Tourismus nach Griechenland bricht ein:Die Sonne scheint trotz Schuldenkrise

Das Meer ist unverändert blau, doch die Touristen fehlen. Urlaub in Griechenland - das war einmal. Das politische Chaos, die Unsicherheit über den Ausgang der Wahlen am 17. Juni haben viele Touristen verschreckt. Eine Katastrophe für die Hoteliers, die nun auf ihren größten Trumpf hoffen: die legendäre Gastfreundschaft.

Michael Kuntz, Kos/Rhodos

Das rechteckige Schwimmbecken ist 147 Meter lang. Es gehört zum Hotel Michelangelo auf der griechischen Insel Kos. Der Pool liegt unterhalb des Hotels leicht erhöht an der Küste. Man kann baden und schauen. Wer hier seine Bahnen zieht, genießt aus dem Becken heraus einen endlosen Blick auf vorbeiziehende Schiffe. In der Ferne das türkische Festland. Das Wasser schwappt über den leicht abgesenkten Beckenrand vor dem Meer und macht ihn unsichtbar. Die hellblaue Oberfläche des Pools verschmilzt optisch mit der etwas dunkleren der Ägäis. Der Blick ist gigantisch. Und man hat ihn fast für sich allein. Denn es ist derzeit ziemlich leer im größten Infinity-Pool von Griechenland.

Reiseziele 2014 Griechenland Kreta Balos Tourismus

Der Strand von Balos in Griechenland: Die Urlaubsbuchungen in das Land sind im Vergleich zum Vorjahr um dreißig bis vierzig Prozent eingebrochen.

(Foto: AFP)

Kein Wunder.

Wer verbringt schon in diesen Tagen seinen Urlaub in Griechenland?

Um dreißig bis vierzig Prozent brachen die Buchungen im Vergleich zum Vorjahr ein, je nachdem wen man fragt. Die Bilder von den Protesten in Athen, die Ungewissheit, ob die Fähren zu den Inseln fahren oder mal wieder bestreikt werden - das hat viele Urlauber verschreckt. Dabei hat sich in den Feriengebieten wenig verändert. Die Küsten sind unverändert endlos und schön, die Sonne strahlt unbeeinflusst von der Schuldenkrise, die Tradition ist auch noch da. Die legendäre Gastfreundschaft, die "Filoxenia", sei den Griechen nicht vergangen, versichern die Griechen.

Jetzt, in der Krise, wird "Filoxenia" zum wichtigsten Wirtschaftsfaktor des Landes, das außer Wein und Olivenöl auf dem Weltmarkt wenig anzubieten hat.

Griechenland besitzt keine Industrie, die in nennenswertem Umfang etwas exportieren könnte. Seit das Land der Euro-Zone angehört, war die Leistungsbilanz stets defizitär. Anders ausgedrückt: Die Griechen lebten über ihre Verhältnisse, gaben mehr aus, als sie verdienten. Wirklich Geld ins Land brachte nur der Tourismus. Er sorgte bisher für 15,7 Prozent der Einnahmen.

Und nun?

Im Michelangelo verlieren sich am Anfang der Sommersaison jüngere Paare aus Großbritannien in der Weite der terrassenförmigen Anlage. Hotelier Michel Lisgaris betrachtet das mit gemischten Gefühlen. Er ist ein zupackender Mann im mittleren Alter, den Bauplan für seinen imposanten Pool hat er selbst gezeichnet. Darauf ist er stolz. Er erzählt auch, dass er nicht einer dieser reichen Griechen sei, die ihr Geld längst nach London oder Zürich gebracht haben. "Mir gehören vier Hotels - alle in Griechenland, zwei stehen hier auf Kos, zwei auf der Nachbarinsel Kalymnos." Er hat viel zu verlieren, er muss kämpfen. Denn trotz der tollen Lage direkt an der Küste hatte Lisgaris mit dem im Jahr 2009 eröffneten Michelangelo bisher kein Glück.

Es ist das richtige Hotel für Paare, gebaut zur falschen Zeit. Erst brachte Lisgaris die 250 Doppelzimmer mit Partner Thomas Cook als Sentido-Hotel auf den Markt. Die Krise des nach der Tui zweitgrößten Reiseveranstalters gleichzeitig mit der Krise in Griechenland, es lief einiges schief für das Hotel in Agios Fokas. Der Direktor musste gehen. Nun wird das Haus vom Food-and-Beverage-Manager geführt, der sich üblicherweise auf den Einkauf von Lebensmitteln und Getränken konzentriert. Er tritt souverän auf, und Eigentümer Lisgaris sagt, der Mann habe das Zeug zum Direktor.

