Tragschrauber:Traum vom Schweben

  • Ronald Schoppe machte erst bei Volkswagen Karriere - jetzt baut er Gyrokopter.
  • Sein Plan ist verwegen - und ist bis heute ein Abenteuer. Der Gyrocopter selbst ist noch der harmloseste Teil davon.

Von Jens Flottau

Von Bad Langensalza aus sind es noch gut 20 Kilometer die Landstraße entlang, durch kleine Dörfer geht es tief und tiefer hinein in die thüringische Provinz. Man beginnt schon am Navi zu zweifeln, als endlich die angekündigten alten Kasernen auftauchen. 6000 sowjetische Soldaten waren hier einmal stationiert. Die Turnhalle steht noch hinter den Plattenbauten. Nebenan haben die Sowjets 1990 kurz vor dem Zusammenbruch ihres Reiches den Rohbau für eine neue Schule hinbetoniert. Seit 25 Jahren steht er leer, doch der Architekt sagt, die Statik passt noch.

"Ich war auf der Suche nach einer Rückfahrkarte nach Hause", sagt Ronald Schoppe, der im Dorf neben den Kasernen und dem kleinen Flugplatz groß geworden ist. Nach der Wende war er in den Westen gegangen und machte bei Volkswagen Karriere als Ingenieur, er war Leiter der Fahrwerksentwicklung bei Volkswagen Motorsport in Hannover. Doch der weitere Aufstieg bei Volkswagen war nicht sein Ding.

Schoppe kündigte, um nach Thüringen zurückkehren zu können, vor allem aber, um einen ziemlich ungewöhnlichen Ingenieurstraum Wirklichkeit werden zu lassen: Er wollte einen wirklich guten Tragschrauber selbst konstruieren und erfolgreich in Serie bauen. Tragschrauber, oder auch Gyrocopter, sind eine Art Mischung zwischen einem Hubschrauber und einem kleinen Flugzeug - zu einiger Berühmtheit gelangte ein Little Nellie genannter Gyrocopter in dem James-Bond-Film "Man lebt nur zweimal" (1967).

Hubschrauber sind im Betrieb sehr teuer - ein Gyrocopter kostet nur einen Bruchteil davon

Der Unterschied zum Hubschrauber besteht darin, dass Gyrocopter nicht senkrecht starten können, sondern immer eine wenn auch langsame Horizontalbewegung brauchen, um genug Auftrieb zu erzeugen. Der Unterschied zum Flugzeug ist: Es gibt keinen Strömungsabriss - im schlimmsten Fall sinkt das Gerät also nur langsam wie ein Ahornblatt zu Boden, denn der Rotor dreht sich während des Fluges per Autorotation durch die Luftströmung immer weiter.

Um es vorweg zu nehmen, Schoppes Erfindung, der Rotorvox C2A, fliegt sich ziemlich leicht, wesentlich leichter als ein Hubschrauber, bei dem der Pilot immer mit beiden Händen und beiden Füßen arbeiten muss, um ihn stabil zu halten. Der Tragschrauber ist in dieser Hinsicht eher wie ein kleines Flugzeug zu bewegen, aber er schafft viel engere Kurven. Bei Bedarf kann er auch, dem großen Rotor sei dank, fast wie ein Helikopter durch die Luft schleichen, mit 30 Stundenkilometern, bei genügend Gegenwind fühlt sich das an, als würde er über dem Boden stehen. Er schafft bis zu 180 Kilometer pro Stunde, wenn es schnell gehen muss. Doch für lange Strecken ist er sowieso eigentlich nicht gedacht - die Panoramakuppel lädt eher zum Sightseeing ein.

Rotorvox Gyrocopter

Einsteigen, bitte: Der Tragschrauber aus Thüringen - eine durchaus elegante Erscheinung.

