süddeutsche Zeitung

MAN und Scania:VW-Tochter setzt auf elektrische Lkws

Traton hat große Pläne: Lkws ohne Dieselgestank. Der Konzern hat auch einen Laster ohne Fahrerkabine gebaut - anfassen darf man den aber noch nicht.

Von Thomas Fromm, Södertälje

Wahrscheinlich wäre es auf die Dauer auch langweilig, würde ein Lkw-Manager wie Andreas Renschler ständig nur in Vorstandsetagen sitzen, Analysten und Investoren in dunklen Anzügen treffen und Kundengespräche mit Groß-Spediteuren führen. Natürlich geht es immer auch um Aktienkurse, um Strategien, um Absatz- und Gewinnzahlen. Aber die eigentliche Musik in diesem sehr besonderen Geschäft spielt ja, wenn man so will, weit weg von Vorstandsetagen.

Auf der Straße.

"Wenn ich alleine unterwegs bin und tanken muss, dann fahr' ich ab und zu gerne auf einen Autohof und höre mich da um", sagt Renschler, 61. Also dahin, wo die 40-Tonner stehen mit ihren deutschen, italienischen, bulgarischen oder ukrainischen Kennzeichen. Da, wo die Luft voller Diesel ist und Zigarettenqualm und wo es nach Fertig-Gulaschsuppen über Campingkochern riecht. Zuletzt, sagt Renschler, habe er das im Sommer gemacht, im Juli oder August. Tanken, Auto irgendwo parken, Zigarette anzünden, um die Ecke gehen, die Männer ansprechen, sich die Geschichten vom Leben auf der Autobahn anhören.

Das sind dann Geschichten, die von Zeitdruck handeln, von Dauerstress, Parkplatzmangel, wenig Schlaf und Kleinkriminalität. Es kann nicht schaden zu wissen, was da draußen los ist, gerade wenn man wie Renschler Chef eines Lkw-Konzerns ist, der Traton heißt, an der Börse notiert ist, zum größten Teil aber noch zum Volkswagen-Konzern gehört und zu dem die beiden Lkw-Hersteller MAN aus München und Scania aus Schweden gehören. Weil Renschler ab und zu um die Autohöfe streicht und auch sonst eher bodenständig rüberkommt, nennen ihn Kollegen auch schon mal den "Trucker".

An einem verregneten Herbsttag nun steht Renschler, jetzt eindeutig mehr Manager als Trucker, mit Anzug und weißem Hemd auf einer Bühne und erklärt das Lkw-Fahren der Zukunft. Hinter der Scania-Teststrecke in dem kleinen Ort Södertälje, rund eine halbe Autostunde von Stockholm entfernt, haben sie einen Pavillon aufgebaut, eine Art deutsch-schwedische Begegnungsstätte, um die Zukunft des Lkw-Fahrens zu verhandeln. Ob der Trucker-Versteher Renschler das Leben seiner Klientel vom Autohof unbedingt besser machen kann, kann man noch nicht so genau sagen. Auf jeden Fall wird sich einiges für sie verändern. Es fängt damit an, dass es sehr bald sehr viel digitaler und vernetzter zugehen wird im Fahrerhaus. Wenn nach und nach immer mehr elektrische Lkws und Busse auf den Markt kommen, wird zuerst der Diesel-Gestank verschwinden. Aber vielleicht, irgendwann in ferner Zukunft, auch die Fahrer selbst. Das kann man dann, je nachdem, gut oder schlecht finden.

Die Zukunft wird also erst einmal elektrisch und digital, und während der Manager Renschler und seine Kollgen über die Zukunft mit Elektroantrieben und das Ende der großen CO₂-Schleudern sprechen, werden im Hintergrund immer wieder neue Bilder eingeblendet. Besonders lange steht das Bild mit Greta Thunberg und ihrem "Skolstreijk-för-klimatet"-Plakat. Act now!

Ausgerechnet die Lkw-Branche zeigt Bilder der Klimabewegung

Es ist die Woche eins nach dem UN-Klimagipfel, und ausgerechnet die Lkw-Branche, die wie keine andere für den alten Diesel steht, zeigt die Ikonen-Bilder der "Fridays-for-Future"-Bewegung. Wer hätte das noch vor Kurzem gedacht.