Nun nimmt das Michelangelo einen zweiten Anlauf, diesmal unter der Tui-Marke Sensimar. Die richtet sich an Paare zwischen 30 und 69 Jahren mit mittlerem bis hohem Bildungsniveau und überdurchschnittlichem Einkommen. Solche Urlauber legen Wert auf Ruhe, Sicherheit und Qualität, sie mögen keine Experimente beim Essen - und sie wollen sich um ihre Gesundheit kümmern. Die Zufriedenheit der Gäste muss über 90 Prozent liegen, so will es die Tui. Michel Lisgaris sagt: "Der Hotelier kann nur überleben mit sehr guter Qualität." Von Mitte Juni an hofft er auf ein volles Haus.

Kann sein, dass es klappt. Kann sein, dass es nicht klappt. Mitte Juni sind Parlamentswahlen in Griechenland, zum zweiten Mal, ein Ereignis mit ungewissem Ausgang. Die Spekulationen über eine Staatspleite, über Unruhen, Chaos sowie einen Austritt Griechenlands aus der Europäischen Union und die Rückkehr zur Drachme - das gefiel den Erholungsuchenden nicht. Schon nach dem ersten Wahlgang vor wenigen Wochen, der zur politischen Blockade führte und Neuwahlen nötig machte, brachen die Buchungen ein.

Die Urlauber reagieren generell kurzfristiger. Sie buchen spät; wer nicht an Ferientermine gebunden ist, hofft auf ein Schnäppchen, so hat er es aus der Werbung der Reiseindustrie gelernt. Die Folge ist für Michel Lisgaris und die anderen Hoteliers: Sie erhalten die Belegungslisten mit den Namen der Gäste erst ein paar Tage vor deren Ankunft. Die Vermarktungsmaschinerie läuft bis kurz vor Abflug des Ferienfliegers. Jeder Sitz im Flugzeug soll verkauft werden, möglichst wenige Hotelzimmer sollen leer bleiben. So das kaufmännische Kalkül.

Garantieren kann allerdings derzeit niemand etwas in Griechenland, nicht einmal die große Tui.

"Da war erst mal Stillstand"

Als in Athen bei Protesten deutsche Fahnen brannten und diese Bilder um die Welt gingen, "da war erst mal Stillstand", erinnert sich Tui-Manager Stefan Baumert. Selbst langjährige Griechenland-Freunde fanden plötzlich, dass sie auch einmal woanders hinfahren könnten. "Der Urlauber hat ja die Wahl", sagt Baumert. Kaum jemand buchte noch Ferien in Griechenland. Dabei hat gerade die Tui hier viel vor.

Der Konzern bringt etwa jeden dritten Feriengast nach Griechenland. Beim weltweit größten Reiseveranstalter ist Griechenland hinter Spanien und der Türkei das beliebteste Reiseziel, sagt Baumert, der bei Tui für sämtliche Mittelmeer-Ziele zuständig ist. Es werden 13 Flughäfen in Griechenland angesteuert, die Gäste bleiben durchschnittlich zehn Tage. Den Großteil der Urlauber aus Deutschland zieht es traditionell auf Inseln wie Rhodos, Kos und Kreta sowie aufs Festland nach Chalkidiki und den Westpeloponnes. Kaum gebucht wird Athen. Die Bilder von den Ausschreitungen dort haben vielen Urlaubern offenbar trotz Akropolis die Lust auf die Hauptstadt genommen.

Für die Tui wäre eine schlechte Griechenland-Saison fatal. Die Ferienmacher aus Hannover haben in diesem Jahr ihr Angebot in Griechenland um 39 Hotels erweitert. Man habe bewusst antizyklisch gehandelt, sagt Baumert. "Damit wurden die Chancen genutzt, die sich derzeit im Land bieten."

Die Tui ist damit nicht allein. Alle Reiseveranstalter bekennen sich in diesen Tagen zu Griechenland. Es gab Gemeinschaftsanzeigen in der touristischen Fachpresse. Die Tui senkte die Preise um zehn Prozent, Thomas Cook reicht Hotel-Rabatte von 20 Prozent weiter. Alltours-Chef Willi Verhuven wirbt persönlich für das Land, wo im vorigen Jahr 2,5 Millionen Deutsche urlaubten - die mit Abstand größte Gruppe.

Klar ist dabei aber auch, ein Ausbleiben deutscher Gäste würde mehr noch als die Reiseveranstalter die Tourismuswirtschaft in Griechenland treffen: "Das hätte fatale Auswirkungen auf einen der zentralen Wirtschaftszweige des Landes und könnte viele der im Tourismus Beschäftigten ihren Job kosten", schätzt Hans-Gustav Koch vom Deutschen Reiseverband die Lage ein. Etwa 770 000 der 4,4 Millionen erwerbstätigen Griechen arbeiten in dem Wirtschaftssektor, fast jeder fünfte.

