Mitten in der digitalen Hauptversammlung wirft Dieter Zetsche entnervt den Kopf nach hinten. Gerade wollte der Aufsichtsratchef die Aktionärsvertreter der Tui zu Wort kommen lassen - vergeblich. Schon davor hatte es mehr als eine Stunde unfreiwillige Pause mit französischer Telefonschleifenmusik gegeben. Nun die nächste Panne, die Technik ist schuld. Der Ablauf entspricht so gar nicht dem, was der weltgrößte Reisekonzern nach drei Krisenjahren vermitteln wollte: "Wir sind auf Kurs" lautete bis dahin die in vielen Varianten mehrfach geäußerte Botschaft.
Unter den technischen Problemen wirkt das optimistische Mantra des neuen CEOs Sebastian Ebel unfreiwillig komisch. Dabei kann der weltgrößte Reisekonzern Erfolge vorweisen. Im Jahr 2022 hat die Tui 93 Prozent der Gästezahlen von 2019 erreicht, die Buchungszahlen gut. Nach drei Jahren, in denen die Touristik unter der Pandemie gelitten hat, also gute Nachrichten.
Dennoch, "2023 wird anspruchsvoll bleiben", sagt Ebel. Das liegt an mittelfristigen Folgen wie dem Fachkräftemangel. "Eine Jahrhundertkrise lässt man nicht in zwölf Monaten hinter sich." Zudem fordert abermals die Weltlage den Konzern heraus: Der Krieg in der Ukraine und die daraus entstehenden Preissteigerungen wirken sich auf die Touristik aus.
Auch deshalb sei man noch nicht am Ziel des Umbauprozesses, so Ebel. Schon in den vergangenen Jahren waren tausende Jobs gestrichen und Hotels und Flugzeuge verkauft worden. In diesem Jahr ist das Ziel, den Rest der insgesamt 4,3 Milliarden staatlichen Hilfen zurückzuzahlen. Dafür soll das Kapital herabgesetzt und bis Ende des Jahres eine Kapitalerhöhung um rund 1,8 Milliarden Euro durchgeführt werden. Dem stimmen die Aktionäre um 18.30 Uhr, nach siebeneinhalb Stunden und mehreren Pannen, mit großer Mehrheit zu.
Das Ergebnis ist umstritten - schließlich gilt die Wahl der Mittel als quasi alternativlos, gleichzeitig schwächt sie weiter die Macht vieler Kleinanleger. Und sie ist nicht das einzige Resultat, das trotz technischer Probleme und mehrerer Stunden Verzögerung zu kritischen Fragen von Aktionären führt. Nach wie vor ist Oligarch Alexej Mordashow Mehrheitseigner. Mehrere Aktionäre wollen mehr zu seiner Rolle wissen: Schadet der wegen des Ukrainekriegs sanktionierte Russe dem Image? Was passiert bei einer Kapitalerhöhung? Ebel betont, was für ein "zuverlässiger Ankeraktionär" Mordashow vor den Sanktionen gewesen sei. Genaueres kann Ebel nicht sagen, aber da Mordashow derzeit seine Stimmrechte nicht ausüben und sich auch nicht an der Kapitalerhöhung beteiligen kann, ist lediglich wahrscheinlich, dass dem Investor mittelfristig weniger Teile des Unternehmens gehören werden.
Mehrfach kommt zudem ein Thema zur Sprache, das auch auf anderen Hauptversammlungen schon kritisiert wurde: die rein digitale Veranstaltung. Dass die Tui diese Möglichkeit erneut genutzt hat, ist "ein fatales Signal für ein Reiseunternehmen", das ja für Lebenslust und das Unterwegssein stünde, findet unter anderem Alexander Vietinghoff-Scheel von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz. Tatsächlich hat sich die Geschäftsführung dennoch die Zustimmung gesichert, auch in den kommenden Jahren die Hauptversammlungen digital abhalten zu dürfen. Ob er diese Möglichkeit nutzt, dürfte sich Sebastian Ebel angesichts des langen Verlaufs und der mehrstündigen, von der Technik verursachten Unterbrechungen an diesem Abend möglicherweise aber nochmal ganz genau überlegen.