Der Druck kommt für die Lkw- Branche gerade von allen Seiten. Da ist ja nicht nur Greta, da sind die Kunden, die Spediteure, die möglichst viel Geld mit ihren Lkws verdienen wollen. Je eher sich die hohen Anschaffungskosten rentieren, desto besser. Am liebsten hätten sie es sogar irgendwann ganz ohne Fahrer, denn wenn Lkws eines Tages autonom fahren, so das Kalkül, bricht ein großer Kostenblock weg. Dann kommt die Politik: Die EU hat nicht nur für Autos, sondern auch für Nutzfahrzeuge die Grenzwerte für CO₂-Emissionen verschärft. Bis 2030 müssen die massiv runter, sonst drohen drakonische Strafen. Und dann sind da noch die Fahrer, bei denen es weder um die knallharten Kostenkalkulationen der Spediteure noch um Umweltschutz geht. Die Interessen der Fahrer sind grundsätzlicher: fair bezahlt werden, ab und zu mal ein freier Tag zu Hause, am Abend einen Parkplatz mit zumutbarer Duschkabine finden.

In zehn bis 15 Jahren soll ein Drittel der Lkws ohne Verbrennermotor fahren

Renschler hat daher ein paar wichtige Botschaften mit nach Schweden gebracht. "In den nächsten zehn bis 15 Jahren könnte jeder dritte Lkw und Bus unserer Marken mit alternativen Antrieben fahren", sagt er. "Die meisten davon voll elektrisch." Bis 2025 soll dafür mehr als eine Milliarde Euro in die Entwicklung von Elektro-Antrieben gesteckt werden. Das Problem ist nur, das weiß auch Renschler: Das Ganze kann ja nur funktionieren, wenn die Ladeinfrastruktur für diese emissionsfreien Lkws steht - und da ist man noch ganz am Anfang.

Zwei Milliarden Euro

will Traton-Chef Andreas Renschler in den kommenden Jahren in die Elektrifizierung und Digitalisierung der Lkws und Busse seiner Marken MAN und Scania stecken. Ziel: Die VW-Nutzfahrzeugtochter, die seit Juni börsennotiert ist, soll "führender Hersteller batterieelektrischer Nutzfahrzeuge" werden. In den nächsten zehn bis 15 Jahren könnte dann jeder dritte Lkw und Bus mit alternativen Antrieben fahren, "die meisten davon voll elektrisch". Den Anfang macht ab dem kommenden Jahr ein gemeinsamer elektrischer Antrieb bei MAN und Scania, der zunächst in elektrischen Stadtbussen eingesetzt werden soll. So will der Lkw-Hersteller die strengeren CO₂-Grenzen in der EU einhalten.

Wenn die Politik nicht mitspielt, wenn Lkw-Fahrer kein flächendeckendes Aufladenetz auf europäischen Autobahnen zur Verfügung haben, dann wird es schwierig. Die Spediteure werden ohnehin nur dann mitziehen, wenn die Anschaffungskosten für die teureren Elektrofahrzeuge runtergehen. Im nächsten Jahr soll es erst einmal mit elektrischen Stadtbussen von MAN und Scania losgehen - es ist dann der Einstieg in eine neue Lkw-Welt.

"Unser Ziel ist es, führender Hersteller von E-Lkws und E-Bussen zu werden", sagt Renschler. Wieder ein Manager, der führend in irgendwas sein will. Natürlich kommt einem das bekannt vor: Die Autobauer hatten vor einiger Zeit den Anfang gemacht, jeder will da jetzt Marktführer bei E-Autos sein, allen voran die Traton-Mutter Volkswagen. Jetzt wiederholt sich das Ganze bei den Trucks und den Bussen. Die Konkurrenz - Daimler, Volvo, die Chinesen - sie alle überlegen gerade, wie sie die riesigen Batterien in die nächste Generation von Lkws und Bussen bekommen und finanzieren sollen. Und jeder will vorn sein, auch wenn es noch ein paar Jahre dauert. Da passt es natürlich auch, dass Renschler das hier bei Scania in Schweden sagt. Dem Land, in dem es damals angefangen hat mit dem Schulstreiken. "Wir sind schon ziemlich stolz auf die Greta, die hat richtig was angestoßen", sagt ein schwedischer Manager. Ob das alle hier so sehen?