Die Probleme sind freilich nicht neu, die aktuelle Krise hat sie nur verschärft. Die guten Jahre des Griechenland-Tourismus, sie liegen schon länger zurück. Vom Boom der Charterflüge der letzten 50 Jahre blieb nicht mehr viel. Die Gästezahlen schrumpfen seit 2005, also deutlich bevor das wahre Ausmaß der griechischen Staatsschulden bekannt wurde. Kein anderes bedeutendes Urlaubsland hat so viele Gäste verloren. Das Angebot erschien vielen Urlaubern zu teuer. Für Kunden mit Preislimit stand Griechenland, bei aller Sympathie für Land und Leute, schon seit einiger Zeit nicht mehr an erster Stelle, berichten Mitarbeiter von Reisebüros. Der frühe Erfolg wurde zum Nachteil. Denn viele Hotels in Griechenland sind in die Jahre gekommen. Die Konkurrenz aber holte auf. In Ägypten und der Türkei entstanden Fünf-Sterne-Herbergen mit besserem Preis-Leistungs-Verhältnis.

Schließlich ignorierten viele griechische Hoteliers den Trend zum All-Inklusive-Urlaub. Immer mehr Familienväter aber wollen den kalkulierbaren Urlaub, bei dem nicht jedes Eis für die Kinder zusätzliche Kosten auslöst.

Vor diesem Hintergrund galt es als ziemliche Überraschung in der Reiseindustrie, dass Griechenland 2011 bei den Gästezahlen kräftig zulegte, um zehn Prozent. Wegen der politischen Unruhen in Nordafrika brauchten die Reiseveranstalter Ausweichziele für ihre Erholung suchende Kundschaft, die ihren Urlaub ja nicht einfach ausfallen lassen wollte. Die traditionsreichen Ferienländer Spanien und Griechenland erwachten zu alter Blüte. Selbst betagte Hotelanlagen waren auf einmal wieder gefragt.

Der Boom vom letzten Jahr - er macht den Absturz jetzt umso härter.

Iannis ist Reiseleiter. Viele Reiseleiter in Griechenland heißen Iannis oder so ähnlich. Manche sind in Köln oder Neukölln aufgewachsen und sehr vertraut mit dem, wie deutsche Gäste sich Urlaub vorstellen. Iannis hat es zum staatlich anerkannten Reiseführer gebracht. Die Ausbildung verschafft den Zutritt in eine der etwa 150 geschlossenen Berufsgruppen, wie es sie auch für Taxifahrer und Hafenarbeiter gibt. Das System soll abgeschafft werden, aber erst im Jahr 2015. Bislang verdiente Iannis auf der Basis von Tageshonoraren drei- bis viermal so viel wie fest angestellte Kollegen. Also nicht schlecht. Jetzt gibt es weniger Gäste und weniger Geld.

Zwanzig Prozent weniger Honorar ginge wohl noch, sagt Iannis. Aber da Mieten und Lebensmittel bisher nicht billiger geworden sind, ist es ein harter Einschnitt, zumal keiner weiß, wie es weitergeht. So versucht er es mit einem Scherz. In der Krise, witzelt er, komme seinem Volk jetzt eine besondere Eigenschaft zugute: "Wir Griechen tanzen und singen auch unsere Trauer aus uns heraus."

"Es sind mehr griechische Fahnen in Athen verbrannt worden als deutsche"

Die Bitterkeit ist nicht zu überhören. Dass auch anderswo hart gespart wird und Anpassungen zu dramatischen Verwerfungen führen, in Spanien, in Portugal, ja sogar in Duisburg, wo die Arbeitslosenrate seit Jahrzehnten bei 18 Prozent liegt - auf Kos und Rhodos interessiert das wenig. Die Wut ist groß, auch hier auf den Inseln, wo es den Menschen dank des Tourismus verglichen mit den Bewohnern der Großstädte Athen und Thessaloniki vergleichsweise gut geht.

Am ehesten versteht Iannis noch, wenn man ihm erzählt, dass Deutschland beim ersten Ölpreisschock 1982 auch mal glaubte, es würde ein Staatsbankrott drohen. Damals wurden die halben, die viertel und die achtel Stellen im öffentlichen Dienst erfunden, und zeitlich befristete Arbeitsverträge für junge Menschen. Deutschland hat also dreißig Jahre Vorsprung beim Sparen im öffentlichen Dienst, der in Griechenland so aufgebläht ist wie sonst nirgendwo in Europa. Iannis aber hilft das im Moment nicht weiter. Er ist sauer und schimpft laut: "Wir fühlen uns vom Staat verlassen. Wir sind nicht die Gauner Europas. Die Krankheit ist der Staat. Die Politiker müssen bestraft werden, die uns so lange etwas genommen haben."