(Foto: oh)

Auf die Idee mit dem Gyrocopter gekommen ist Schoppe irgendwo in Nordafrika während der Rallye Dakar, die er für VW als Ingenieur bestritt. Aus Sicherheitsgründen sollte neben dem Rallye-Auto immer ein Hubschrauber fliegen, um die Fahrer vor Gefahren wie Kamelherden oder anderen zuvor unbekannten Hindernissen zu warnen. Doch Hubschrauber sind unglaublich teuer im Betrieb, ein kleiner Tragschrauber wie der von Schoppe kostet bloß einen Bruchteil davon. Zurück in Deutschland machte sich Schoppe auf die Suche nach einem geeigneten Modell, das VW bei der nächsten Dakar nutzen könnte, fand aber keines. "Was es auf dem Markt gab, war alles nichts", sagt er. Er wollte ein geschlossenes Cockpit mit Panoramasicht, bequeme Sitze und bequeme Bedienbarkeit für die Piloten. Sein Rotorvox C2A, den er anfangs nebenbei zu konstruieren begann, sollte Privatpiloten ansprechen, die sich ein Spaß-Fluggerät für 140 000 Euro leisten können, es sollte aber auch für den professionellen Einsatz taugen: Überwachungsflüge, Erntechecks mit Spezialausrüstung, Transporte von Verletzten, neben Rallye-Autos herfliegen, solche Sachen.

Es war - und ist bis heute - ein Abenteuer und der Gyrocopter selbst ist noch der harmloseste Teil davon. 2011 machte Schoppe sich auf die Suche nach einem Investor und sein angeblich größter Geldgeber (400 000 Euro) stellte sich gleich einmal als Betrüger heraus. Ein Jahr lang brauchte er, um die Lücke zu schließen und konnte nur auf Sparflamme weiterentwickeln. Doch Ende 2012 hatte er das Geld zusammen, auch mit Hilfe von Landesfördermitteln aus Thüringen. Den Prototypen baute Schoppe mit einem winzigen Team in der ehemaligen Armee-Turnhalle in Obermehler, Anfang 2014 flog er dann zum ersten Mal.

Zulassung im vergangenen Juni

Rotorvox Gyrocopter

Blick ins Innere der verglasten Kabine des Gyrocopters.

(Foto: oh)

Bald war klar: Nacharbeiten müssen sein, bei der Kühlung und der Stabilität, noch mehr Geld und neue Investoren waren nötig. "Wir haben eine blöde Größe für Risikokapital: Für die Großen sind wir viel zu klein, die prüfen das nicht einmal", sagt Schoppe. Aber für Privatleute sind die Summen gewaltig. "Eigentlich ist es ein Wunder, dass es trotzdem geklappt hat." Die zweite Finanzierungsrunde für die nächste Million gelang. Die Nullserie, eine Art zweiter Prototyp, war dann im Herbst 2014 fertig und dieses Mal passte das Konzept, im vergangenen Juni wurde der Rotorvox zugelassen.

Doch das Abenteuer ist noch lange nicht vorbei. Denn die kleine Firma mit ihren zwölf Mitarbeitern muss den kommerziellen Durchbruch schaffen. "Unser größtes Problem ist, dass uns niemand kennt", sagt Schoppe. Eine Roadshow, Flugvorführungen unter anderem in München sollen helfen, denn bis heute hat die kleine Firma erst zwei Maschinen verkauft. 20 pro Jahr aber müssten es sein, damit der Betrieb kostendeckend arbeitet und 40 ist schon für 2016 das Ziel. Selbst bei 40 Maschinen pro Jahr muss die Produktion etliche Jahre laufen, um die Entwicklungskosten wieder hereinzuholen. Für die Produktion sind wieder neue Investitionen nötig und dieses Mal versucht sich Rotorvox mit Crowdfunding. Mehrere Hunderttausend Euro sind laut Schoppe bislang zusammengekommen, um die nächste Phase in der Unternehmensentwicklung finanzieren zu können.

In der Turnhalle sollen die Tragschrauber künftig nur montiert werden. Vier Wochen dauern die Arbeiten pro Stück, für vier Geräte nebeneinander ist Platz. Die Büros, der Wareneingang und das Lager sollen dann nach nebenan in das einmal als Schule gedachte Haus ziehen, dafür müsste der Rohbau fertiggestellt werden. Hilfe könnte nun vom Landkreis kommen, denn der will das Haus, das Rotorvox gehört, als Verwaltungsgebäude nutzen. Schließlich werden in den Kasernen nebenan seit Neuestem Flüchtlinge untergebracht und es sollen bald noch viel mehr kommen. Schoppe will einen Teil des Hauses zur Verfügung stellen, wenn der Kreis dafür den Ausbau zahlt. Man muss eben kreativ bleiben.

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