Es gibt schwedisch-bayerische Elektrobusse, es gibt den elektrischen NXT-Bus von Scania, der tagsüber Menschen durch die Stadt fährt. Am Abend wird der Mittelteil ausgetauscht, nachts könnte der Bus dann herumfahren und Müll einsammeln. Und es gibt ein seltsames Fahrzeug, das AXL heißt und keinen Fahrer mehr braucht. Deshalb ist es wohl auch einer der ersten Lkws ohne Fahrerkabine. "Wir werden zunächst selbstfahrende Lkws für abgegrenzte Räume wie Bergwerke und Steinbrüche, Hafenanlagen oder große Baustellen anbieten", sagt Renschler. "Das ist das Naheliegende." Bevor man ein Vehikel wie den AXL also in die Zivilisation schickt, testet man ihn irgendwo da, wo es eh kaum Menschen gibt. "Wenn wir realistisch sind", sagt der Traton-Chef, "vollautonome Lkws im öffentlichen Verkehr sind kein Thema, das gleich morgen passiert."

Um zu sehen, was jetzt gerade passiert, muss man tief hinein in den schwedischen Herbstwald hin zu einer abgelegenen Teststrecke, an der Scania seine neuen Lkws herumfahren lässt. Der AXL ist orangefarben und hat ein sehr kantiges und futuristisches Design. Stellt man ihm ein Auto quer in den Weg, fährt er drumherum. Steht er vor einer Grube, hält er an. Eigentlich besteht AXL vor allem aus einer Ladefläche, und deshalb ist er für Gruben, Steinbrüche und Minen geeignet. Für Gegenden, in denen man als Fahrer wahrscheinlich nicht unbedingt dabei sein will. "Please don't touch", sagt ein Scania-Ingenieur. Nein, besser nicht anfassen. So ganz traut man diesem AXL, der hochgerüstet mit Sensoren, Radargeräten und Kameras ganz allein durch den Herbstwald rollt, wohl noch nicht.

Digitalisierung macht die Sache einfacher. Leider aber auch die Überwachung der Fahrer

Dabei ist der Lkw ja schon immer so etwas wie der engste Vertraute des Truckers gewesen. Er bekommt einen Namen, man spricht mit ihm, zusammen hängt man ganze Wochenenden irgendwo ab. Was AXL, das fahrerlose Vehikel, am Ende sein soll, weiß man noch nicht so genau. Das Verhältnis zwischen den Fahrern und ihren Lkws wird sich verändern, und das liegt auch daran, dass immer mehr Menschen Zugriff auf das haben, was im Cockpit passiert. Der Auftraggeber, der Spediteur, der Hersteller. Wenn der Lkw-Fahrer zu schnell fährt, wenn er mehr Sprit verbraucht als erforderlich, wenn er zu oft bremst, wenn er die falschen Runden dreht - sein Chef bekommt es mit. Er weiß, wo der Fahrer gerade steht, er sieht sogar, wann wieder getankt werden muss.

Und es wird mehr werden: Traton-Chef Renschler will nun über eine Milliarde Euro in die Digitalisierung von Fahrzeugen investieren, über eine Million vernetzter Fahrzeuge sollen bis 2025 auf der Straße fahren. Spediteure lieben so etwas, es macht ihre Arbeit effizienter. "Für Fahrer ist das oft eine große Hilfe", sagt Renschler. "Das fängt mit der Navigation an, die immer besser wird, und endet beim Thema freie Parkplätze. Der Fahrer selbst muss weniger schriftlich dokumentieren, das wird immer häufiger automatisch und digital gemacht." Allerdings würden Fahrer auch merken, "dass die Möglichkeiten der Überwachung von außen zunehmen". Aber: "Das ist im Grunde ja gar nicht neu."

Wenn Renschler demnächst mal wieder über einen Autohof zieht, wird es eine ganze Menge interessanter Themen geben, über die man reden kann.

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Quelle:
SZ vom 05.10.2019/vwu
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