Den Zorn auf "die da oben", das Gefühl, allein gelassen zu werden, für die Fehler anderer büßen zu müssen, man hört die Klagen überall.

In einem Restaurant in der Altstadt von Rhodos wird Meze serviert, die landestypische Abfolge vieler Vorspeisen. Am Tisch sitzt Andonis Cambourakis. Er ist Vorsitzender der Hotelvereinigung auf Rhodos. Ihm gehört das Rhodos Palace, ein 17 Stockwerke hohes Gebäude aus den 70er Jahren, in dem bereits der Schauspieler Roger Moore, die Politikerin Maggie Thatcher und Jordaniens Königin Rania logierten.

Promi-Gastgeber Andonis Cambourakis nimmt zwei Papierservietten, um aufzumalen, was ihn empört. Er kennt viele Gründe, warum die Griechen schlecht behandelt werden, und das nicht erst jetzt. Sogar der Discounter Lidl verkaufe hier seine Waren teurer als in Deutschland, klagt er. Ein anderes Beispiel: Als er für sein Hotel Waschtisch- und Duscharmaturen für 450 Zimmer brauchte, ging er zuerst zur Niederlassung des deutschen Herstellers in Athen, wo er seit Jahrzehnten einkaufte. Das Angebot fand er sehr teuer. Schließlich bekam er, was er brauchte - in der Türkei, zu einem Preis, zu dem der griechische Großhändler selber einkaufen muss. "Warum macht ihr uns höhere Preise als anderen?", fragt er.

Überhaupt, das nur wenige Seemeilen entfernte Nachbarland, gut zu sehen am Horizont. Wäre die Türkei Mitglied der EU, läge die Außengrenze, die viel koste und Probleme schaffe, nicht länger in Griechenland. Fatal sei auch die Visapolitik der EU in der jetzigen Situation. Seit immer weniger Gäste aus Großbritannien und Deutschland kommen, brauche man die neuen Urlauber aus Osteuropa umso dringender, sagt Cambourakis. Dies aber werde durch die Brüsseler Regeln behindert. Die Russen zum Beispiel benötigen Visa für ihre Einreise in die EU. Die seien schwierig zu bekommen und obendrein teuer.

Nicht an allem seien andere schuld, überrascht Cambourakis dann plötzlich seine Gesprächspartner und verwandelt die Tafelrunde in einen theatralischen Schauplatz der aktuellen griechischen Tragödie. "Wir haben Fehler gemacht, viele Fehler. Wenn es dafür eine Todesstrafe gibt, dann erschießt uns. Wenn Europa wie eine Schule ist, dann bestraft uns." Aber nicht für immer. "Wir wollen für unsere Fehler einstehen, aber es muss ein Limit geben." Dann fällt dem zornigen Hotelier von Rhodos noch ein Grund ein, weshalb die Gäste ausbleiben. "Unser Problem ist nicht der Tourist, unser Problem sind die Medien, die sagen, Griechenland sei ein unsicheres Ziel."

Dass sich deutsche Urlauber Sorgen um ihre Sicherheit machen und Angst vor Anfeindungen hätten, dafür fehlt dem Reiseleiter Iannis jegliches Verständnis. "Da können die Griechen doch nur darüber lachen, nach dem was damals war." Das sei geradezu lächerlich nach dem, was im Zweiten Weltkrieg geschehen ist. Auf Kreta. Dort haben deutsche Soldaten Massaker unter der Zivilbevölkerung angerichtet. Doch nicht einmal das habe die Freundschaft zwischen den Nationen dauerhaft zerstören können. Auch die Finanzkrise werde das nicht schaffen. "Unsere Bindungen sind so stark, dass keine Troika unsere historische Freundschaft zerstören kann."

Mit "Troika" sind die Kontrolleure von EU-Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds gemeint. Das Dreiergespann überwacht die Einhaltung der Reformen, die Griechenland im Gegenzug für die internationale Hilfe zusagte. "Ihr denkt alle, ihr schenkt uns Geld. Aber das ist doch nur geliehen gegen hohe Zinsen", findet Iannis. Dass diese Zinsen deutlich niedriger sind als jene, die Griechenland sonst an den Finanzmärkten zahlen müsste, es will niemand hier hören. Die Diskussion ist nicht gerade erholsam.

Die Deutschen mögen Griechenland und die Griechen. Doch mögen die Griechen noch die Deutschen?

Der Tourismusmanager Nikos Sofos auf Kos hält inne. Dann sagt er ganz ruhig: "Es sind mehr griechische Fahnen in Athen verbrannt worden als deutsche."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: